Wahlen in Frankreich:

Linksbündnis macht Macron nervös

Oliver Fahrni

Unerwartet hat sich ein Bündnis von vier links-grünen Parteien, die Nupes, zur mächtigen ­Konkurrentin von Präsident Macron aufgeschwungen. Das macht die französische Rechte nervös.

WEDER KONTAKT- NOCH WASSERSCHEU: Jean-Luc Mélenchon (in der Mitte), ganz im Wahlkampfmodus, watet bei Poitiers durch den Fluss Clain. (Foto: Getty)

In Paris ist Wehklagen ausgebrochen: Die «Feinde der Republik» seien im Anmarsch, warnte Präsident Emmanuel Macrons Regierungschefin Elisabeth Borne. Ihr Wirtschaftsminister und der Chef des Unternehmerverbandes prophezeiten nichts weniger als den Zusammenbruch Frankreichs, sollte das neue Linksbündnis Nupes bei den Wahlen gewinnen. Das Kapital fliehe bereits. Aus Angst vor dem Nupes-Steinzeit-Kommunisten, wie einige Kommentatoren in den Medien munkelten. Und ohnehin sei der Aufstieg von Nupes Putins steuernder Hand geschuldet, wusste eine Ministerin Macrons. Die Pariser Eliten sind am Rande eines Nervenzusammenbruchs.

Macrons Frankreich ist am Rande eines Nervenzusammenbruchs.

WAS IST BLOSS GESCHEHEN?

Auslöser war ein kleiner Satz von Jean-Luc Mélenchon: «Wählt mich zum Regierungschef!» Das sagte der Linkspolitiker kurz nach der Wiederwahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten am 24. April. In einer funktionierenden Demokratie wäre dies kein Grund zur Aufregung. Wer die Präsidentenwahlen gewinnt, wird Präsident, wer die anschliessenden Parlamentswahlen gewinnt, stellt den Premier. Eigentlich banal. Nicht aber in der Quasi-Monarchie der 5. französischen Republik, nicht im autoritär-neoliberalen Regime Macrons. Hier waren die vier Worte purer Sprengstoff.

Denn sie gaben den Startschuss zur Bildung einer grossen links-grünen Koalition. Die schwer angeschlagenen Grünen, Sozialdemokraten und Post-Kommunisten sahen in der Allianz mit Mélenchons Union populaire (UP) plötzlich ihre Rettung. Dies, obschon sie sie eben noch verteufelt hatten. Unvermutet formierte sich ein starker «sozialer und ökologischer Block». Mit der Nupes ist der herrschenden Kaste Frankreichs zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahrzehnten eine ernsthafte Opposition erwachsen. Und wie! Im ersten Wahlgang der Parlamentswahlen waren Nupes und Macronisten bei tiefer Wahlbeteiligung gleichauf. Mit leichten Vorteilen für die Nupes. Der zweite Wahlgang findet am 19. Juni statt. Die Gründung der Nupes geschah erst vor vier Wochen, und wäre sie eine blosse Kulissenschieberei zwischen Parteistrategen geworden, wäre sie der Rede nicht wert.

Doch Mélenchons UP hinter der Nupes ist längst viel mehr als eine Partei. Sie hat sich in den vergangenen Jahren zu den Gewerkschaften, zur Klimajugend, zu ­Feministinnen, Bürgerrechtsbewegungen, zu Kultur und Wissenschaften hin geöffnet. Dafür schuf Nupes ein eigenes Parlament mit 500 Personen. Dort sitzt etwa der bekannte Gewerkschafter Karl Ghazi vom Gewerkschaftsbund CGT. Oder die Hotel-Gouvernante Rachel Kéké, die den fast zweijährigen Streik der Ibis-Zimmerfrauen in Paris angeführt hat (work berichtete).

GERFÄHRLICH FÜR MACRONISTEN

Und genau das macht die Nupes für Ma­cron so gefährlich: Sie ist das Kondensat von fünf Jahren Widerstand der Gesellschaft gegen die neoliberale Abbaupolitik, die der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis «Macrons Klassenkrieg» nennt.
Sofort legte die Nupes ein radikal pragmatisches 650-Punkte-Programm vor. Es greift alle sozialen und ökologischen Notstände auf. Subversiv ist daran nichts. Aber es bricht mit dem Macronschen Marktradikalismus und will die Wirtschaft auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausrichten. 300 namhafte Ökonominnen und Ökonomen wie etwa der ­renommierte Wirtschaftswissenschafter Thomas Piketty unterstützen es.

KAPITALISMUS GEGEN DEMOKRATIE

Macron fühlte sich bedroht und liess die Wachhunde los. Wie ein Mann giessen die Medien seither Berge von Schlamm über der Nupes aus. Da ist von «Schrumpfhirnen» die Rede, von «Betrügern», «Islamolinksextremen» und «gefährlichen Putschisten». Zur Weissglut treibt sie, dass die Nupes Macrons Strategie der «eingeschläferten Demokratie» unterlaufen hat (siehe Interview rechts). Der Präsident verweigerte jede Debatte und legte kein Programm vor. Rechte US-Think-Tanks hatten diese Strategie als «Post-Politik» entwickelt. Knapp gefasst: Demokratie und Kapitalismus gehen nicht zusammen. Also muss man die Demokratie begrenzen, die Parlamente entmachten. Dazu gehört, Teile der Bevölkerung davon abzuhalten, wählen zu wollen. Indem die Nupes die Parlamentswahl nun aber zu einem Richtungsentscheid für Frankreich machte, öffnete sie das Feld für Debatten, die Ma­cron nicht führen will.

Ob Macrons Rechnung aufgeht, wird sich am 19. Juni weisen.

2 Kommentare

  1. Peter Bitterli

    Übrigens hat Fahrni auch Zizeks Begriff „Post-Politik“ schlicht nicht verstanden. Oder für die unterstelleten schlichten Gemüter der „Unia“ verfälscht.

  2. Peter Bitterli

    Genau 27 Personen lesen den Stuss. 13 davon glauben ihn. Von diesen sind 7 Mitarbeiter von „workzeitung“.

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