Ibis-Hotelstreik in Paris: Gewerkschafterin Kandi (31) verrät das Erfolgsrezept:

«Wir haben es ­geschafft. Ihr könnt das ebenfalls!»

Anne-Sophie Zbinden

22 Monate lang haben die Zimmerfrauen des Hotels Ibis Batignolle in Paris für mehr Lohn und weniger Druck ge­streikt. Und ­gewonnen! Wie, das schildert CGT-Gewerkschafterin Tiziri Kandi. work hat sie am SGB-Frauenkongress getroffen.

KÄMPFERIN: Tiziri Kandi (31) ist seit fünf Jahren Gewerkschaftssekretärin bei der französischen CGT. 2012 immigrierte sie aus Algerien nach Frankreich. Sie hat Politikwissenschaften studiert. (Foto: ZVG)

work: Chapeau, Frau Kandi! Sie und die Ibis-Zimmerfrauen haben den Accor-Konzern in die Knie gezwungen. Wie haben Sie das geschafft?
Tiziri Kandi: Wir haben gewonnen, weil es mehr war als ein Streik, weil der Streik zu einer Bewegung wurde. Es ging um die Arbeitsbedingungen der Zimmerfrauen, klar! Aber wir hatten es mit Frauen mit Migrationshintergrund zu tun. Deshalb hatten wir rasch Unterstützung aus feministischen und anti-rassistischen Kreisen. Zudem haben sich Gelbwesten, Pflegerinnen, streikende Theaterleute usw. mit uns solidarisiert und wir mit ihnen. Und so wurden wir zu einer Bewegung. Dann wurden auch Politikerinnen auf diesen Kampf von David gegen Goliath aufmerksam, unzählige Medien berichteten über uns. Als wir Anfang Jahr endlich wieder Verhandlungen aufnehmen konnten, knickte Accor nach drei Verhandlungsrunden ein.

22 Monate Streik, haben Sie das schon mal erlebt?
Nicht wirklich. Aber 2002 gab es bereits einen Zimmerfrauen-Streik bei Arcades, der hat 13 Monate gedauert. Deshalb wussten wir, dass wir uns mindestens auf ein Jahr einstellen müssen. Tatsächlich gestreikt haben wir in den ersten 8 Monaten. Unsere Streikkasse war rasch leer, aber wir erhielten fast 300’000 Euro Spenden. Als Accor endlich verhandlungsbereit war, kam Corona. Und Accor hoffte, dass sich durch den Lockdown der Streik auflösen würde. Aber nicht mit uns! Die Frauen liessen sich zwar in Kurzarbeit wieder einstellen. Sobald der Lockdown vorbei war, waren sie aber bereit zum Weiterkämpfen.

Aufgeben war nie ein Thema?
Nein, natürlich nicht! Aber wir hatten schon ziemliche Durchhänger. Corona war nicht gerade hilfreich und auch nicht die Tatsache, dass sich Accor monatelang kategorisch weigerte zu verhandeln. Aber für die Zimmerfrauen war klar: lieber kündigen als den Protest aufgeben!

Zum Streik gehörten Trommelkonzerte, Theater oder Modeschauen. Wie sind diese witzigen Aktionen entstanden?
Wir mussten den Streik unbedingt zu einem positiven Erlebnis machen für die Streikenden, manchmal hatten wir einfach nur Spass! An Halloween zum Beispiel haben sich die Frauen mit Leintüchern als Gespenster verkleidet. Das Motto: «Die Unsichtbaren der Hotelbranche». Und wir haben einen Videoclip gemacht, der war super! Der Mann einer Zimmerfrau wollte den Streik unterstützen und hat Text und Melodie geschrieben. Das Video haben wir mit Crowdfunding finanziert. Très, très joyeux! Das Lied wurde zur Hymne des Streiks.
Tiziri Kandi singt vor: «Schrubben, schrubben macht weh an den Füssen, am Rücken, an den Nieren.» (Über­setzung: Red.)

Oh, danke! Wie hat alles eigentlich angefangen?
Die Frauen sind auf mich zugekommen. Weil 25 Zimmer pro Tag zu viel waren, die jede täglich putzen musste. Und der Lohn von 800 bis 900 Euro war zu tief für diesen Knochenjob. Das Fass zum Überlaufen brachte die kurzfristige Versetzung einiger Zimmerfrauen in andere Filialen, mit dem Ziel, die Streikwilligen auseinanderzudividieren. Am 17.  Juli 2019 begann der Streik. Schon die erste Aktion ging unter die Haut: Die Frauen standen in der Hotellobby im Kreis, gaben sich die Hand, und zeigten so ihre Solidarität mit einer Kollegin, die vom Ex-Hotelchef vergewaltigt worden war. Mir wurde erst in diesem Moment klar, wie haarsträubend ihre Arbeitsbedingungen waren: unglaublich, wenn der Chef es wagt, sich am heiterhellen Tag im Hotel an einer Mitarbeiterin zu vergehen, und die Kolleginnen derart eingeschüchtert sind, dass sie es nicht wagen, ihn anzuzeigen!

Accor lagert die Zimmerreinigung an das Subunternehmen STN aus und zieht sich so aus der Verantwortung. Welchen Einfluss hatte dieses «Subunternehmertum» auf den Streik?
In einer Kette von Subunternehmern drücken alle auf den Preis. Deshalb richteten wir den Protest von Anfang an gegen Accor. Wir wollten, dass der Hotelriese die Frauen direkt anstellt.

Hat er das jetzt getan?
Leider nicht. Aber die Zimmerfrauen haben nun 250 bis 500 Euro mehr Lohn, müssen maximal 14 Zimmer pro Tag reinigen, und die Mahlzeiten werden neu zu 7,30 Euro pro Tag vergütet. Plus: Versetzungen in andere Filialen dürfen nur noch unter gewissen Auflagen erfolgen.

Die Dachorganisation der CGT hat den Accor-Streik nicht unterstützt. Wieso?
Die CGT wollte den Streik abbrechen. Es hiess, die Zimmerfrauen würden nur streiken, weil wir Funktionärinnen sie dazu überredet hätten. Was für ein paternalistisches und klischiertes Argument: Die «dummen» Zimmerfrauen können nicht mal selber entscheiden, ob sie streiken wollen oder nicht!

Und wie sehen die Zimmer­frauen die Gewerkschaft jetzt?
Viele sind jetzt der Gewerkschaft beigetreten. Die Hälfte der Frauen arbeiten wieder, die anderen sind noch in Kurzarbeit. Vor dem Streik hatten sie Angst, mit der Gewerkschaft Kontakt aufzunehmen. Keine hätte sich getraut zu sagen, sie sei Mitglied. Jetzt sind sie stolz, Gewerkschafterinnen zu sein. Sie bemerken die Verbesserungen auf ihren Lohnausweisen und natürlich auch bei den Arbeitsbedingungen. Sie sehen, dass der Streik wirklich etwas gebracht hat.

Die Frauen sind auch selbstbewusster geworden, nicht nur jene, die gestreikt haben. Sie hinterfragen die Anweisungen ihrer Vorgesetzten, sagen auch mal Nein. Das hätten sie früher nie getan. Auch in ihren Familien zeigt der Streik Wirkung. Eine Kollegin hatte früher kein eigenes Bankkonto, ihr Mann hatte es geführt. Jetzt führt sie es selbst.

Hatte der Streik auch Aus­wirkungen auf andere Hotels?
Eine Woche nach dem Streikerfolg bei Accor streikten auch die Zimmerfrauen in einem Hotel etwas ausserhalb von Paris. Sie mussten nur einen Tag lang streiken – und schon lenkte das Management ein. Dort haben wir sogar erreicht, dass die Zimmerfrauen vom Hotel direkt angestellt wurden. Bei einem dritten Hotel wurden nach einer Streikwoche fast alle Forderungen erfüllt. Dort sagten die Zimmerfrauen, der Streik bei Accor habe sie inspiriert. Ich hoffe, dass der Accor-Streik über Frankreich hinaus Signalwirkung hat. Ich möchte, dass alle Frauen wissen: Wenn wir es geschafft haben, könnt ihr es auch!­

Accor-Streik: Sie besiegten den CEO

Sébastien Bazin ist der CEO der Hotelgruppe Accor. Er gebietet über 5100 Hotels in 110 Ländern und macht 4 Milliarden Franken Umsatz. Moderne Sklaverei?

KNOCHENJOB: Wer im Schnitt um die 25 Zimmer pro Tag putzt, macht einen Knochenjob. In nur 17 Minuten pro Zimmer, so verlangt es das Hotelmanagement. An einem normalen Tag: Lüften. Bad, Toilette, ­Dusche einsprayen, der Spray muss 10 Minuten wirken. Dreck, Essensreste usw. wegräumen. Flecken beseitigen. Bettzeug, Kissenbezüge usw. in den Wäschewagen. Matratze richten, Bett, Kissen neu beziehen. Schön glattstreichen. Staub wischen, Telefon, Kaffeemaschine, Fernbedienung usw. desinfizieren. Staubsaugen, Böden feucht aufnehmen, Licht und TV checken. Fenster und Spiegel und Schubladen putzen. Dann husch, husch Bad, Toilette, Badewanne reinigen. Drei verschiedene Lappen, mehrere Paar Handschuhe.

RÖNTGENBILDER. Diese Arbeit schlägt tatsächlich auf die Knochen. Auf Füsse, Rücken, Schultergelenke. Der Arbeitsmediziner erschrak, als er die Röntgenbilder sah. «Diese ­Arbeitsorganisation macht uns ­kaputt», sagt Zimmerfrau Rachel Kéké, «wir mussten ­unser Schweigen brechen.»


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