Die vergessenen Frauen der Komintern:

Abtippen und Revolution

Ralph Hug

Sie standen im Dienst der Weltrevolution, durften aber oft nur Protokolle tippen. Doch ohne Frauen ging auch in der Kommunistischen Internationale nichts.

«Feierliche Eröffnung des II. Kongresses der Komintern», Gemälde von Isaak Israilewitsch Brodski (1924). (Foto: Keystone)

Sie hätten eine eigene Parteizelle bilden können: In der Familie Kirschbaum in Zürich gab es sechs Schwestern, und alle waren Kommunistinnen. Und für die Kommunistische Internationale (Komintern) tätig: Diese Organisation wurde 1919 nach der russischen Revolution gegründet, strebte die Weltrevolution an und existierte bis 1943. Das Heim der Kirschbaums an der Zurlindenstrasse wurde in den 1930er Jahren scharf beobachtet. Die Polizei wusste, dass hier viele Flüchtlinge aus Nazideutschland verkehrten.

Die Kirschbaum-Schwestern arbeiteten für die illegale Kom­intern-Nachrichtenagentur Runa. Deshalb konnten sie sich nicht mehr frei bewegen, mussten sich tarnen und ihre Verfolger täuschen. Wer im Dienst der Komintern stand, nahm eine mobile, unsichere Existenz in Kauf. Viele Agentinnen besassen Decknamen, lebten aus dem Koffer, waren stets auf Reisen und immer auf der Hut vor der Polizei. Die Überzeugung, dass die Weltrevolution bevorstehe, verlieh ihrem Dasein Sinn.

OBERST UND SPIONIN

Eine der wichtigsten Funktionärinnen war die Deutsche Ruth Werner. Sie war Oberst der Roten ­Armee, Spionin, leitete Einsätze in China, wirkte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auch in der Schweiz und baute in Grossbritannien ein Netz von Atomspezialisten auf. Im Alter schrieb sie Kinderbücher. Ansonsten war es nicht weit her mit Führungsjobs für Frauen in der ­Komintern. Trotz proklamierter Gleichberechtigung. Die Schweizer Historikerin Brigitte Studer hat nun ein neues Buch zur Komintern verfasst. Sie schreibt: «In den meisten Fällen dienten Frauen als im Hintergrund wirkende Hilfskräfte.» Sie waren als Kurierinnen unterwegs, chiffrierten Telegramme, tippten Protokolle und erledigten die mühsame Kleinarbeit. Die Kommunisten behandelten sie nicht anders als die bürgerliche Gesellschaft.

Studers feministischem Blick ist es zu verdanken, dass die Komintern-Frauen endlich aus dem Schatten treten. Denn ohne sie hätte der Moskauer Weltrevolutionsapparat kaum funktioniert. Frauen wie Ruth Werner, Tina Modotti oder Margarete Buber-Neumann wurden berühmt (siehe Lebensläufe unten). Oder sie waren mit linken Promis ­liiert. Wie Babette Gross mit Willi Münzenberg, dem linken Medienmogul der 1930er Jahre. Nicht zu vergessen Wladimir Iljitsch Lenins Vertraute Angelica Balabanoff. Ohne sie als Übersetzerin hätten die Delegierten am Komintern-Gründungskongress einander gar nicht verstanden. Balabanoffs politische Karriere hatte 1905 in St. Gallen als Gewerkschafterin für die italienischen Textilarbeiterinnen begonnen.

Andere Aktivistinnen endeten hingegen tragisch. So Ruth Oesterreich, die im Komintern-Sekretariat in Berlin arbeitete. Sie fiel den Nazis in die Hände und starb unter der Guillotine. Oder die Spanierin Matilde Landa. Sie war für die Rote Hilfe, eine Unterstützungsorganisation, tätig und beging im Gefängnis unter General Franco Selbstmord. Als Kommunistinnen waren sie bereit, für ihre Überzeugung notfalls das eigene Leben zu opfern.


Bewegte Leben:So kämpften die «Kominternistas» für die grosse Weltrevolution

MENTONA MOSER. (Foto: Public Domain)

MENTONA MOSER (1874–1971)

Reich sein war kein Hindernis für die Komintern. Mentona ­Moser aus dem zürcherischen Wädenswil war die Tochter ­eines vermögenden Uhrenfabrikanten. Sie nahm am Landesstreik 1918 teil und wurde deswegen enterbt.

TÖNE. Wenig später gehörte sie zum Gründerteam der Kommunistischen Partei der Schweiz (siehe Seite 14). Im roten Berlin zog sie einen Schallplatten­laden mit Arbeiterliedern von Ernst Busch auf. Dann musste sie vor Hitler fliehen. Die «rote Millionärin» verarmte und wanderte 1950 in die DDR aus.

 

TINA MODOTTI. (Foto: Keystone)

TINA MODOTTI (1896–1942)

Die Italienerin aus Udine hatte nicht weniger als zehn Deck­namen (darunter auch einen männlichen). Als junge Fotografin wanderte sie in die USA aus. In Mexiko verkehrte sie in linksgerichteten Künstlerkreisen um Diego Rivera und Frida Kahlo.

BILDER. Modottis sozialkritische Fotografien erschienen in der auflagestarken «Arbeiter Illus­trierten Zeitung» (AIZ). Als Gefährtin des einflussreichen ­Komintern-Kaders Vittorio Vidali spielte sie vor allem im Spanischen Bürgerkrieg 1936 eine bedeutende Rolle.

 

Margarete Buber-Neumann. (Foto: Getty)

MARGARETE BUBER-NEUMANN (1901–1989)

Sie begann als Kommunistin und endete als Christdemokratin. Die Deutsche geriet 1937 in Stalins Visier, kam in ein Straflager in Kasachstan und wurde 1940 an die Nazis ausgeliefert. Diese steckten sie ins Frauen-KZ Ravensbrück.

GEWENDET. Insgesamt ver­brachte sie zehn Jahre im Kerker. Berühmt wurde ihr Buch «Als Gefangene bei Stalin und Hitler». Zuerst noch bei der SPD, schloss sie sich 1975 aus Protest gegen Willy Brandts Ostpolitik der CDU an.

 

EVELYN TRENT ROY. (Foto: ZVG)

EVELYN TRENT ROY (1892–1970)

Die Amerikanerin hatte an der berühmten Universität von Stanford studiert. Dort lernte sie den Inder Manabendra Nath Roy kennen und heiratete ihn.

ANTIKOLONIAL. Die Journalistin engagierte sich in der ­Komintern vor allem für die Befreiung Indiens von der ­britischen Kolonialherrschaft. Selbst war sie aber nie in ­Indien gewesen. Nach der Trennung von Roy 1925 schied sie aus der Komintern aus. Weiterhin blieb sie aber als linke Publizistin in den USA aktiv.


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