Neues Buch zur Komintern:

Reisende im Dienste der Revolution

Ralph Hug

Mit der Kommunistischen Inter­nationale nahm 1919 ein revolutionäres Projekt Gestalt an, straff organisiert und global vernetzt. Historikerin Brigitte Studer hat die Komintern neu erforscht, mit besonderem Augenmerk auf die Menschen dahinter.

KRAFTVOLL: Plakat zum IV. Kongress der Komintern zum 5. Jahrestag der Oktoberrevolution: «Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!» (Foto: Public Domain)

«Komintern»: Dieses Kürzel flösste dem Bürgertum in vielen Ländern während Jahrzehnten Angst und Schrecken ein. Genauer: zwischen 1919 und 1943. Dann war es schon ­wieder vorbei mit dem Gespenst der Kommunistischen Internationale, das umging. Josef Stalin liess sie sang- und klanglos sterben, weil sie ihm nicht mehr ins Konzept passte. Doch bei ihrer Gründung in Moskau, kurz nach der russischen Revolution, sollte sie die Fackelträgerin der neuen sozialistischen Ordnung sein. Und zwar weltweit. Die Komintern sollte mithelfen, überall den Kapitalismus zu Fall zu bringen. Aber wie?

Das wurde 1919 in Moskau verhandelt. Abgeordnete aus zahlreichen Ländern reisten zum Weltkongress an. Unter ihnen auch Schweizer Linke, denen die Sozialdemokratie zu lahm war. Etwa der Theologe ­Jules Humbert-Droz aus dem Jura. Oder der nachmalige Stadtpräsident von Schaffhausen, Walther Bringolf. Beides Kommunisten, die aber später wieder im Schoss der SP landeten. Auch Frauen waren dabei (siehe Artikel nebenan). Der Kongress beschloss den Aufbau einer Geheimorganisation. Diese sollte auf allen Kontinenten den Umsturz befördern. Besoldete Berufsrevolutionärinnen und -revolutionäre schwärmten nach London, Paris, Berlin, Rom, Schanghai, Delhi oder Buenos Aires aus und redeten dort dem Kommunismus das Wort.

Effizient auf der ganzen Welt Umstürze anzetteln.

TOTE AUF URLAUB. Brigitte Studer nennt sie «Reisende der Weltrevolution». Und so heisst auch ihr voluminöses Buch von 600 Seiten, das eben erschienen ist. Studer ist emeritierte Professorin in Bern und eine internationale Kapazität für die Geschichte der Komintern. Sie stellt nicht nur den hochkomplexen Apparat dieser Organisation dar, sondern versucht auch die Menschen zu fassen, die darin tätig waren. Diese riskierten oft ihr Leben. Überall drohte ihnen Haft, Kerker und Folter. «Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub», lautete ein Bonmot von Eugen Léviné, ein Anführer der Revolution in Bayern.

Als beinahe grösster Feind dieser ideologisch hochgerüsteten Politprofis sollte sich der eigene Chef entpuppen: Josef Stalin. Zunehmend paranoid, liess er in den 1930er Jahren viele treue Komintern-Agenten kaltblütig beseitigen. Sie landeten im Gulag oder vor dem Exekutionskommando. Auch sonst scheiterte die Komintern letztlich grandios. Die Weltrevolution fand nicht statt. Bereits im Zweiten Weltkrieg war sie Geschichte.

Brigitte Studer: Reisende der Weltrevolution. Eine Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale. Suhrkamp-Taschenbuch, ca. CHF 44.–.

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