Viel zu wenig Betriebskontrollen: Gewerkschaftsbund schlägt Alarm

Kantons-Larifari im Gesundheitsschutz

Ralph Hug

Die Kantone halten die ­Arbeitsinspektorate ­ausgerechnet in der Corona­krise an der kurzen Leine. Das verursacht unnötiges Leid. Und verstösst gegen verbindliche Vorgaben.

(Quelle: SGB. Zum Vergrössern klicken)

Wer hat im Betrieb jemals einen Arbeitsinspektor gesehen? Sie haben Seltenheitswert. Doch diese Fachleute können viel tun für die Gesundheit am Arbeitsplatz. Erst recht in Zeiten der Pandemie. Aber es gibt viel zu wenig von ihnen. Das enthüllt jetzt der Gewerkschaftsbund mit einer Untersuchung von Luca Cirigliano und Lukas Schaub. Cirigliano ist beim Gewerkschaftsbund für die Arbeitsrechte zuständig. Er fordert: «Es ist dringlich, dass die Kantone die Zahl der Arbeitsinspektorinnen und -inspektoren aufstocken.» Hier die Fakten:

Nur ein einziger Kanton erfüllt die gesetzlichen Vorgaben, nämlich Neuenburg. Alle anderen weisen teils krass unterdotierte Inspektorate auf.

  • Am wenigsten tut die Wirtschaftsmetropole Zürich. Der Kanton schickt bloss 29 Inspektoren auf die Piste. Dabei sollten es zweieinhalb Mal mehr sein.
  • Bern lässt es auch gemütlich angehen. 16 In­spektoren sind für den Gesundheitsschutz zuständig, es müssten aber 45 sein.
  • Zu den Kantonen, die sich viel zu wenig um den Gesundheitsschutz kümmern, zählen insbesondere auch Aargau, Waadt und St. Gallen.

KONVENTION VERLETZT

Arbeitsschutz auf Sparflamme – das widerspricht klar dem Gesetz. Denn die kantonalen Inspektorate sind für die Umsetzung des Arbeitsgesetzes verantwortlich. Sie müssen dafür sorgen, dass die Gebäude, Räume, Arbeitsplätze und Einrichtungen in den Unternehmen sicher und zweckmässig sind und keine Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten bestehen. Aber auch Kontrollen zu psychosozialen Risiken wie dem Schutz vor Mobbing, sexueller Belästigung oder eben Ansteckung durch Viren am Arbeitsplatz fallen in ihren gesetz­lichen Auftrag. Die Chefs müssen Auskunft geben und Anweisungen befolgen. Tun sie dies nicht, drohen ihnen Strafen. Dennoch betreiben die Kantone Larifari und missachten so den Gesundheitsschutz der Arbeitenden. Nicht nur das. Sie foutieren sich auch um verbindliche Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Diese Uno-Institution mit Sitz in Genf schreibt einen minimalen Schlüssel vor: Gemäss Konvention Nr. 81, die auch die Schweiz unterschrieben hat, muss pro 10’000 Arbeitnehmende ein Arbeitsin­spektor oder eine Arbeitsinspektorin vorhanden sein. «Das wird in den Kantonen grundsätzlich nicht erreicht», stellt Luca Cirigliano vom Gewerkschaftsbund fest.

«Es ist absurd, wenn Branchen Schutzkonzepte erstellen, die kaum jemand kontrolliert.»

SECO SCHAUT WEG

Die untenstehende Tabelle zeigt’s klar (Daten aus dem Jahr 2018). Schweizweit fehlen 200 Vollzeitstellen. Einer der Gründe für diesen eklatanten Missstand ist, wie könnte es anders sein, das Geld. Die Kantone müssen die Inspektorate zum allergrössten Teil selbst bezahlen. Dies im Gegensatz zur Suva. Deren Kontrolleure arbeiten auf Kosten des Bundes und der Arbeitgeber, die sie mit einem Prämienzuschlag finanzieren. So aber wird massiv geknausert. Schätzungen ­besagen, dass die Kantone für den Vollzug des ­Arbeitsgesetzes jährlich 21 bis 26 Millionen Franken ausgeben. Für den Vollzug des Unfallversicherungsgesetzes wendet die Suva hingegen jedes Jahr 120 Millionen Franken auf. Fünf Mal mehr! Dass dies «unausgewogen» sei, gibt sogar der Bundesrat zu. Vor allem, weil die Risiken für Berufsunfälle stetig abnehmen, während jene für arbeitsbedingte Erkrankungen deutlich zunehmen.

Die Inspektorate könnten finanziell mit einem Präventionszuschlag auf die IV-Beiträge der Arbeitgeber gestärkt werden. Dies sei auch wegen der sinkenden Suva-Prämien gerechtfertigt, sagt Luca Cirigliano. «Die Politik sollte diesen Vorschlag aufnehmen, damit die Inspektorate endlich den ILO-Vorgaben gerecht werden», so der Rechtsexperte. Aber auch rein politische Gründe sind an der Misere schuld. Viele Behörden kuschen vor dem Druck der Wirtschaft. Sie wissen, dass die Unternehmer am liebsten gar keine Kontrollen wollen, auch nicht beim Gesundheitsschutz. Das erklärt wohl auch die Passivität des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Das Bundesamt ist die Aufsichtsbehörde der Inspektorate. Es könnte schon morgen anordnen, dass alle Kantone gemäss den ILO-Vorgaben sofort aufrüsten müssen. Tut dies aber nicht. Lieber behält man die Glacéhandschuhe an und huldigt dem marktradikalen Credo, dass sich der Staat nicht in die Wirtschaft einmischen solle.

Doppelt wichtig wären starke, gut dotierte Arbeitsinspektorate gerade in Zeiten der Pandemie. Luca Cirigliano sagt: «Es ist ja absurd, wenn Branchen und Betriebe Schutzkonzepte gegen das Coronavirus erstellen, aber kaum jemand kontrolliert diese. Und wenn, dann kommt in gewissen Kantonen ein Laie wie ein Kantonspolizist.» Jetzt sollen die kantonalen Gewerkschaftsbünde aktiv werden. Mit einem Mustervorstoss werden sie in den Kantonen Druck gegen die teils krasse Unterbesetzung der Inspektorate machen.


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