50 Jahre Frauenstimmrecht

Die Gesetzesmacherin: Dora Schmidt

Dore Heim

Dora Schmidt war eine kämpferische Ökonomin und die erste Bundesbeamtin der Schweiz. Dann mobbte ihr Chef sie raus. 

FRAU DR. SCHMIDT: Die Basler Grossbürgertochter liess sich von Männerspielchen nicht abschrecken und wurde trotzdem abserviert. (Foto: Sozialarchiv)

An ihrer ersten Stelle bei der Schweizerischen Bankgesellschaft in Zürich trifft die junge Emilie Lieberherr auf eine ganz ungewöhnliche Chefin: Dora Schmidt. Lieberherr nennt diese Begegnung «meine politische Initialzündung». Emilie, die katholische Eisenbahnertochter, und Dora, die protestantische «Basler Dame», sind ab jetzt auch ausserberuflich ein eingespieltes Team. Unterwegs auf Frauenkongressen und an den Fackelmärschen der Stimmrechtsbewegung. Nach dem Scheitern der Abstimmung von 1959 fordert Schmidt von Lieberherr: «Sie müssen jetzt auf die Barrikaden gehen!» Worauf diese den berühmten «Marsch nach Bern» vorbereitet.

Die kämpferische Ökonomin Dora Schmidt kam 1895 in grossbürgerlichem Haus in Basel zur Welt. Die Mutter stammt aus einer Bremer Kaufmannsfamilie und ist in den Worten ihrer Tochter «eine selbstvergessene, hingebende Mutter alter Prägung», der Vater ist Theologieprofessor. Dora erhält standesgemäss eine gute Bildung, studiert Philologie und Geschichte. Die Wirtschaftskrise zum Ende des Ersten Weltkriegs bringt die Wende: Dora Schmidt steigt in das Zweit­studium der Nationalökonomie ein und arbeitet daneben beim Gewerbeinspektorat in Basel-Stadt, zuständig für den Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter.

ERSTE BUNDESBEAMTIN

1925 wechselt die promovierte Dora Schmidt ins Volkswirtschaftsdepartement beim Bund. Dort übernimmt sie eine neue Stelle zu Fragen der Frauenarbeit, die auf Druck der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geschaffen worden ist. Diese wollte nicht mehr akzeptieren, dass die Schweiz an die jährlichen Konferenzen nur Männer schickt. Frau Dr. Schmidt, fachlich bestens gerüstet, geistig agil und unerschrocken, ist die Idealbesetzung. Sie wird als erste Frau 1. Adjunktin im Bundesarbeitsamt, dem späteren Biga. Keine war je so hoch oben und keine macht eine solche Knochenarbeit wie sie: Sie formuliert Gesetzesentwürfe und legt dem Bundesrat Botschaften vor: zur Heimarbeit, zur Regelung der Dienstbotenfrage, zum Jugendschutz. Sie scheut keinen Aufwand und ist binnen Kürze gefürchtet und geachtet.

Sie wird Abgesandte des Bundes an der Saffa, der ersten schweizerischen Ausstellung zur Frauen­arbeit von 1928. Und setzt mit Hilfe der Frauenorganisationen das Mindestalter 15 für Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt in der ganzen Schweiz durch.

MOBBING VON GANZ OBEN

Zehn Jahre geht es gut. Dann kommt es zum Wechsel im Bundesrat. Der Freisinnige Hermann Franz Obrecht mag seine Chefbeamtin Dora Schmidt nicht, obwohl auch sie Freisinnige ist. Schmidt ist ihm zu forsch, zu eigenständig. Er macht ihre Leistung schlecht, drückt sie aus Kommissionen raus, erteilt ihr keine Aufträge mehr. 1939 wird auch der Chef des Biga ausgewechselt und Dora Schmidt endgültig kaltgestellt. Bundesrat Eduard von Steiger verschafft ihr die Kommu­nikationsstelle im neuen Kriegs­ernährungsamt. Angefeindet wird Schmidt auch dort. 1942 verlässt sie erschöpft die Bundesverwaltung und geht zur Bankgesellschaft. Hier bekommt sie die Ellbogenfreiheit für ihr frauenpolitisches Engagement und gewinnt neuen Elan. «Männer seien», so schreibt sie 1943, «in der Welt des Unbewussten, des Instinkthaften, beheimatet» und deshalb so schwer für das Frauenstimmrecht zu gewinnen.

Ein Mann überzeugt sie dann doch noch: Mit über 50 heiratet sie einen Jugendfreund und zieht zu ihm in die USA. Trennt sich aber bereits nach vier Jahren wieder. Dora Schmidt erlebt noch die Wahl der ersten Bundesrätin, Elisabeth Kopp, aber nicht mehr deren schmach­vollen Abgang. Sie stirbt 1985 mit 90 Jahren.

work-Serie: Stimmrechtsfrauen

Am 7. Februar 2021 wird das natio­nale Stimm- und Wahlrecht der Frauen in der Schweiz 50jährig. Bis dann wird Gewerkschafterin und Historikerin Dore Heim die unerschrockensten und wichtigsten «Frauenrechtlerinnen» in einer work-Serie porträtieren. Bisher gewürdigt wurden: Katharina Zenhäusern, die als erste Schweizerin abstimmen ging. Iris von Roten, eine der radikalsten Denkerinnen der Sache der Frauen. Emilie Lieberherr, «Animal politique» wie keine andere Politikerin in der Schweiz. Josi Meier, die CVP-Politikerin, die sich eine eigene Meinung leistete. Und Martina Hälg-Stamm, die Pionierin in Mostindien.
Alle Teile der Serie gibt es hier.

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