Seco sabotiert Wirtinnen, Hoteliers, Kulturschaffende und Gewerbler:

Corona-Geld hat’s genug, man müsste nur wollen

Clemens Studer

Corona-Massnahmen ja, aber nichts bezahlen für die betroffenen Betriebe: das ist die Devise der rechten Parteien und der Wirtschaftsverbände. Mit verheerenden Folgen.

HARTE KOST: Eine Mitarbeiterin im Restaurant La Cigogne in Delémont macht das Lokal dicht. Der Kanton Jura befindet sich im Lockdown. (Foto: Keystone)

Das Coronavirus hat die Schweiz heftig im Griff. Heftiger als die Nachbarländer. Doch während dort die Regierungen den Tiger in den Massnahmentank packen, beschliesst die Schweiz national gesehen nur Büsi-Massnahmen (siehe Artikel unten). Verantwortlich für das Gezaudere sind die Kantone, die rechten Parteien und die marktradikalen Wirtschaftsverbände. Das gleiche Gruselkabinett lässt gleichzeitig Hunderttausende Lohnabhängige, Wirte, Gewerblerinnen und Kulturschaffende seit Monaten im Regen stehen (siehe Box).

Beispiel Gastronomie: Wenn Kantone unter dem Druck der explodierenden Corona-Ansteckungen die zugelassenen Gäste in Restaurants und Bars auf ein paar Handvoll reduzieren, ist das für viele Betriebe faktisch ein Schliessungsbefehl. Nur: Auf entsprechende Entschädigungen haben die Betroffenen keinen Anspruch. Machen sie «freiwillig» zu, bleiben sie auf den Kosten sitzen. Das ist kein zufälliger Mangel im System, sondern politisch gewollt. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sabotierte von Beginn weg effizientere Unterstützungsmassnahmen. Und es wurde ihm auch einfach gemacht von den einfältigeren der Branchenverbände. Zum Beispiel von Gastrosuisse. Ihr Präsident, der Berner Oberländer Hotelier Casimir Platzer, tobte im April so lange auf allen Kanälen, bis die Mehrheit des Bundesrates auf eine Haurucköffnung des Gastgewerbes einschwenkte. Die nötigen Sicherheitskonzepte und Einschränkungen kosten jetzt viele Wirtinnen und Clubbetreiber mehr, als wenn sie ihre Betriebe geschlossen hielten und entsprechend entschädigt würden wie während des Lockdowns.

Ueli Mauer lässt sich für sein Bankenrettungsprogramm feiern.

EIFERER BIGLER

Von «ihrem» Verband verraten wurde auch die Mehrheit der Gewerblerinnen und Gewerbler. Die ganze oberste Spitze des Gewerbeverbands wurde bei den letzten nationalen Wahlen vom Volk abgewählt. Während jedoch der bodenständige Präsident und Sägereiunternehmer Jean-François Rime (SVP) die Konsequenzen gezogen hat und zurückgetreten ist, klammert sich der neoliberale Eiferer und evangelikale Freizeitprediger Hans-Ulrich Bigler immer noch an seinen gutbezahlten ­Direktorenjob. Im Frühling wollte er noch die Grossverteiler verklagen, weil es dort neben Poulets und Polentamais auch Primeli und Grabkerzen zu kaufen gab. Während zum Beispiel die Blumenläden geschlossen bleiben mussten. Migros und Coop sperrten dann die entsprechenden Regale ab. Und Bigler erreichte für die Mitglieder seines Verbandes: grad gar nichts.

Im Gegenteil: Die erzwungene Haurucköffnung der Läden und des Gastgewerbes nutzte das Seco unter dem Berner Boris Zürcher nur allzu gerne, um die Unterstützungsmassnahmen für die Gewerblerinnen und Gewerbler zu kappen. Diese konnten während des Lockdowns von öffent­lichen Geldern profitieren, weil die Schliessungen von den Bundesbehörden angeordnet waren. Doch diese Massnahmen waren dem Seco von Anfang an ein Dorn im Auge, und es hat sie nur widerwillig umgesetzt.

Und was tut eigentlich SVP-­Finanzminister Ueli Maurer in Sachen Corona? Er lässt sich für ein Kreditprogramm für KMU feiern, das in Wahrheit ein Bankenrettungsprogramm war, weil die Kredit-Beziehenden damit in erster Linie Mieten und Versicherungsprämien bezahlten und Kredite bedienten. Für die Löhne der Mitarbeitenden gibt’s ja die Kurzarbeitsentschädigung (nachzulesen hier: rebrand.ly/bankensponsor). Jetzt sagt Maurer: «Wir haben nicht noch einmal 30 Milliarden!» Das ist falsch: Erstens sitzt die Schweizerische Nationalbank auf 800 Milliarden Vermögen. Und hat in den ersten neun Monaten des Coronajahres 2020 schon wieder 15 Milliarden Gewinn gemacht. Dieses Geld gehört uns allen. Und zweitens gehen Schätzungen davon aus, dass pro Jahr in der Schweiz mindestens 30 Milliarden Steuern hinterzogen werden. Weil das politisch gewollt ist. Die ausgedünnten Steuerbehörden schauen sich die Lohnausweise und Steuererklärungen der Lohnabhängigen und Kleinstunternehmerinnen genau an. Obwohl die kaum etwas zu verstecken haben und sich in den meisten Fällen höchstens mal um ein paar Franken bei den Abzügen vertun. Bei den Reichen und Superreichen, bei den Konzernen und Finanzjongleuren schauen die Beamtinnen und Beamten jedoch weg. Denn die können sich ja auch teure Anwälte und clevere Steueroptimierer-Firmen leisten. Aber: dank der vernünftigen Volksmehrheit hat der Bund gerade 300 Millionen pro Jahr gespart. So viel hätte das von den rechten Parteien aufgegleiste Steuergeschenk an reiche Eltern gekostet, das kürzlich an der Urne scheiterte. Diese 300 Millionen wären doch schon mal ein Anfang zur Unterstützung der Kleinstunternehmenden im Kulturbereich.

REICHE WERDEN REICHER

Alles ist möglich, nix ist fix in diesen verrückten Coronazeiten. Stimmt nicht ganz: fix bleibt im aktuellen Wirtschaftssystem, dass das in der Krise steckende Kapital von der Krise profitiert. Die jeglicher Kapitalismuskritik unverdächtige Wirtschaftsprüferin PwC und die Grossbank UBS haben eine bemerkenswerte Studie publiziert: Die 2189 reichsten Menschen der Welt sind in der Coronakrise noch ­reicher geworden. 37 dieser Milliardä­rinnen und Milliardäre leben in der Schweiz. Sie besitzen unterdessen ein Vermögen von 123,5 Milliarden Dollar. Davon hat nicht einmal die Hälfte ihr Vermögen selber zusammengerafft. Die Mehrheit hat den grössten Teil ihres Vermögens geerbt. Eine griffige Erbschaftssteuer für Riesenvermögen wäre auch eine patente Lösung, die Corona-Folgen für die unteren und mittleren Einkommen zu mildern und das Gesundheitswesen allgemeinheitstauglich zu finanzieren. Nur wollen müsste man wollen.

Corona-Hilfe: Eile mit Weile

Die Lage vieler von den Anti-Corona-Massnahmen betroffener Klein- und Kleinstunternehmenden ist dramatisch. Trotzdem sind die dringend ­nötigen Massnahmen noch immer nicht im Kraft, obwohl sie längst auf dem Tisch liegen. Immerhin gibt’s zwei Hoffnungsschimmer. Auf Druck der fortschrittlichen Parteien unterstützen die Wirtschaftskommission des Nationalrates und die Kommis­sion für soziale Sicherheit und Gesundheit eine schnell greifende Härtefallregelung mit A-fonds-perdu-Beiträgen. Jetzt ist der Bundesrat am Zug.

TEIL-MIETERLASS. Und der Nationalrat sagte mit einer hauchdünnen Mehrheit von 91 zu 89 Stimmen Ja zu ­einem teilweisen Mieterlass für ­Corona-Geschädigte. Geschlossen dagegen waren die selbsternannten gewerbefreundlichen Parteien SVP und CVP. Auch der Bundesrat wollte davon nichts wissen. Das Geschäft geht nun zurück an die Nationalrats­kommission zur Regelung der ­Details. Erst in der Wintersession wird der Nationalrat konkret entscheiden.


Dramatische LageGastrosuisse hat gelernt

GASTROBETRIEBE: Besser ganz zu als halb offen. (Foto: Getty)

Lange hat die Spitze des Wirteverbandes Gastrosuisse zu den Haurucköffnern gehört. Mit zum Teil verheerenden Folgen für die Mitglieder. Doch gescheiter zu werden ist auch in Coronazeiten nicht verboten. So steht jetzt auch Gas­trosuisse hinter den Forderungen, die von der Unia seit Ausbruch der Pandemie gestellt werden. Unter anderem: Ausbau der Kurzarbeitsentschädigung auf 100 Prozent inklusive Ferien- und Feiertagsentschädigungen. Wiederausdehnung der Kurzarbeitsentschädigung auf befristete Arbeitsverhältnisse und für Beschäftigte auf Abruf. Härtefallregel rasch in Kraft setzen (siehe Box). Mieterlass.

FÜR DIE KATZE. Die Lage im Gastgewerbe ist dramatisch. Insbesondere auch in Kantonen, die keinen umfassenden Lockdown beschlossen haben, weil hier die Ent­schädigungsmöglichkeiten ein­geschränkt sind.

So erreicht work der Hilferuf einer Wirtin aus Leukerbad VS. Sie schreibt: «Um wirtschaftlich arbeiten zu können, brauche ich einen Tagesumsatz zwischen durchschnittlich 3000 und 4000 Franken am Tag. Nun habe ich seit den neuen Verordnungen im Wallis vom 22. Oktober extreme Umsatzeinbussen. Nämlich im Schnitt nur einen Tagesumsatz von 300 bis 500 Franken pro Tag. Die ganzen Firmenessen, Jahrgänger, Reservationen vom Monat November bis Weihnachten sind alle annulliert. Die Hotels in Leukerbad sind leer, die Ferienwohnungen ebenfalls, die Bäder und die Bahnen sind geschlossen. Die Leute bleiben zu Hause. Es sieht aus wie im März während des Lockdowns. So kann ich nicht arbeiten, ich kann nicht offen lassen für die Katze. Die Fixkosten erdrücken mich sonst schon. Eine Öffnung unter dem momentanen Teillockdown ist eine Katastrophe und für unsere Firma nicht stemmbar.» Unterdessen hat das Wallis die Restaurants geschlossen.

«Eine Öffnung unter dem Teillockdown ist eine Katastrophe.»

LIEBER LOCKDOWN. Auch Gastro­unternehmer Michel Péclard, der im Kanton Zürich 13 Lokale betreibt, fände einen harten Lockdown (mit entsprechender Entschädigung) besser verkraftbar für die Branche. Er sagte der NZZ: «Ein Lockdown wäre für uns die bessere Lösung gewesen.»

Wie dringlich ein Mieterlass für die Branche ist, zeigt das Beispiel des Traditionshotels Ascot in Zürich Enge. Hotelier Christian Frei musste nach 27 Jahren Konkurs anmelden. Grund: die miserable Auslastung wegen Corona – und die Weigerung des Hausbesitzers, bei der Miete Entgegenkommen zu zeigen. Frei zog rechtzeitig die Reissleine und sagte dem «Tages-Anzeiger»: «Es ist genügend Geld auf dem Konto für die Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.»


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