Deutsche Fleischindustrie: Also doch kein Leiharbeits-Verbot?

Billigfleisch-Gigant Tönnies kann weiterwursteln

Johannes Supe

Der Covid-Skandal der deutschen Fleisch­industrie schreckte die Politik auf. Doch dann machten sich die Lobbyisten ans Werk. Sie klammern sich ans miese Geschäftsmodell der Branche.

SAUEREI: Die Arbeitsbedingungen bei Tönnies sind miserabel. (Foto: Keystone)

Ein Wunder, dass niemand starb. Deutschland, Mitte Mai: Innert kürzester Zeit erkranken beim Billigfleischhersteller Tönnies mehr als 1500 Arbeiter an Covid-19. Dutzende müssen ins Spital; die Region um die Stadt Gütersloh, in der die Fleischfabrik steht, wird ­unter Lockdown gestellt (work berichtete). In der Folge beeilen sich deutsche Politiker, die Zustände anzuprangern. Über Monate feilt die Regierung an einem Gesetzesentwurf. Bereits ab ­Januar 2021 sollen neue Regeln für die Fleisch­industrie gelten. Doch dann verschwindet die Vorlage von der Tagesordnung. Ob und in welcher Form sie wiederkommt ist bis heute unklar.

Wenige Branchen sind so von prekären Arbeitsbedingungen geprägt wie die deutsche Fleischindustrie. Nur ein Bruchteil der Arbeiterinnen und Arbeiter ist bei den Firmen selbst angestellt. Stattdessen setzt die Industrie auf Werkverträge und Leiharbeit (siehe Kasten). Meist sind es Migrantinnen und Migranten, die für ein paar Euro chrampfen sollen.

So funktioniert’s: Leiharbeit und Werkverträge

LEIHARBEIT: Leiharbeiterinnen und -arbeiter sind bei einer Leiharbeitsfirma angestellt und werden von dieser etwa an Industrie-, Bau- oder Fleischbetriebe «ver­liehen». In der Praxis werden Leih­arbeitende deutlich schlechter bezahlt als Festangestellte, teils liegt der Lohnunterschied bei mehreren Hundert Euro. Die NGG geht davon aus, dass etwa 5000 Leiharbeiterinnen und -arbeiter in der Fleischindustrie tätig sind.

WERKVERTRÄGE: Mit einem Werkvertrag verpflichtet sich eine Partei (Firma, Selbständiger), gegen Bezahlung ein Werk zu erbringen, beispielsweise ein Kunstwerk anzufertigen oder so und so viel ­Stücke Fleisch zu zerlegen. Da es sich nicht um Arbeitsverträge handelt, sind die Leistungserbringenden gesetzlich deutlich schlechter geschützt als reguläre Beschäf­tigte. Werkvertragsfirmen machen daraus ihr Geschäft. Nach neuen Zahlen der deutschen Bundes­regierung beruhen 48’000 Stellen in der Fleischindustrie – auf Vollzeit gerechnet – auf Werkverträgen. Das sind rund 63 Prozent ­aller Stellen der Branche.

HAARSTRÄUBEND

Einer, der die Zustände ganz genau kennt, ist Freddy Adjan. Als stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) beschäftigt er sich seit Jahren mit der Fleischindustrie. Für ihn ist klar: Zwischen den Arbeitsbedingungen und den miserablen hygienischen Zuständen in der Branche gibt es einen ­Zusammenhang. Gegenüber work erklärt er: «Teils sind Dutzende Arbeiter in einer einzigen, kleinen Wohnung untergebracht. An den Haustüren habe ich schon Klingelschilder gesehen, auf die man zwanzig Namen gequetscht hat. Und dafür, dass sie in überfüllten Räumen schlafen, in die einfach Matratzen gelegt wurden, müssen die Arbeiter dann noch 200 bis 300 Euro an die Werkvertragsfirma zahlen.»

Dazu kämen oft extreme Arbeitstage von mehr als zwölf Stunden. Und der Druck, auch bei Krankheit zu arbeiten, da viele der Werkvertragsfirmen sich um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall drückten. Gewerkschafter Adjan sagt, die Fleischindustrie selbst hingegen foutiere sich um ihre Verantwortung. «Immer wieder mussten wir von grossen Firmen wie Tönnies oder Westfleisch hören, sie seien nicht zuständig. Die Arbeiter seien ja nicht bei ihnen angestellt.»

«Die deutsche Fleischwirtschaft hat schon immer jede Lücke im Gesetz genutzt.»

NOCH MEHR DUMPING

Damit hätte ab Januar 2021 Schluss sein sollen. Ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleisch­industrie sah der ­Gesetzesentwurf der Bundesregierung vor. Doch plötzlich stellten sich die konservativen Koalitionspartner von der CDU/CSU quer. Auf ihr Drängen verschwand der Entwurf vor der entscheidenden Sitzung des Parlaments Ende Oktober. Denn die lobbyierenden Unternehmen hätten gern ein Gesetz, das ihnen weiterhin den Einsatz von Leiharbeitern erlaubt.

Also Werkverträge nein, Leiharbeit ja? Gewerkschafter Adjan hält das für verheerend. Er befürchtet, dass die Fleischindustrie den Wegfall der Werkverträge durch vermehrten Einsatz von Leiharbeit ausgleichen würde. Da die nur zum Teil reguliert sei, böte sich den Unternehmen wieder die Möglichkeit, Löhne zu drücken und tarifvertragliche Regelungen zu umgehen. Geändert hätte sich dann lediglich die Form des Lohndumpings. Und eines weiss der NGG-Mann aus seiner Erfahrung: «Die deutsche Fleischwirtschaft hat sich immer dadurch hervorgetan, dass sie jede Lücke im Gesetz auch nutzt.»


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