50 Jahre Frauenstimmrecht

Die Provokateurin: Iris von Roten

Dore Heim

Am 7. Februar 1971 gestanden die Schweizer Männer den Frauen doch noch das Stimm- und Wahlrecht zu. Nach einem zermürbenden Kampf. Eine der radikalsten Kämpferinnen für die Sache der Frau war Iris von Roten.

IRIS VON ROTEN: Sie war eine Pionierin und radikale Kämpferin für die Sache der Frauen. (Foto: Keystone)

«Hure oder Irre»? Das fragten sich die beiden Streifenpolizisten, als sie in der Nacht vom 5. Dezember 1955 eine Frau in Hose und Pelzmantel den Seilergraben in Zürich hocheilen sahen. Sie hatte keinen Ausweis bei sich und verweigerte die Auskunft, wohin sie unterwegs sei und wo sie übernachten werde. Sie sei Journalistin und Anwältin und könne, wenn sie wolle, bis nach Ziegelbrücke weiterwandern, ohne irgendjemandem Rechenschaft schuldig zu sein, meinte sie. Die beiden Polizisten verhafteten sie.

Blitzgescheit, gebildet, blendend aussehend und maximal unabhängig: das war Iris von Roten, die Urheberin des ersten Urnengangs der Frauen im März 1957 in Unterbäch im Wallis. Es ging um die Zivilschutzpflicht der Frauen. Drum wollte man sie auch dazu befragen. Doch die Stimmen jener 33 Frauen, die sich tatsächlich zu stimmen trauten, wurden vom Kanton für ungültig erklärt.

«Ich wollte ein Fenster aufstossen.»

IM LAUFGITTER

Ein Jahr später, im Sommer 1958, publizierte Iris von Roten ihr Buch «Frauen im Laufgitter», eine radikale Kritik der herrschenden Verhältnisse in der Schweiz. Die promovierte Juristin skandalisiert die tiefen Löhne, die miesen Arbeitsbedingungen und die ­untergeordnete Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Sie prangert die Entmündigung der Ehefrauen, die politische Rechtslosigkeit und sexuelle Unterwerfung der Frauen an. Und sie entlarvt jegliche Argumentation mit der «Natur der Frauen» oder mit der «Mutterliebe» als perfide Strategie, um die Frauen kleinzuhalten, um sie «im Laufgitter» anzubinden.

PRIESTERIN DES HAUSES

Kurz vor Erscheinen des Buchs war in Zürich die Saffa, die Leistungsschau zur Arbeit der Frauen, angelaufen. Die an der Ausstellung beteiligten Frauenverbände verfolgten mit der Saffa das (nicht genannte) Ziel, die Männer vom Frauenstimm- und -wahlrecht zu überzeugen. Man wollte den Beitrag der Frauen im Berufsleben, in der Familienarbeit, im Haushalt, in Vereinen und den Landeskirchen aufzeigen um so ihre ­gesellschaftliche Mündigkeit zu untermauern. Man tat (fast) alles, um die Geneigtheit der Männer zu gewinnen. Der Ausstellungsrundgang begann zum Beispiel im «Tempel der Hauswirtschaft» mit der Frau als «Priesterin des Hauses».

Aber all das verfing nicht: am 1. Februar 1959 wurde das Frauenstimm- und -wahlrecht mit 66 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Nur gerade in den drei Kantonen Genf, Waadt und Neuenburg gab es eine Mehrheit der Männer für ein Ja.

Im Vorwort zur Erstausgabe von «Frauen im Laufgitter» schreibt Iris von Roten selbstbewusst: «Hier ist das Buch, das ich mit zwanzig Jahren gern gelesen hätte.» Und 1990 bilanziert sie kurz vor ihrem Tod: «Ich wollte ein Fenster aufstossen.» Das hat sie definitiv getan.

work-Serie: Jubiläums-Jahr

Am 7. Februar 2021 werden es genau 50 Jahre her sein, dass die Frauen in der Schweiz das ­nationale Stimm- und Wahlrecht er­hielten. Bis dann wird Gewerkschafterin und Historikerin Dore Heim die unerschrockensten und wichtigsten «Frauen­rechtlerinnen» in einer work-Serie ­porträtieren. In der ersten Folge war es Katharina Zenhäusern, die als erste Schweizerin abstimmen ging. rebrand.ly/zenhaeusern

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