USA: Rassistische Cops und Wirtschaftspolitik

Es war Lynchmord

Ralph Hug

Amerika brennt: Weil sich Rassismus und ­Ungleichheit in den USA heute noch verstärken. In allen ­Lebensbereichen.

RASSISMUS TÖTET: Ein Demonstrant redet in Tucson, Arizona, auf schwerbewaffnete Polizisten ein. Im letzten Jahr kamen über 1000 Menschen in den USA durch Polizeigewalt ums Leben. Ein Viertel davon waren Afroamerikaner. (Foto: Keystone)

Fast neun Minuten dauerte George Floyds Kampf. Dann war er tot. Der Afroamerikaner erstickte unter dem Folter-Knie des weissen Polizeioffiziers Derek Chauvin. Ein Beamter, gegen den schon mehrere Klagen wegen gewalttätigen Verhaltens hängig sind. Doch der Mann blieb weiterhin im Dienst. Nach landesweiten Protesten muss sich Chauvin jetzt wegen Mordes verantworten. Doch alle Daten sprechen dagegen, dass er je bestraft wird (siehe Box).

BLACK LIVES MATTER

Scharf ist deshalb die Kritik der prominen­testen Wortführerin der Protestbewegung «Black Lives Matter» (Schwarze Leben zählen). Keeanga-Yahmatta Taylor sagt: «Für Schwarze sind die USA ein gescheiterter Staat.» Er schütze sie nicht davor, dass die Polizei Jagd auf sie mache und die Täter ungestraft blieben. «Black Lives Matter» entstand 2015 als Reaktion auf den Mord an den beiden Afroamerikanern Michael Brown in Missouri und Eric Garner in New York. Die Bewegung ist inzwischen global und prangert auch in Frankreich, Deutschland und der Schweiz rassistisch motivierte Gewalt öffentlich an.

Floyds Tod wirft ein grelles Licht auf den grassierenden Rassismus im überwiegend weissen Polizeikorps. Doch dieser ist der US-Gesellschaft tief eingeschrieben, seit vor 400 Jahren verschleppte Sklavinnen und Sklaven auf den Baumwollplantagen der Südstaaten chrampfen mussten. Lange Zeit herrschte in den USA eine Art Apartheid. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten fielen ­afroamerikanische Menschen Lynchmorden zum Opfer. Zwischen 1877 und 1950 wurden fast 4000 Morde gezählt. Cornel West, einer der führenden afroamerikanischen Intellektuellen und Professor an der Universität Princeton, zieht denn auch eine direkte Linie von diesen Lynchpraktiken zur heutigen Polizeigewalt. Er bezeichnet Cop Chauvins Tat als «Lynchmord».

«Für Schwarze sind die USA ein gescheiterter Staat.»

WIRTSCHAFTLICHE DISKRIMINIERUNG

Die Polizeigewalt ist das eine. Die wirtschaftliche Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung das andere. Auch beim Zugang zu Bildung und Wohlstand hat sie nicht dieselben Chancen. Das zeigen neue und eindrückliche Daten der Washingtoner Denkfabrik Brookings Institute. In Minnea­polis, wo George Floyd lebte, verdienen afroamerikanische Haushalte weniger als die Hälfte der weissen Haushalte. Die Hälfte der afroamerikanischen Haushalte können drei Monate ohne Einkommen nicht überstehen. Vom Jobwachstum profitierte die dortige schwarze Gemeinschaft kaum. Auch ging die Zahl der schwarzen Hausbesitzenden seit der Finanzkrise aufs Niveau der 1960er Jahre zurück. Die Analyse hält fest: «Floyds Tod ist nicht nur ein Versagen der Polizei, sondern der ganzen US-Wirtschaftspolitik.»

RASSISTISCHE GEWERKSCHAFT

Verschärfend hinzu kommt jetzt die Coronakrise. 22,4 Prozent der Coronatoten sind Schwarze, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung nur 12,5 Prozent beträgt. Analysen führen die hohe Todesrate auch auf schlechte Unterkünfte und dicht bewohnte Wohnblocks zurück. Und afroamerikansche Arbeitnehmende werden nun zuerst entlassen und bleiben länger arbeitslos. Die Kluft zu den Bessergestellten wächst. Und das linke Economic ­Policy Institute bilanziert: «Der anhaltende Rassismus produziert Ungleichheiten in nahezu allen Aspekten des Lebens.»

Zwar gab es in der Vergangenheit durchaus Polizeireformen. Doch sie scheiterten alle, weil rassis­tische Vorstellungen bereits in ­Gesetze ge­gossen sind. So geniessen Polizei­beamte in ­ihrem Kampf gegen «gefährliche ­Kriminelle» weitgehende Immunität. Die «Bruderschaft der Polizei», eine einflussreiche Lobby, schützt fehlbare Beamte vor Verurteilungen. Ebenso tut dies die konservative Polizeigewerkschaft. Die Politik, Schwarze vermehrt in den Polizeidienst einzubinden, hat die Gewalt nicht gebremst. Zudem haben die Polizeikorps massiv aufgerüstet.
Durch George Floyds Tod sind jetzt auch die Gewerkschaften gefordert. Demonstrierende protestierten in Washington auch vor der Zentrale des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO. Afroamerikanische Arbeitnehmende fühlen sich von ihm nicht vertreten. Dies, obwohl Präsident Richard Trumka den Mord scharf verurteilt hat. Linke Stimmen fordern schon lange eine konsequent antirassistische Ausrichtung der Gewerkschafts­arbeit. Nur so werde es Gerechtigkeit für George Floyd ­geben. Inzwischen haben Städte wie New York oder Minneapolis teils weitreichende Polizeireformen angekündigt.

Blutspur von Polizei­gewalt: Sie töten straflos

George Floyd ist kein Einzelfall. In den letzten Wochen kamen auch Ahmaud Arbery in Georgia, Breonna Taylor in Louisville und Tony McDade in Tallahassee zu Tode. Alle schwarz, alle durch rassistische Polizei­gewalt. Diese Fälle erregten kein Aufsehen. Denn sie sind Alltag in den USA.

RISIKO. Gemäss dem Datenprojekt «Mapping Police Violence» kamen allein letztes Jahr 1099 Menschen bei Polizeieinsätzen um, ein Viertel davon waren schwarz. Das Risiko, durch Polizistenhand zu sterben, liegt für Schwarze dreimal höher als für Weisse. Fast immer kommen die Täter straflos davon. In 99 Prozent der Fälle kommt es nicht einmal zu einer ­An­klage. «Das ist Staatsversagen», sagt die ­Kritikerin Keeanga-Yahmatta Taylor (siehe ­Artikel).


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