Frauen & Corona: Als erste entlassen, als letzte wieder eingestellt

Die Krise ist weiblich

Patricia D'Incau

Die Rezession, in die wir jetzt rutschen, ist eine «Sie-Rezession». Denn sie trifft die Frauen zuerst und mehrfach.

CRASH-ERPROBT: Coiffeusen haben ohnehin einen harten Job, mit der Coronakrise wird er jetzt noch härter. (Foto: Keystone)

Die Frauen führten durch die Coronakrise und garantierten die Grundversorgung für alle: Die Verkäuferinnen, die die leergefegten Regale einräumten. Die Pflegerinnen, die mit immer weniger Schutzmasken immer länger durchhielten. Und als die Schulschliessungen kamen, waren es die Mütter, die neben ihrer bezahlten Arbeit den Grossteil des Heimunterrichts stemmten (siehe Artikel links). Jetzt kommt die Rezession. Und es sind weltweit mehrheitlich Frauen, die ihre Jobs verlieren.

Corona trifft vor allem typische
«Frauen-Branchen».

«ZWEITVERDIENERINNEN»-MODELL

Die US-Tageszeitung «New York Times» nennt die aktuelle Wirtschaftslage eine «Shecession», eine «Sie-Rezession». Also eine Rezession, die vor allem die Frauen trifft. Und diese ist in den USA schon brutale Realität. Von den 36,5 Millionen Menschen, die innert nur zweier Monate ihre Stellen verloren haben, sind 55 Prozent Frauen. Gastroangestellte, Kosmetikerinnen, Verkäuferinnen – sogar Pflegerinnen und Ärztinnen. Denn: Diese Krise trifft zuerst und am härtesten die Dienstleistungsbranchen. Und dort arbeiten vor allem Frauen.

Auch in der Schweiz. Rund zwei Drittel der Detailhandelsangestellten sind weiblich, im Gastgewerbe sind es 56 Prozent. Und auch wenn die Kurzarbeit den Entlassungs-Tsunami (noch) etwas eingedämmt hat, zeigen die Statistiken klar: Die Krise trifft auch hier die typischen «Frauenbranchen» am stärksten – und die Arbeitenden finanziell hart. Denn: Wer in den Dienstleistungsbranchen mit Kurzarbeit nur noch 80 Prozent des bisherigen Lohns erhält, kommt oft kaum mehr über die Runden. Weil die Löhne dort ohnehin schon niedrig sind (siehe «1 × 1 der Wirtschaft»).

In der weltweiten Finanzkrise von 2008 war die Situation anders: Damals traf der grosse Crash die besser bezahlten «Männer­domänen» als erstes, allen voran die Export­industrie. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) stellte jedoch einen bemerkenswerten Effekt fest: In der Finanzkrise und danach ging die Beschäftigung in der Metall- und Maschinen-Branche bei den Frauen stärker zurück als bei den Männern. Die naheliegende Vermutung: Frauen werden in Krisen als erste entlassen und als letzte wieder eingestellt. Besonders trifft es Migrantinnen.

Zumindest international ist das mittlerweile belegt: Kurz vor der aktuellen Corona­krise veröffentlichte ein US-Forschungsteam in der «Cambridge University Press» eine Studie, für die es Daten vergangener Krisen aus 68 Ländern ausgewertet hat. Es stellt fest, dass sich selbst in fortschrittlichen Staaten in Krisenzeiten die Idee durchsetzt, dass «Männer ein grösseres Recht auf einen Job haben als Frauen». Und: In vielen Unternehmen werden Frauen nach wie vor als «Zweitverdienerinnen» gesehen. Und darum als erste geschasst, wenn Krise ist. Doch es ist nicht «nur» das.

DIE KRISE NACH DER KRISE

Selbst in jenen Krisen, in denen Frauen von der ersten Entlassungswelle verschonter bleiben als die Männer, treffen sie die sogenannten nachgelagerten Effekte wie zum Beispiel staatliche Sparmassnahmen tendenziell härter, weil mehrfach.

Staatliche Sparpakete bedeuten meist einen Abbau im Gesundheits- und Betreuungsbereich, im Bildungssektor und bei den Sozialleistungen. Das spüren Frauen ganz direkt. Denn Kürzungen in der Kinderbetreuung oder in der Pflege haben zur Folge, dass vor allem Frauen diese Lücke in ihrem privaten Umfeld füllen und im Berufsleben zurückstecken müssen. Streichungen bei den Sozialleistungen treffen Frauen ebenfalls überproportional. Sie sind etwa wegen tieferer Löhne eher auf staatliche Unterstützung angewiesen. In der Schweiz sind 60 Prozent jener Personen, die Ergänzungsleistungen (EL) beziehen, weiblich. Anders als in der Finanzkrise von 2008 trifft die Coronakrise die Frauen jetzt schon von Anfang an und nicht erst «nachgelagert». Auch weil sie Teilzeit arbeiten. Und Firmen Teilzeitjobs zuerst streichen. Es ist deshalb umso dringender, dass sie bei den Konjunkturmassnahmen mitreden und mitentscheiden können. Das fordern nun über 50 Frauenorganisationen von links bis bürgerlich. Mit einem breit abgestützten Appell (rebrand.ly/frauen-appell) machen sie klar: «Der Bundesrat und das Parlament stehen in der Verantwortung, die wirtschaftlichen Folgen der Corona­krise für alle abzumildern.» Auch für die Frauen. Dafür müsse ihre spezifische Situation berücksichtigt werden. Doch in den Corona-Entscheidungsgremien sitzen bisher fast nur Männer (siehe «Der Krisenstab ist ein Männerstab»).


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