Pflegerin Lea Daum (30) ist immer noch fassungslos:

Corona-Horror auf der Demenzstation

Patricia D'Incau

Weil die Leitung den Gesundheitsschutz ­vernachlässigte, brach auf der Pflegestation zweimal ­Corona aus. Pflegerin Lea Daum arbeitete durch. Und steckte sich schliesslich selber an.

LEA DAUM: «Alle, die sich dem Virus ausgesetzt haben, um dieses Land am Laufen zu halten, müssen sich gratis testen lassen können. Und endlich mehr Lohn bekommen.» (Foto: Yoshiko Kusano)

Der Husten ist noch da. Aber nach fast zwei Wochen Quarantäne darf Lea Daum ihre zweijährige Tochter endlich wieder in die Arme nehmen. «Sie nicht sehen zu dürfen, war das Schlimmste für mich», sagt Daum am Telefon. Der Ärger ist gross, wenn sie von den ver­gangenen Wochen erzählt. Denn: Ihre ­Corona-Ansteckung war kein Zufall. Sondern passierte, weil ihre Vorgesetzten zu lange kaum Sicherheitsmassnahmen ergriffen. Und das ausgerechnet im Gesundheits­bereich! Auf einer Station voller Risikopatientinnen und -patienten. Und in einer Institution, die zu hundert Prozent dem Kanton gehört.

AM ANSCHLAG

Daum arbeitet als Psychiatrie-Pflegerin mit Demenz- und Delir-Patienten, die sich oder andere gefährden. «Alles Ältere, die zur Corona-Risikogruppe gehören», sagt sie. Doch als der Bundesrat Mitte März den Quasi-Lockdown verhängt, ändert sich an ihrem Arbeitsplatz vorerst wenig. Ausser ­einer Weisung an die Angestellten, die lautet: Wer Corona habe, aber keine Symptome zeige, solle mit Maske weiterarbeiten.

Heute sagt Daum: «Schon da hätten alle auf der Station getestet werden müssen.» Doch das wird nicht ­gemacht. Und so zeigt sich das Virus erst, als eine Mitarbeiterin Covid-Symp­tome bekommt.

Kurz darauf erkrankt die erste Patientin, danach weitere. Die Station wird unter Quarantäne gestellt. Alle, die mit den Corona-Kranken in Kontakt gekommen sind, werden separat isoliert. Unter den Patientinnen und Patienten verbreitet sich die Angst, manche reagieren mit Gewalt. Daum sagt: «Wir sind sowieso schon jeden Tag mit Schlägen und Beleidigungen konfrontiert.» Die Quarantäne verschärft die Situation. Trotzdem wird das Personal nicht aufgestockt, obwohl es schon in normalen Zeiten knapp ist.

«Ich bleibe jetzt so lange hier sitzen, bis ihr mich testet.»

GEFAHR HERUNTERGESPIELT

Dazu kommt die Angst vor einer Ansteckung. «Wir haben durchgearbeitet, ohne zu wissen, ob wir selbst das Virus weiterverbreiten. Das ganze Risiko wurde auf uns abgewälzt.»

Die Verantwortlichen spielen die Gefahr lange herunter. Daum erzählt: «Noch Ende März hiess es an einer Info-Veranstaltung: ‹Ihr müsst keine Angst haben, ihr werdet euch vermutlich nicht anstecken.›» Die Pflegerin traut ihren Ohren kaum: Schliesslich ist sie bei ihrer Arbeit nah an den Menschen, Abstand halten funktioniert nicht. «Um zu beruhigen, braucht es manchmal eine Umarmung. Und wenn jemand spuckt und um sich schlägt, nützt selbst eine Maske nicht viel.»

Immer wieder fordert sie deshalb, dass die Klinik flächendeckend testen lässt. Die Pflegenden genauso wie die Patientinnen und Patienten. Und zwar regelmässig. Doch: «Die Leitung lehnte das ab.»

Auch die übrigen Schutzmassnahmen werden nach der ersten ­Corona-Welle nicht verschärft. Im ­Gegenteil: «Als die Quarantäne fertig war, hiess es, wir müssten jetzt keine Masken mehr tragen.» Und innerhalb einer Woche nimmt die Station zehn neue Patientinnen und Patienten auf  – ohne sie auf Corona zu testen. So kommt es dann, wie es kommen muss: Rund zehn Tage nach der ersten Corona-Welle bricht die zweite aus. Auch Daum fühlt sich angeschlagen – und lässt jetzt nicht mehr locker. «Nach meiner Schicht habe ich gesagt: Ich bleibe jetzt so lange hier sitzen, bis ihr mich testet.» Endlich willigt die Klinik ein. Daums Corona-Test ist positiv.

KEINE SCHICHTPLÄNE MEHR

Erst da setzt die Klinik einen Pandemiestab ein, die Schichten werden aufgestockt, und: «Endlich wird getestet», sagt Daum. Doch dass es zwei ­Corona-Wellen und fast ein Dutzend Ansteckungen brauchte, bis endlich etwas passierte, macht die Pflegerin noch immer fassungslos. «Wir wurden mit der Gefahr einfach allein­gelassen.» Und mittlerweile weiss Daum: Nicht alle der angesteckten ­Patientinnen und Patienten haben überlebt.

Dazu kommt, dass die Mitarbeitenden jetzt auch noch das angerichtete Chaos ausbaden müssen. «Weil unklar ist, wie es weitergeht, haben wir jetzt nicht einmal mehr Dienstpläne. Wir arbeiten quasi nur noch auf Abruf», erzählt Daum.

Nach der ganzen Odyssee ist für Lea Daum klar: «Alle, die sich dem Virus ausgesetzt haben, um dieses Land am Laufen zu halten, müssen sich gratis testen lassen können. Und endlich mehr Lohn bekommen.» Damit meint sie nicht nur das Gesundheitspersonal, sondern auch Kita-Angestellte und Verkäuferinnen.

Pflege: Am Limit

Zu wenig Schutz und akuter Personalnotstand: Die Corona-Krise zwingt die Pflegerinnen und Pfleger an ihre Grenzen. Doch die Probleme, mit denen sie kämpfen, sind nicht neu. Das zeigen drei Unia-Umfragen. Eine ist eine Corona-Umfrage.

AUSGEBRANNT. In allen drei zeigen sich die massiven Probleme der Pflegeleute: Personalmangel, Zeitdruck, Überstunden und Spardruck. Eine Mehrheit der Befragten fühlt sich oft müde und ausgebrannt. Deshalb möchten sie ihr Arbeits­pensum senken, können sich das aber nicht leisten. Ausgebildete mit einer Lehre und ohne Zusatz­ausbildung verdienen trotz Vollzeitpensum mehrheitlich nur zwischen 4000 und 5000 Franken.

Alle Ergebnisse unter: rebrand.ly/pflege-umfrage und rebrand.ly/corona-umfrage


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2 Kommentare

  1. David Conceprio

    Bravo Lea!
    Endlich jemand der auf die Hinterbeine steht und
    echli Meis macht. Immer wird nur geredet und gemacht wird nichts. Schönschwätzerei auf Kosten deren, die unser Karren am Laufen halten. Weiter so, bis die Herrschaften mal kapieren, worum es geht, nämlich um unsre Gesundheit und nicht um deren Portemonnaie…..

  2. Cristina Almajali

    Nichts wird sich ändern.
    Bin Seit 30 Jahren in diese Beruf, leer versprechen und wenn dann nur die j die schöne Augen machen können. Ausser schön, drin verdorben .

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