Corona im Altersheim: Pfleger Jan Honegger (28) und Pflegerin Sandra Schmied (50) erzählen

«Bei den ersten Symptomen ist es schon zu spät»

Christian Egg

Immer wieder kommt es in Altersheimen zu Corona-Ausbrüchen mit vielen Kranken und Todesfällen. Und meistens passiert das «auf einen Chlapf».

Der Anfang war banal. Jemand unter den Pflegenden fühlt sich nicht fit und wird positiv auf Corona getestet. Die Leitung des Altersheims im Kanton Bern schickt die Person sofort nach Hause. Aber kurz darauf werden weitere Pflegende krank. Jetzt werden alle getestet, auch die Seniorinnen und Senioren. Es ist eine Woche vor Weihnachten.

Das Resultat war ein Schock, erinnert sich Sandra Schmied, 50, die in der Pflegeabteilung des Heims arbeitet: «Bei uns waren von 26 ­Bewohnerinnen und Bewohnern 23 positiv. Und von den 20 Mitarbeitenden waren es 18. Auf einen Chlapf!»

Schmied und eine Kollegin sind negativ und arbeiten weiter, unterstützt von Pflegenden aus anderen Häusern. Heute ist das Heim zwar wieder frei von Corona. Aber die hohe Belastung hat Spuren hinterlassen. Schmied: «Wöchentlich fällt bei uns ­jemand aus wegen irgend­einer Krankheit.» Kürzlich sei ihr plötzlich heiss und schwindlig geworden, berichtet die Pflegefachfrau. «Ich ging zum Arzt. Der sagte: Frau Schmied, sie sind erschöpft.» Manchmal komme sie sich vor wie in einem Krieg, sagt sie: «Der Ausnahme­zustand hört einfach nicht auf. Seit bald einem Jahr.»

«Ich komme mir manchmal vor wie in einem Krieg.»

KEINE ZEIT ZUM TRAUERN

Bei Jan Honegger, 28, Pfleger in einem Thurgauer Altersheim, ist unklar, wer das Virus ins Heim einschleppte. Auch hier wird der erste Pfleger, der erkrankt, sofort heimgeschickt – aber auch hier ist es schon zu spät: In der Wohngruppe werden alle 30 Bewohnerinnen und Bewohner und auch alle Pflegenden positiv getestet. Honegger selber wird jetzt in die ­Corona-Wohngruppe versetzt: Er hatte sich bereits wenige Wochen zuvor im Zivildienst mit Corona angesteckt – und ist jetzt immun.

Fast einen Monat lang wütet das Virus. Acht der betagten Menschen sterben. Honegger sagt: «Phasenweise war ich emotional auf der Kippe. Kaum war jemand gestorben, war schon wieder die nächste Person in kritischem Zustand. Wir hatten nicht einmal Zeit zum Trauern.»

Endlich, kurz nach Weihnachten, ist das Gröbste überstanden. Honegger wechselt in seine angestammte Wohngruppe zurück. Am ersten Tag kommt eine neue Bewohnerin. Der Coronatest zeigt: Sie ist positiv. Obwohl sie bis zum Vorliegen des Resultats in Quarantäne war, verbreitet sich das Virus jetzt in Honeggers Wohngruppe, «wohl über uns Mitarbeitende», wie er sagt. Die Bilanz hier: 14 von 20 Bewohnerinnen und Bewohnern erkranken und 10 von 15 Mitarbeitenden.

«Phasenweise war ich emotional auf der Kippe.»

TESTEN, TESTEN, TESTEN

Trotz aufwendiger Schutzmassnahmen kommt es in Heimen immer wieder zu Corona-Ausbrüchen. Mit fatalen Folgen: Von den 6800 Corona-Toten seit Beginn der zweiten Welle im Oktober starb die Hälfte in Altersheimen. Pfleger Honegger sagt heute: «Wer Symptome zeigt, hat wahrscheinlich schon andere angesteckt. Dann lässt sich ein Ausbruch nicht mehr stoppen.»

Das einzige, was helfen würde: Trägerinnen und Träger des Virus identifizieren, bevor sie krank werden. Dazu braucht es regelmässige, flächendeckende Tests. In allen Heimen. Seit letzter Woche übernimmt der Bund die Kosten dafür. Das Heim von Jan Honegger hat reagiert und testet jetzt wöchentlich. Bei Sandra Schmied gibt es dagegen keine breiten Tests mehr, seit der Ausbruch vorbei ist.

Impfungen im Altersheim: Uri vorn, Bern schnägglet

Der kleine Kanton Uri war der erste. Schon am 15. Januar konnte er melden: Alle Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen haben die erste Corona-Impfdosis erhalten. Ende Januar hat dies auch Luzern bereits geschafft. Gegenwärtig sind beide Kantone daran, die zweiten Impfdosen zu verabreichen.

Auch Basel-Stadt hat fürschi gemacht. Auf ­Anfrage von work gibt der Kanton bekannt, dass rund 2000 der 2700 Menschen in Heimen die erste Dosis bekommen haben (Stand 1. Februar). Bis spätestens Ende Februar sollen es alle sein. Im Thurgau wurden bisher knapp die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner zum ersten Mal gepiekst, in Zürich erst rund ein Drittel. Noch langsamer ist Bern. Hier liegt die Quote gar erst bei 16 Prozent.

SCHLUSSLICHT. Der bernische Gesundheitsdirektor und SVP-Mann Pierre Alain Schnegg macht die aktuellen Lieferengpässe für den langsamen Takt verantwortlich. Nur: Der Kanton Bern hat bis Ende Januar vom Bund 63 000 Impfdosen ge­liefert bekommen. Gespritzt hat er davon erst 24’000. Gemessen an der Bevölkerung hat Bern die tiefste Quote an Corona-Geimpften der ganzen Schweiz.

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