Lockdown: Blocher-Partei drückt auf Hauruck-Exit – mit Inseraten

SVP im Corona-Fieber

Marie-Josée Kuhn

In riesigen Inseraten erklärt die SVP dem Bundesrat und seiner Corona-Politik den Krieg. work hat ihre Behauptungen an der Realität gemessen. Punkt für Punkt.

SCHWER MASKIERT: Um im Bundeshaus aufzufallen, ist SVP-Nationalrätin und EMS-Chefin Magdalena Martullo-Blocher kein Aufwand zu gross. (Foto: Keystone)

SVP-Vorwurf 1: «Die befürchtete ‹Corona-Welle› ist ausgeblieben. Viele Spitäler stehen leer, müssen selber Kurzarbeit anmelden. Selbst die Intensiv­stationen für Corona-­Erkrankte haben viel Platz.»
Tatsache ist: Zu Beginn der Corona-Krise wusste niemand, mit wie vielen Fällen man in welchen Kantonen rechnen musste. In der ganzen Schweiz wurden nichtdringliche Operationen deshalb verschoben. Überall wurden zusätzliche Intensivbetten mit Beatmungsgeräten eingerichtet. Im Tessin, dem am meisten betroffenen Kanton, reichten die Kapazitäten knapp aus. Auch in der Westschweiz war die Auslastung zeitweise sehr hoch. Dank den Massnahmen des Bundesrates, die von SVP-Bundesrat Ueli Maurer bekämpft wurden, sank die Zahl der Neuinfizierten, der Kranken auf den Intensivstationen und der Toten schnell

Jetzt kann in der Schweiz wieder überall operiert und therapiert werden. Das Schweizer Gesundheitssystem funktioniert also! Und das Spitalpersonal würde mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen verdienen.

Doch wir müssen jetzt sehr aufpassen, dass wir nicht in eine zweite Corona-Welle hineinlaufen, denn das wäre für die Schweiz noch viel teurer. Und für uns noch unangenehmer. Der Bundesrat muss vorsichtig bleiben.

SVP-Vorwurf 2: «Mit dem fast kompletten Lockdown, der mit den aktuellen Entwicklungen nicht mehr zu rechtfertigen ist, wird unsere ganze Wirtschaft zugrunde gerichtet. Jeder vierte Schweizer Berufstätige ist heute bereits in Kurzarbeit oder schon arbeitslos.»
Tatsache ist: Wir haben es national und international mit dem grössten Wirtschaftseinbruch seit den 1930er Jahren zu tun. Deshalb arbeiten derzeit so viele Leute nicht oder weniger. Für alle Lohnabhängigen mit kleinen und mittleren Einkommen braucht es deshalb 100 Prozent Kurzarbeitsgeld (statt nur 80 Prozent). Das ist auch für die Belebung der Binnenkonjunktur dringend nötig!

Zudem ist die Schweiz export­abhängig, die Konjunktur hängt stark von der Nachfrage im Ausland ab. Das wäre auch bei einem Hauruck-Exit so.Wir sind darauf angewiesen, dass die Wirtschaft international zum Laufen kommt. Denn die Schweiz ist ein Land der Zulieferer. Und die Fabriken in der Schweiz werden nur zuliefern können, wenn Europa mit grossen Konjunkturprogrammen die Wirtschaft belebt.

SVP Vorwurf 3: «Die Pleitewelle steigt rapide an! Selbständige und kleinere Firmen stehen vor dem Ruin!»
Tatsache ist: Es wird keine grosse Pleitewelle geben, wenn die Politik handelt. 1. Selbständige müssen Beiträge von Bund und Kantonen erhalten. So wie dies der Bundesrat mit Verspätung und gegen den Willen von SVP-Bundesrat Ueli Maurer nun beschlossen hat. 2. Die Kurzarbeit muss so lange weitergeführt werden, wie dies notwendig ist. Und 3. ist der Vorschlag der Konjunkturforschungsstelle (KOF) bedenkenswert. Sie verlangt nämlich, dass kleine und mittlere Unternehmen die Liquiditätsspritzen nur dann zurückzahlen müssen, wenn sie falsche Angaben gemacht haben oder die Umsatzverluste kompensieren konnten.

SVP-Vorwurf 4: «Der Bund sowie die Kantone schiessen Tag für Tag Milliarden Franken in ein Fass ohne Boden. Bereits sind 62 Milliarden Franken zugesagt – Geld, das wir Steuerzahler am Ende zahlen müssen! Die Verschuldung von Bund und Kantonen steigt so ins Unermessliche!»
Tatsache ist: Überall auf der Welt kämpfen Staaten und Nationalbanken gemeinsam gegen eine drohende De­pression. Das FED, die amerikanische ­Nationalbank, übernimmt deshalb jetzt sogenannte Junk-Bonds, Hochzinsanleihen, von kleinen und mittleren Betrieben. Die Bank von England wiederum druckt digitales Geld und ­finanziert so den Staat.

Pro Einwohnerin oder Einwohner hat die Schweizer Nationalbank ein Vermögen von 100’000 Franken. Und somit gesamthaft 800 Milliarden Franken Reserven. Mit anderen Worten: Geld, das uns Steuerzahlenden gehört, ist genug da, um die Corona-Rechnung zu begleichen (siehe auch Artikel auf Seite 3). Diese wird sich wohl auf eine dreistellige Zahl Milliarden Franken belaufen. Bund, Kantone, Gemeinden und Sozialwerke dürfen und müssen am Ende der Krise nicht überschuldet dastehen. Doch noch rutscht die Nationalbank untätig auf der Reservebank herum.

SVP-INSERAT: Die Behauptungen halten der Realität nicht stand.

SVP-Forderung 1: «Schaffen Sie mit Hochdruck endlich genügend Masken und Tests an!»
Tatsache ist: Wir wissen nicht, ob Masken unter dem Strich etwas bringen. Oder ob sie uns nachlässig machen. Der bisherige Erfolg der Corona-Politik des Bundesrates belegt aber: Die Zahl der Neuinfektionen ging auch ohne Masken stark zurück. Jetzt kauft die Schweiz Masken wie wild. Eindeutig zu spät.

Dass die Armeeapotheke keine Depots an Atemmasken angelegt hatte, ist richtig. Bereits 2006 warnte die ehemalige SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer in einem Vorstoss vor einer Pandemie-Gefahr. Damals sass auch noch SVP-Bundesrat Christoph Blocher in der Landesregierung. Doch auch er nahm das Ganze nicht wirklich ernst (siehe Spalte rechts).
Und was ist mit den fehlenden Tests? Alles hängt davon ab, wann ­Roche genügend wird liefern können.

SVP-Forderung 2: «Stoppen Sie die Diskriminierung der kleinen Läden gegenüber den Grossverteilern. Auch diese sollten am 27. April wieder öffnen dürfen.»
Tatsache ist: Hier ist der Bundesrat richtigerweise zurückgekrebst. Viele kleine Läden bleiben zwar noch zu. Aber die Grossverteiler dürfen auch weiterhin grosse Teile ihres Angebots nicht verkaufen.

SVP-Forderung 3: «Lassen Sie Restaurants unter Einhaltung von Schutzmassnahmen rasch wieder öffnen.»
Tatsache ist: Es gibt bisher keine vernünftigen Schutzkonzepte für die Mitarbeitenden und die Gäste (siehe Artikel auf Seite 5). Und: Die Margen der ­Restaurants sind sehr knapp. Wenn ein Restaurant nur mehr halb so viele Gäste bedienen darf, dann werden die Wirtinnen und Wirte Geld verlieren. Davor warnen sie sogar selber.

SVP-Forderung 4: «Die systematischen Grenzkontrollen sind aufrechtzuerhalten.»
Tatsache ist: Die Grenzkontrollen werden vorerst bleiben. Wir werden diese schrittweise und kontrolliert lockern. Gemeinsam mit unseren Nachbarn.

SVP-Forderung 5: «Stellen Sie die verfassungsmässige Ordnung wieder her und beenden Sie rasch den Lockdown.»
Tatsache ist: Der Bundesrat handelt nach Verfassung und Gesetz. Genauer: nach dem Pandemiegesetz beziehungsweise Epidemiegesetz. Christoph Blocher sagt heute, er habe damals im Nationalrat dagegen gestimmt. Tatsache ist: Zweimal war 2012 im Nationalrat darüber abgestimmt worden. Und beide Male fehlte Blocher laut Parlamentsprotokoll bei der Abstimmung. Alles also heisse SVP-Luft.

Das Fazit von work: Was die SVP wirklich will, ist weniger Sozialstaat in der Krise. Ihre Rezepte führen nachweislich zu mehr Arbeitslosen und mehr Konkursen. Das versucht sie allerdings zu vernebeln. Deshalb müssen die Gewerkschaften auch weiterhin Gegensteuer geben und Druck machen.


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1 Kommentar

  1. Thomas Melone

    Für irgendwelche fiktiven Bedrohung scheint es der gleichen Partei dann wiederum keine Rolle mehr zu spielen Milliarden auszugeben (siehe neue Kampfflugzeuge)

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