Wohnungsmarkt-Expertin Jacqueline Badran (59) schlägt Alarm:

«Die Mieten sind 40 Prozent zu hoch: So kann es nicht weitergehen!»

Ralph Hug

Auf dem Immobilienmarkt herrschen Renditewahn und Mietpreisspirale, sagt die schärfste Kritikerin der Immobilienlobby, die Zürcher Nationalrätin ­Jacqueline Badran (59). Deshalb brauche es ein Ja zur Wohninitiative, über die wir am 9. Februar abstimmen.

PRIVILEGIERTE LAGE: Wohnungen und Büroräume an der mondänen Europaallee in Zürich. (Foto: Peter Bialobrzeski/laif/Keystone-SDA aus seiner Serie «Zurich Diary»)

work: Im Zürcher Seefeld muss man für eine Dreizimmerwohnung mit 125 Qua­dratmetern schon 7350 Franken hin­legen. Pro Monat!
Jacqueline Badran: Ich habe dieses Inserat auch gesehen. Wahnsinn!

Kein Einzelfall. Seit der Finanzkrise sind die Mieten in der Schweiz im Schnitt um 14 Prozent gestiegen, obwohl sie im gleichen Zeitraum hätten sinken müssen. Denn der Hypozins ist um mehr als die Hälfte gesunken, von 3,5 auf 1,5 Prozent. Was läuft schief auf dem Wohnungsmarkt?
Dieser Markt ist speziell. Alle müssen wohnen und brauchen Boden. Deshalb herrscht hier Zwangskonsum. Im Immobilienmarkt kann man maximale Renditen abschöpfen, weil wir alle ein Dach über dem Kopf brauchen. Wir müssen also zahlen und machen die Faust im Sack.

JACQUELINE BADRAN. Seit 2011 politisiert die 59jährige Zürcherin als SP-Nationalrätin. Ihre fulminanten Voten in den Debatten sind legendär. Die studierte Biologin und Ökonomin hat sich vor allem in der Wohn- und Bodenpolitik engagiert. In Zürich trug sie wesentlich dazu bei, dass die grösste Schweizer Stadt den genossenschaftlichen Wohnbau vorbildlich fördert. (Foto: Lunax)

Der Anstieg der Mieten in letzter Zeit ist enorm. Warum dreht die Spirale unaufhörlich nach oben?
Vergessen Sie die Vermieterin oder den Vermieter, die ihre Mieterschaft noch persönlich kannten und Rücksicht nehmen konnten. Heute sind Immobiliengesellschaften im Vormarsch, die nur eines kennen: Rendite bolzen für die Aktionärinnen und Aktio­näre. Ihretwegen wird Wohnen immer teurer. Und zwar für alle, nicht nur für die Leute mit dem kleinen Portemonnaie.

Aber das Mietrecht sollte Mieterinnen und Mieter vor solchen Preisexplosionen doch schützen!
Tut es aber nicht. Unser Mietrecht basiert zwar auf dem richtigen Prinzip der Kostenmiete. Das heisst, Vermieterinnen und Vermieter dürfen ihre Kosten überwälzen plus eine angemessene, bescheidene Rendite erzielen. Die Rendite ist somit gedeckelt. Das Bundesgericht hat definiert, was angemessen ist: Hypozins plus 0,5 Prozent. Macht heute also 2 Prozent. ­Alles, was darüber liegt, ist illegal. Doch heute werden Renditen von 4 bis 6 Prozent eingefahren. Wir haben einen gross­flächig illegalen Zustand im Wohnungsmarkt. Gemäss einer Raiffeisen-Studie liegen die Mieten um 40 Prozent über dem, was das Gesetz erlauben würde.

Wie konnte es so weit kommen?
Die Immobilienbranche konnte ihre Gewinn­interessen ungebremst durchsetzen. Heute müssen die Mieterinnen und Mieter selber eine überhöhte Rendite einklagen. Früher war das anders. Bis in die 1970er Jahre hinein gab es eine Mietpreiskontrolle. Vermieter, die zu viel heuschten, wurden belangt und mussten die Mieten senken. Sogar Bürgerliche waren für die Kontrolle. Weil nämlich die Unternehmer reklamierten, sie müssten ständig die Löhne erhöhen, damit ihre Mitarbeitenden die hohen Mieten bezahlen könnten.

Heute müssen alle Mieterinnen und ­Mieter selber kontrollieren, ob sie abgezockt werden, und sich dann wehren.
Was bekanntlich die wenigsten machen. Es ist auch eine Zumutung! Dieser Zustand ist, wie wenn man zwar Tempolimiten erlässt, aber keine Blechpolizisten aufstellt und darum keine Bussen verteilt. Dann fahren eben alle viel zu schnell, ist ja logisch. Der Mietmarkt wirkt wie ein riesiger Staubsauger, der den Leuten das Geld aus der Tasche zieht. Gemäss Berechnungen sind es seit 1985 jedes Jahr 14 Milliarden Franken, die wir für überhöhte Renditen zahlen. Da sind gerade auch die Gewerkschaften in der Pflicht.

Wieso?
Was nützt denn eine einprozentige Lohnerhöhung, wenn die Mieten explodieren? Stets wird über die Krankenkassenprämien gejammert. Dabei ist die Miete in einem Haushalt der mit Abstand grösste Ausgabenposten. Und während wir für unsere teuren Prämien wenigstens ein gutes Hightech-Gesundheitswesen erhalten, kassieren die Immobilienhaie ihre Renditen völlig leistungslos ein.

Der Mietmarkt wirkt wie ein
Staubsauger, der den Leuten das
Geld aus der Tasche zieht.

Der Gewerkschaftsbund unterstützt ja die Wohninitiative des Mieterinnen- und Mieterverbands, über die wir am 9. Februar abstimmen. Was will sie?
Dass der Bund endlich etwas gegen diesen Skandal tut. Wir brauchen Instrumente wie das Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand oder Zonen für preisgünstiges Wohnen, damit gemeinnützige Bauträger vorwärtsmachen können. Die Genossenschaften vermieten Wohnungen, die bis zu 25 Prozent günstiger sind als jene von kommerziellen Immobilienfirmen. Weil sie nämlich auf Profit verzichten und konsequent die Kostenmiete anwenden. Doch ihr Anteil am Wohnungsmarkt stagniert seit Jahren unter 5 Prozent. Das will die Initiative zu Recht schleunigst ändern.

Konkret soll jede zehnte neu gebaute Wohnung gemeinnützig und damit günstiger sein. Das sei unrealistisch, sagen die bürgerlichen Initiativgegner.
Im Gegenteil, es ist ein sehr moderates Ziel! Ist es einmal erreicht, wären ja 90 Prozent der Wohnungen immer noch in kommer­zieller Hand. Es geht darum, den Marktanteil der gemeinnützigen Genossenschaften zu vergrössern. Nur so wird es mehr bezahlbare Wohnungen geben. Mit vielen Lügen im Abstimmungskampf versucht die Immobi­lienlobby, dies zu verhindern.

Zum Beispiel?
Die Rede ist etwa von «Verstaatlichung des Wohnungsmarkts». Blödsinn! Es geht darum, dass Bund, Kantone und Gemeinden endlich wieder eine aktive Wohnpolitik machen. Das sei keine «Staatsaufgabe», behaupten die Gegner. Das Gegenteil ist wahr. Sie kennen offenbar unsere Verfassung nicht! Dort steht in Art. 41 klipp und klar, dass sich der Bund dafür einsetzt, dass Wohnungs­suchende für sich und ihre Familien eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können. In Art. 108 steht ­ausdrücklich, dass der Bund die gemeinnützigen Wohnbauträger fördert. Und in Art. 109 steht, dass missbräuchliche Mieten mit zu hohen Renditen verboten sind. Wohnpolitik ist eine Staatsaufgabe mit gleich drei Verfassungsaufträgen.

Die grösste Lüge sind aber die angeblichen «Subventionen» an Genossenschaften. So betiteln die Gegner der Wohninitiative die Bundesbeiträge aus dem Fonds für den genossenschaftlichen Wohnbau. Doch das sind gar keine Subventionen, sondern verzinsliche, rückzahlbare Darlehen! Der Bund verdient sogar noch daran, weil er das Geld auf dem Kapitalmarkt billiger aufnehmen kann, als er es ausleiht. Es ist für ihn somit ein Geschäft, und zwar erst noch ein risikoloses. Es gab noch nie Ausfälle bei den Rückzahlungen.

Tiefe Mieten und eine gute AHV sind die beste Altersvorsorge.

Die Gegner sagen, die geplante Auf­stockung dieses Fonds de roulement um 250 Millionen Franken reiche aus. Es brauche keine zusätzlichen ­Massnahmen.
Schön wär’s! Der Fonds ist zwar ein Super­instrument für die Genossenschaften, damit sie mit wenig Kapital bauen können. Aber das reicht bei weitem nicht. Vor allem die Gemeinden müssen viel aktiver werden. Dazu braucht es ein Vorkaufsrecht. Sie sollen geeignete Grundstücke aufkaufen können und diese im Baurecht an gemeinnützige Genossenschaften abgeben. So entstehen auf breiter Fläche günstige Wohnungen. Die Gemeinden profitieren davon gleich dreifach: Das Baurecht spült ihnen jedes Jahr einen Zins in die Kasse. Zweitens bleibt die Wertsteigerung des Bodens von jährlich 3 bis 6 Prozent im Volksvermögen und landet nicht in privaten ­Taschen. Und drittens finanzieren diese ­Erträge auch noch die Investitionen, die bei allen Bauprojekten nötig sind. Hier liegen denn auch die wahren Subventionen!

Das müssen Sie uns erklären!
Die Immobilienbranche ist die am meisten subventionierte Branche im Land. Dagegen sind die Bauern Pipifax. Die öffentliche Hand investiert jedes Jahr Milliarden in Schulhäuser, Strassen, ÖV, Pärke und Infrastruktur. Das sind alles wertsteigernde Investitionen für die umliegenden privaten Immobilien. Ist ein Schulhaus um die Ecke, kann man mehr Miete verlangen. Wohnungen sind plötzlich doppelt so viel wert. Dafür sagt die Branche aber nie danke! Umgekehrt fallen die Immobilienpreise sofort, wenn die öffentliche Hand nicht mehr investiert.

Grosse Wohnungsbestände gehören den Pensionskassen. In Basel warf die staatliche Pensionskasse bei einer Sanierung sogar ältere Mieterinnen und Mieter auf die Strasse, um die Rendite zu erhöhen. Die Rechtfertigung lautete, sie müsse halt die Renten ihrer Ver­sicherten finanzieren. Muss sie das?
Ein Wahnsinn, der zeigt, wie absurd sich unser System mittlerweile entwickelt hat. Wir finanzieren mit überteuerten Mieten bürokratische Pensionskassen, die hohe Verwaltungskosten haben und erst noch 10 Prozent Gewinn aus dem Bruttoertrag ihrer Anlagen abschöpfen dürfen. Dabei sind moderate Mieten die beste Altersvorsorge. Machen Sie doch die Rechnung: In einer Genossenschaft zahlen Sie für die tupfgleiche Vierzimmerwohnung 25 Prozent weniger als bei einem kommerziellen Vermieter. Sie zahlen also zum Beispiel 1500 statt 2000 Franken Miete pro Monat. Dadurch sparen Sie monatlich 500 Franken, jährlich 6000 Franken und in einem ganzen Arbeitsleben zu einem Prozent verzinst etwa 300’000 Franken. Geld, das Sie fürs Alter auf die Seite legen können. Übersetzt heisst das nichts anderes als: Tiefe Mieten und eine gute AHV sind die beste Altersvorsorge, die es gibt. Wir müssen mit unserem sauer verdienten Geld wirklich nicht noch aufgeblähte Pensionskassen alimentieren.

Initiative: Für mehr bezahlbare Wohnungen

Die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» des Mieterinnen- und Mieterverbands verlangt, dass 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen gemeinnützig in Kostenmiete ­erstellt werden sollen. Um dies zu erreichen, sollen die Gemeinden eine aktive Wohn­politik betreiben und ein Vorkaufsrecht an Grundstücken erhalten. So können Genossenschaften im Baurecht günstige Wohnungen erstellen. Weiter will die Initiative ver­hindern, dass bei Sanierungen preisgünstige Wohnungen verloren gehen. Die Initiative wird von SP, Grünen, Gewerkschaftsbund ­sowie von den Genossenschaftsverbänden unterstützt.

 


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