Fabian, Fanny, Nadia, Patricia, Vesna & Jonas streiken fürs Klima

Die Erde brennt

Anne-Sophie Zbinden

Sie sind jung, voller Tatendrang und wollen nichts weniger als eine ökologische Revolution. work hat sechs Aktivisten und Aktivistinnen der Klimabewegung in Zürich getroffen.

KLIMA-NOTSTAND. Um die grosse Katastrophe abzuwenden, streiken Jugendliche auf der gazen Welt. Auch in der Schweiz. (Foto: Geralt/Pixabay)

work: Ihr opfert eure Freizeit, riskiert unentschuldigte Absenzen und geht bei frostigen Temperaturen auf die Strasse. Wieso macht ihr mit beim Klimastreik?
Fabian: Ich sass in der Berufsschule, in der Pause, und plötzlich war da Greta* (siehe Glossar unten) im Netz. Ich dachte mir ‹wow, die sagt was, die bewegt was›. Und dann ging es blitzschnell. Ein paar Tage später war ich an der Demo.

Fanny: In Australien gingen mega viele Schülerinnen und Schüler für das Klima auf die Strasse, das war sicher ein wichtiger Moment. Und natürlich das CO2-Gesetz, das der Nationalrat verwässert und dann bachab geschickt hat. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Nadia: Wir leben in einer Zeit der sozialen Bewegungen. Ich bin auch beim Frauenstreik engagiert, und es gibt immer mehr Öko­feministinnen*.

Jonas: Ich glaube, die Klimabewegung ist auch eine Gegenreaktion auf den Rechtspopulismus.

Patricia: Ich bin Teil dieser Bewegung, weil sie sich die grundlegendsten Fragen des Lebens stellt. Weil sie eine Dynamik ermöglicht, in der wir alle versuchen, eine bessere Welt zu schaffen. Weil ich mich wohl fühle, weil wir achtsam miteinander umgehen. Weil wir gemeinsam Prozesse anstossen, die alleine zu viel Kraft brauchten. Weil sie mir Hoffnung gibt und mich vertrauen lässt. Und weil ich etwas tun kann.

Innert kürzester Zeit hat sich der Klimastreik in der ganzen Schweiz aus­gebreitet. Was macht die Bewegung aus?
Fanny: Wir sind buntgemischte Jugendliche mit dem Wunsch, die Welt zu retten. Wir fordern Klimaschutz und sind basisdemokratisch organisiert. Das macht uns aus. Wir ge­hen sehr respektvoll miteinander um, jeder und jede ist willkommen.

Nadia: Unsere Bewegung ist extrem vielfältig und bunt. Was uns aber eint, ist das Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann. Die Klimakatastrophe wird unsere Generation stärker treffen als alle früheren Generationen – wir können es uns schlicht nicht mehr erlauben zu glauben, irgendwie komme es dann schon gut. Denn noch können wir die schlimmsten Auswüchse der Klimakatastrophe verhindern. Und genau das wollen wir mit den Klimastreiks erreichen. Lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass sich niemand sonst Sorgen um den Klimawandel mache – dass ich allein sei. Der Klimastreik hat mir das Gegenteil bewiesen. Das gibt mir Hoffnung.

KAPITALISMUSKRITIK

Das Klimaabkommen von Paris fordert, dass die globale Durchschnitts­temperatur um nicht mehr als 2 Grad ­Celsius steige. Um das zu erreichen, müssen laut Weltklimarat die CO2-­Emissionen bis 2030 um 45 Prozent sinken und 2050 auf netto null fallen. Wie können wir das erreichen?
Vesna: Wir haben zwei Forderungen. Wir fordern, dass die Schweiz bis 2030 CO2-neutral sei und deshalb ohne fossile Brennstoffe funktioniere. Und wir fordern den Klimanotstand. Den haben ja verschiedene Städte (London, Oakland, Vancouver, Red.) bereits ausgerufen.

Was ist denn für euch der Klimanotstand?
Jonas: Notstand bedeutet, dass der Klimawandel als Problem über allem steht. Wenn wir das nicht lösen, dann spielt alles andere keine Rolle mehr.

Patricia: Wir haben den Notstand noch nicht genau definiert. Viel wichtiger ist doch, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, wie dieser Notstand aussieht. Wir sprechen darüber, was sich alles grundlegend ändern müsste. Weil wir in einem riesen Ungleichgewicht sind mit der Natur. Mit den anderen Menschen und auch mit uns selber. Wir hoffen, dass es ein Umdenken gibt. Dass die Konzerne nicht mehr all die Dinge produzieren, die wir gar nicht wollen und die uns schaden.

Ihr wollt also weniger Konsum. Ist das auch eine Kritik am Wirtschaftssystem, am Kapitalismus?
Fanny: Ich weiss nicht. Wir sind ja mega breit aufgestellt, nicht alle sind dieser Meinung. Aber es stört mich schon sehr, dass ich gar keine Möglichkeit habe, CO2-neutral zu leben. Es geht einfach nicht. Da muss man doch was verändern.

Nadia: Ich finde, das kapitalistische System ist nicht vereinbar mit Umweltschutz, und auch nicht mit einer so drastischen Reduktion der Treibhausgase, wie wir sie brauchen. Aber an der ersten nationalen Sitzung haben wir es leider nicht geschafft, einen Konsens zu finden bezüglich Systemwandel.

Jonas: Ich finde, wir haben das ziemlich clever gelöst. Wir haben nur zwei Forderungen, und die sind nicht verhandelbar. Wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden, dann müssen wir das System veränderm.

Nadia: Also, ich bin schon für eine Postwachstums-Ökonomie*.

System oder Verhalten ändern? An wen richten sich eure Forderungen?
Fabian: An alle!

Jonas: Man versucht seit 30 Jahren, die Klimaerwärmung zu stoppen, und es hat noch immer nicht geklappt. Darum ist für mich klar: es braucht den Systemwandel. Aber es braucht natürlich auch individuelle Verhaltensänderungen. Sonst kommen wir gar nicht dorthin.

Vesna: Der Grossteil der Bevölkerung wird sich ohne Druck nicht ändern. Beim Rauchen war es auch so. Die Raucherinnen und Raucher haben ja nicht aus Sorge um ihre Mitmenschen damit aufgehört, in Innenräumen zu rauchen. Sondern es brauchte zuerst Vorschriften und Verbote.

Fanny: Die grüne Bewegung versucht schon lange, den Leuten zu sagen, ‹fliegt weniger, esst weniger Fleisch, kauft Kleider aus nachhaltiger Produktion›, aber das hat nichts genützt. Die Treibhausgasemissionen steigen immer weiter.

Nadia: Die Emissionen beginnen bei der Produktion von Gütern. Also muss die Reduktion dort beginnen. Dann müssten wir nicht mehr entscheiden, kaufen wir jetzt Bio oder nicht, sondern wir hätten nur noch Produkte aus nachhaltiger Produktion. Sonst bleibt es eine mega Luxusfrage, weil sich nicht alle Bio leisten können.

Konzentriert sitzen die fünf Jugend­lichen da, nippen an ihren Chais mit ­Hafermilch, hören einander diszipliniert zu. Um ihre Zustimmung kundzutun, schütteln sie die Hände in der Luft. Das Zeichen für Klatschen in der Gebärdensprache. Das hätten schon die 68er so gemacht, erklärt Jonas.

Sind die 68er Vorbilder für euch?
Fanny: Nicht wirklich. Aber es wäre mega cool, wenn wir so in die Geschichte eingehen würden.

Jonas: Wenn wir unsere Forderungen durchsetzen, dann wären die 68er ja ein Klacks dagegen. Dann wäre es der grösste Umbruch in der Geschichte der Menschheit.

Also nicht die 68er Bewegung. Aber wer sind denn eure Vorbilder?
Nadia: Greta Thunberg ist sehr toll und macht einen unglaublich guten Job. Aber gleichzeitig wird von den Medien verbreitet, dass wir alle so sein wollen wie sie. Sosehr ich auch schätze, was sie macht, glaube ich doch, dass wir unsere eigenen Vorbilder sind. Wir inspirieren uns gegenseitig.

Fanny: Als ich ihre Rede sah, in der sie zum Klimastreik aufrief, war ich schon sehr beeindruckt.

Jonas: Ich glaube, wir brauchen keine Vorbilder, weil der Wandel uns alle gleich betrifft. Vielleicht die einen mehr, die jetzt schon mehr unterdrückt sind.

An den Klimastreiks sind Partei-Plakate und Transparente verboten. Wieso wollt ihr keine Verbündeten aus der Politik?
Fabian: Ich fände das falsch, weil wir dann in die Parteipolitik hineingezogen würden. Wenn eine Partei Geld gibt, dann erwartet sie eine Gegenleistung. Ich finde es schön, dass die Bewegung von Schülerinnen und Schülern ist und eben nicht von etablierten Parteien. Das macht den Klimastreik aus.

Nadia: Ich selbst bin bei den Juso und nutze meine Erfahrung und mein Wissen natürlich auch für den Klimastreik. Aber ich denke, wir müssen breiter aufgestellt sein als die Parteien.

VIRTUELLE TREFFEN

Mittlerweile sind in der Schweiz Tau­sende Schülerinnen und Schüler in der Klimabewegung aktiv. Wie organisiert ihr euch?
Patricia: Wir haben Organisationskomitees für spezielle Anlässe und Arbeitsgruppen für Gremien, die es immer braucht. Wie beispielweise Communication, Education und Values, Coordination, Institutional Relations, Strategy and Future. In den Arbeitsgruppen sind es jeweils ungefähr 20 Leute. Sie treffen sich an Discord-Meetings. Das ist eigentlich eine Gamer-Plattform, so ähnlich wie Skype, die wir nun für unsere Treffen nutzen.

Jonas: Mittlerweile sind wir auch international über Discord vernetzt. Aber auch über Facebook und Whats-App-Chats.

Die Jugendlichen sind in dieser digitalen Welt zu Hause, sie gehören zur Genera­tion der Digital Natives. Aber sie können auch ohne. Die Handys bleiben in den Taschen, kein einziges Mal wird das über zweistündige Gespräch unterbrochen. Die Prioritäten sind eindeutig.

SOZIALE ÖKONOMIE

Der Klimawandel bringt mehr von ­Ex­trem-Ereignissen, steigenden Meeres­spiegeln, schmelzenden Gletschern. Wie betrifft euch der Klimawandel konkret?
Jonas: Mich persönlich schränkt der Klimawandel noch nicht ein.

Fanny: Das ist ja das Problem. Man merkt es fast nicht im persönlichen Leben.

Fabian: Ich habe eine Zeitlang bei einem Bauern gearbeitet. Und unter Bauern ist der Klimawandel absolut ein Thema. Zum Beispiel die Apfelsorten, die es in der Schweiz nicht mehr gibt, weil es zu warm ist.

Nadia: Es gibt heute schon Menschen, die klimabedingt migrieren. Menschen im globalen Süden sind vom Klimawandel besonders stark betroffen.

Der Klimawandel ist also auch ein soziales Problem.
Jonas: Ich denke, dass Klimaschutz häufig zulasten der Arbeiterinnen und Arbeiter ging. Wirtschaftswachstum und trotzdem CO2-Emissionen senken, um jeden Preis. Dabei wurde völlig ignoriert, dass da noch Menschen sind im System.

Nadia: Es ist mega wichtig, dass Umweltpolitik mit Sozialpolitik verknüpft wird. Zum Beispiel in Frankreich, wo der ÖV zusammengespart wurde und die Menschen jetzt auf Autos angewiesen sind, um zum Arbeitsplatz zu kommen. Präsident Emmanuel Macron will jetzt auf Kosten dieser Leute Klimaschutz betreiben. Wenn in Frankreich das ÖV-Netz funktionieren würde, hätte es nicht solch grosse Proteste gegen die Treibstoffsteuer gegeben. Statt da aber zu investieren, wurden die Unternehmenssteuern gesenkt. Und ich glaube, es geht um Empathie. Die Empathie bringt Feminismus, soziale Themen und die Umwelt zusammen.

Zurück in die Schweiz. In der Debatte um das CO2-Gesetz im Nationalrat war von bürgerlicher Seite zu hören, dass die Schweiz in Sachen Klimaschutz schon genügend mache.
Fanny: Die Schweiz steht nur so gut da, weil sie Geld im Ausland investiert.

Nadia: Der Finanzplatz ist durch seine Investitionen in fossile Energieträger für viel mehr Treibhausgase verantwortlich, als in der Schweiz produziert werden.

Jonas: Die ganze graue Energie, beispielsweise der Transport von Gütern, wird nicht einberechnet, auch die Flugkilometer nicht. Kommt hinzu, dass die Schweiz einen Grossteil der klimaschädlichen Industrie ins Ausland verlagert hat.

Nadia: Und natürlich müssen auch die ganzen Rohstofffirmen in Genf und Zug zur Verantwortung gezogen werden. Auch mit der Konzernverantwortungsinitiative*!

Viel wurde in den letzten Wochen dar­über diskutiert, ob es legitim sei, für das Klima die Schule zu schwänzen. Wie sind die Reaktionen in eurem Umfeld?
Vesna: Bei uns am Gymi sind die Reaktionen positiv. Ich glaube, es sind viele froh, dass endlich jemand etwas macht.

Fabian: Auch mein Chef hat viel Verständnis.

Fanny: Mein Vater ist sehr froh, dass endlich etwas passiert. Er hat jetzt über 20 Jahre darauf gewartet. Ich musste meinen Eltern jedoch schon erklären, weshalb ich das während der Schulzeit machen müsse. Aber ein Streik muss nun mal auf Schul- oder Arbeitszeit gehen, und solche Aktionen haben während der Schulzeit viel mehr Wirkung.

Bereits 1992 verpflichtete sich die Staatengemeinschaft in Rio de Janeiro mit der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zur Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen. Weshalb kommt es erst jetzt zu einer Protestbewegung?
Fabian: Ich glaube, es ist Trägheit. Es war ja bisher nichts vom Klimawandel fühlbar.

Nadia: Das Problem ist, dass die Freiheit der Wirtschaft viel höher eingestuft wird als der Zustand unseres Planeten.

Fanny: Der Klimawandel wurde halt immer schöngeredet. Viele glaubten daran, dass der Markt und die neuen Technologien die Lösung herbeiführten.

ÖKOLOGISCHER UMBAU

Es gibt doch erneuerbare Energien und technologischen Fortschritt. Etwa die Lagerung von CO2 im Gestein. Sind diese neuen Technologien keine Lösung?
Fanny: Wir reden immer von Technologien, die es noch nicht gibt oder die noch ungenügend erforscht sind. Wenn es jetzt eine Technologie gäbe, um CO2 aus der Atmosphäre zu saugen, dann fände ich das natürlich super und würde das unterstützen. Aber die gibt es nicht. Und deshalb finde ich es sehr fragwürdig, damit zu rechnen.

Nadia: Mit dem Glauben an die Technologien versucht man, das System mit aller Macht am Leben zu erhalten. Mit dem Versprechen, dass wir nichts ändern müssen, da die Technologien alles heilen werden. Das nimmt die Politikerinnen und die Politiker und auch die Wirtschaft völlig aus der Verantwortung. Denn die Technologien gibt es nicht, oder sie brauchten so viel Platz und Energie, dass sie überhaupt nicht mehr effizient wären. Deshalb ist das der falsche Weg.

Und welchen Weg schlägt ihr jetzt ein?
Jonas: Wir haben nicht mehr ewig Zeit, die Klimaziele zu erreichen. Auch wenn diese Bewegung aussterben würde, müsste es logischerweise danach wieder eine Bewegung geben, weil das Problem ja nicht gelöst ist.

Nadia: Es ist mega wichtig, dass wir nicht ausbrennen an dieser Sache. Es bringt ja nichts, wenn wir in zwei Monaten schon nicht mehr können. Wir müssen unsere persönlichen Grenzen respektieren. So wie wir lernen müssen, empathisch mit unserem Planeten umzugehen, so müssen wir auch mit unserer Bewegung umgehen.

Fanny: Ich kann sicher jetzt nicht einfach aufhören, an den Klimaschutz, an den sozialen Wandel zu denken.

Patricia: Das nächste nationale Treffen ist am 24. und 25. Februar in Bern. Und der nächste Streik am 15. März. Es ist klar, dass wir eine Bewegung sind, die Druck aufbauen will. Es ist uns auch wichtig, dass wir nachhaltig sind. Es soll ein soziales Experiment sein. Wir haben Lust auf Veränderung!

GLOSSAR

  • Greta Thunberg: Die 16jährige Schülerin ist eine schwedische Umweltaktivistin (work berichtete). Sie gilt als Gründerin der Klimabewegung. Jeden Freitag protestiert sie vor dem schwedischen Parlament, anstatt in die Schule zu gehen.
  • Ökofeministinnen: Ökofeminismus ist die soziale und politische Bewegung, die ökologische Fragen und Anliegen mit feministischen Analysen verbindet. Ökofeministische Ansätze gehen von der strukturellen Ähnlichkeit der Herrschaft über die Natur und über die Frauen aus.
  • Postwachstums-Ökonomie: Sie bezeichnet eine Verringerung von Konsum und Pro­duktion und damit auch eine Verringerung des Wachstums als ein Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und Wohlbefinden.
  • Konzernverant­wortungsinitiative: Konzerne mit Sitz in der Schweiz sollen bei sich und ihren Tochterfirmen im Ausland sicher­stellen, dass sie die Menschenrechte respektieren und Umweltstandards einhalten, also sorgfältig wirtschaften. Menschrechtsverletzungen und Missachtung von internationalen Umweltstandards sollen neu Konsequenzen haben, und die Konzerne sollen dafür haften. www.konzern-­initiative.ch

 


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