Zum 100. Todestag der Revolutionärin Rosa Luxemburg

Ein Leben im Sturm

Patricia D'Incau

Rosa Luxemburg war eine Jahrhundertfrau. Mit Leidenschaft stritt sie für die Arbeiterbewegung. Und bezahlte dafür mit dem Leben.

ERMORDET: Am 15. Januar verschwindet Rosa Luxemburgs Grabstein jeweils in einem Meer von roten Nelken. (Foto: Keystone)

Aufgewachsen ist sie in Warschau. Berlin sollte ihr Schicksal werden. Aber die Weltbühne betritt Rosa Luxemburg in Zürich.

Am 6. August 1893 beginnt dort der dritte Kongress der sozialistischen Internatio­nale. Luxemburg, Exil-Polin und Studentin in der Schweiz, will als Delegierte teilnehmen. Die polnischen Genossen sind dagegen, wegen politischer Differenzen. Unbeeindruckt davon steigt die 1,46 Meter kleine Luxemburg auf einen Stuhl und stellt zum ersten Mal ihr rhetorisches Talent unter Beweis, mit dem sie später Tausende für sich und die sozialistische Bewegung gewinnen wird.

JUNGE MARXISTIN

Rosa Luxemburg begreift schon als Kind, dass die Teilung in Arm und Reich kein Naturgesetz ist. Als Schülerin schreibt sie: «Für die­jenigen fordere ich Strafe, die heute satt sind, die in Wollust leben, die nicht wissen, die nicht fühlen, unter welchen Qualen Millionen ihr Brot verdienen.» Ihre Überzeugung wächst durch die Theorie: Jung schon studiert sie Marx und Engels, die kapitalistische Produktionsweise, ihre historische Entwicklung und den Zusammenhang mit Krieg, Kolonialismus und globaler Ausbeutung. Mit der «Akkumulation des Kapitals» schreibt Luxemburg später ihr theoretisches Hauptwerk.

Ihre revolutionäre Praxis wird die Agitation. Am 16. Mai 1898 zieht Luxemburg von Zürich nach Berlin. Dort wird sie Wahlkampfhelferin der SPD. Die Partei ist damals noch die Speerspitze der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung. Sie steht für Klassenkampf, Revolution und Sozialismus.

Wenn Rosa Luxemburg
auftritt, sind die Säle übervoll.

ANLAUF ZUR REVOLUTION

Wenn Luxemburg auftritt, sind die Säle voll und übervoll. Bald schreibt sie fast täglich Artikel, redet auf Parteitagen, an Gewerkschaftskongressen und Arbeiterversammlungen. Die Partei wird ihr zur Heimat. Durch den Streit mit den Revisionisten kommt es aber zum ersten Riss. Diese Genossinnen und Genossen halten die Revolution mittlerweile für unwahrscheinlich. Sie träumen, dass der Sozialismus mit Reformen eingeführt werden könne. Luxemburg stellt sich leidenschaftlich dagegen.

Die Geschichte gibt ihr schliesslich recht: 1905 kommt es im zaristischen Russland zum Aufstand. Das zieht Luxemburg in den Osten. Sie schreibt für die Revolutionspresse und kommt ins Gefängnis. Trotzdem sagt sie später, dass «jene Monate, die ich in Russland zubrachte, die glücklichsten meines Lebens» waren.

Als Luxemburg 1906 nach Deutschland zurückkehrt, erwartet sie bereits der nächste Streit. Jener um den «Massenstreik». Weil Streiks im vorrevolutionären Russland eine wichtige Rolle gespielt haben, will Luxemburg die Diskussion anstossen. Die Gewerkschaften sind dagegen, die SPD schwankt, Luxemburg bleibt hart. Doch bevor es zum grossen Knall kommt, beginnt der Erste Weltkrieg.

HINTERHÄLTIGER MORD

Rosa Luxemburg weiss: «Wir haben das Schlimmste zu befürchten.» Trotzdem ist das, was am 4. August 1914 passiert, ein Schock. Die sozialdemokratische Fraktion im Reichstag bewilligt die Kriegskredite. Zum ersten Mal überhaupt. Im Wissen, dass Krieg den Herrschenden nützt, während Soldaten und Arbeiter sterben.

Der Verrat führt zum endgültigen Bruch. Luxemburgs Loyalität gehört den Arbeitenden. Sie fordert Frieden, während die SPD einem Kriegskredit um den anderen zustimmt. Einzig der Abgeordnete Karl Liebknecht weigert sich. Er prägt den Satz: «Der Hauptfeind steht im eigenen Land.»

Luxemburg und Liebknecht werden verhaftet und verbringen einen Grossteil des Kriegs hinter Gittern. 1917 gelingt in Russland mit Lenin an der Spitze die Revolution. Ein Jahr später beginnen auch in Deutschland Streiks und Aufstände. Kaiser Wilhelm setzt sich ins Exil ab. Doch als Luxemburg endlich aus der Haft entlassen wird, sitzt die SPD in der Übergangsregierung. Von einer Revolution wollen die Sozialdemokraten nichts mehr wissen. Kurz vor ihrem Tod gründen Luxemburg und Liebknecht deshalb die Kommunistische Partei. Am 15. Januar werden sie von Freikorps-Soldaten aufgespürt. SPD-Mann Gustav Noske hat die rechten Banden in die Stadt geholt, um die Linken zu bekämpfen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden misshandelt. Und dann erschossen (siehe Artikel unten).

Bis zu einer Million Menschen nehmen von Luxemburg Abschied. Zusammen mit Karl Liebknecht wird sie auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt. Bis heute kommen am zweiten Januarwochenende Tausende zum Gedenken der beiden Sozialisten. Dann verschwindet ihr Grabstein jeweils in einem Meer von roten Nelken. Dem Symbol der Arbeiterbewegung.


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