Der Lohnschutz ist in ganz Europa ein Zankapfel

Das Burgenland lässt freundlich grüssen

Andreas Rieger

Der Konflikt um die flankierenden Massnahmen ist kein Konflikt zwischen Ländern, sondern ein Konflikt ­zwischen Arbeitnehmenden un­d Profiteuren – hüben wie drüben.

NICHT NUR IN DER SCHWEIZ: Lohnkontrollen sind ein wirksamer Schutz gegen Bschiss-Firmen, die nur Dumpinglöhne zahlen. (Foto: Keystone)

Wenn wir den aktuellen Konflikt um die flankierenden Massnahmen verstehen wollen, müssen wir die Fronten genauer anschauen. Und sehen, wer eigentlich hinter dem Angriff aus der EU steckt. Zuvorderst gegen den Lohnschutz weibeln marktgläubige Ideologinnen und Ideologen in der Brüsseler Verwaltung. Sie politisieren in der Tradition des früheren EU-Kommissionspräsidenten Manuel Barroso. Für ihn stand die Freiheit der Unternehmer über allem. Vor allem auch über dem Schutz der Arbeitnehmenden. Diese Ideologie prägt die Unter­lagen für die EU-Delegation, die derzeit mit der Schweiz über ein Rahmenabkommen verhandelt.

GUT FÜR VERNÜNFTIGE PATRONS

Gepusht werden sie von Unternehmern, insbesondere aus Süddeutschland. Diese sind dick im Geschäft mit Aufträgen in der Schweiz und stellen die grösste Gruppe von Unternehmern, die Aufträge in der Schweiz ausführen lassen. Sie entsenden Arbeitnehmende in die Schweiz. Dabei müssen sie das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» einhalten, das heisst, Schweizer Löhne bezahlen. Die flankierenden Massnahmen – auch die Voranmeldefrist von 8 Tagen – sorgen dafür, dass dieses Prinzip eingehalten wird. Genau das ist süddeutschen Unternehmern ein Dorn im Auge. Seit Jahren schicken sie entrüstete Briefe nach Brüssel. Als Schweizer Gewerkschafter dort vorsprachen, verwies die EU-Beamtin auf einen Dossierberg auf ihrem Pult.

Rühriger Lobbyist ist Andreas Schwab. Er sitzt für die baden-württembergische CDU im Europäischen Parlament und verkündet, die Flankierenden seien «unverhältnismässig» und würden «ein Übermass an bürokratischer Arbeit» nach sich ziehen. Aber sind wirklich die paar zusätzlichen Formulare und die 8­tägige Meldefrist das Problem? Wohl eher ihre Effizienz: Dank der Voranmeldung können die Kontrolleure in der Schweiz ihre Arbeit gut planen und viele Arbeitende überprüfen. Dabei entdecken sie in über 20 Prozent der Fälle Verstösse, fünftausend Mal pro Jahr. 37 Prozent dieser Verstösse verantworten deutsche Bschiss-­Firmen.

Um den Knatsch um die Flankierenden zu verstehen, müssen wir auch sehen, wem sie nützen.

Das Burgenland hat in Brüssel eine Petition für die Ver­stärkung der flankierenden Massnahmen eingereicht.

Am meisten helfen sie den Arbeitnehmenden, die aus dem Ausland in die Schweiz arbeiten kommen. Denn sie sind entscheidend dafür, ob ein polnischer Monteur 12 Franken auf die Stunde bekommt oder 25 Franken. Und ob seine lange Wegzeit bezahlt wird. Kürzlich konnte SGB-Chef Paul Rechsteiner als Begleiter auf einer Kontrolltour miterleben, wie gerne deutsche Arbeiter ihre Löhne überprüfen liessen. Sie sagten: «Bei uns müsste man auch mal kontrollieren!» Wer wird schon gerne diskriminiert und schuftet für einen tieferen Lohn als der Kollege nebenan.

Von Nutzen sind die flankierenden Massnahmen zweitens für die Arbeitenden, die in der Schweiz leben. Denn sie verhindern, dass die hiesigen Arbeitsbedingungen verwildern. Dass noch mehr Lohndruck und Billigkonkurrenz noch mehr ­Arbeitsplätze gefährden.

Aber auch für die Firmen in der Schweiz sind die Flankierenden wichtig. Der Wettbewerb in den Branchen findet so nicht via Lohnunterbietung statt. Darum stehen auch Gewerbeverbände hinter den Flankierenden. Die Verbandsspitzen der Arbeitgeber in der Westschweiz schreiben derzeit böse Briefe an die Bundesräte Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann, weil sie bereit sind, den Lohnschutz in den Verhandlungen mit der EU aufzuweichen. Selbst Arbeitgeber aus dem Süddeutschen können gut mit der 8-Tage-Regelung leben. Hinter vorgehaltener Hand sagen sie es so oder ähnlich: «Wir müssen unsere Arbeitseinsätze ja planen. Und die Frist hilft uns sogar gegenüber dem Druck von Auftraggebern, welche die Arbeit lieber gestern als morgen ausgeführt haben.»

GEWERKSCHAFTLICHER SUPPORT

Mit ihrem strikten Nein gegen Lohndumping sind die Gewerkschaften in der Schweiz also nicht allein. Lohnunterbietung ist auch in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern ein zentrales Problem. Österreich etwa zahlt weit höhere Löhne als das unmittelbar anliegende Ungarn oder die Slowakei. Im grenznahen Burgenland wächst das Lohndumping den Kontrolleuren inzwischen über den Kopf. Es ist eine Situation, vergleichbar mit jener im Grenzkanton Tessin. Eine burgenländische Delegation aus Sozial­partnern und Regierung pilgerte deshalb kürzlich nach Brüssel und deponierte dort eine Petition: für eine Verstärkung der flankierenden Massnahmen.

Kein Wunder, stellt sich der österreichische Gewerkschaftsbund hinter den SGB. In einem Schreiben lässt er work wissen: «Der ÖGB unterstützt den SGB in seinem Kampf um den Erhalt der bewährten flankierenden Massnahmen. Gerade die Meldefrist ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Lohnschutzmassnahmen überhaupt greifen.»

PRÄJUDIZ FÜR DIE EU

Lohndumping kann also auch zum Sprengstoff in der EU werden. Das sieht inzwischen auch Barroso-Nachfolger Jean-Claude Juncker. Anders als sein Vorgänger macht sich der ­aktuelle EU-Kommissionspräsident für das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» stark. Er hat begriffen, dass Lohndumping den politischen Boden schafft für nationalistische Rattenfänger à la Front national in Frankreich, AfD in D­eutschland oder FPÖ in Österreich. Juncker hat deshalb kürzlich die EU-Entsenderichtlinie verschärft. Darin steht allerdings nichts zum Thema «Kontrollen». Diese behandelt die ältere «Durchsetzungsrichtlinie». Sie erlaubt den Ländern zwar spezifische Kontrollinstrumente, doch diese müssen «verhältnismässig» sein. Dieser Gummiparagraph ist es, den die neoliberalen Gegner des Arbeitnehmerschutzes benutzen.

Fazit: Bei der gegenwärtigen Diskussion um die flankierenden Massnahmen geht es nicht um «die Schweiz gegen die ganze EU». Auch innerhalb der EU stehen Arbeitnehmende gegen Profiteure. Die aktuelle Debatte in der Schweiz ist deshalb von europäischer Be­deutung. Der Generalsekretär des Europäi­schen Gewerkschaftsbundes, Luca Visentini, bringt es auf den Punkt: «Wenn der Lohnschutz in der Schweiz durch einen neuen ­Vertrag mit der EU untergraben wird, könnte das den Schutz auch in anderen ­Ländern schwächen.»


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