Weltwassergipfel unter Druck von Nestlé & Co.

Wird ein Menschenrecht zur Handelsware?

Michael Stötzel

Zugedrehte Wasserhähne in Südafrika, Wasserprivatisierung in Brasilien, Megastädte, denen das Trinkwasser ausgeht. Und auf dem Weltwassergipfel in Paris tun die Verantwortlichen so, als ­könnten sie nichts dafür.

WASSER IN DER WÜSTE: Werbung für teures Nestlé-Wasser in Pakistan. (Foto: Filmstill Bottled Life)

Maria Gomes de Oliveira ist eine Sprecherin der brasilianischen «Bewegung der Landlosen». Am 20. März besetzte sie mit 600 Frauen die Nestlé-Zentrale in São Lourenço. Der Schweizer Multi besitzt dort einen ­Wasserpark mit verschiedenen Heil- und Mineralquellen. Der Grund ihrer Aktion: offenbar weit fortgeschrittene Pläne der Regierung unter Präsident Michel Temer, das brasilianische Wasser zu privatisieren. Nestlé ist dabei erste Adressatin für eine 100 Jahre gültige Lizenz zur Ausbeutung des «Guaraní-Aquífero», des weltweit zweitgrössten Süsswasserreservoirs. Der Deal passt bestens ins Portfolio des Konzerns, der weltweit laufend Quellen für seine 70 Wassermarken (Jahresumsatz 10 Milliarden Franken) aufkauft. Die Ausbeutung des ­Guaraní-Reservoirs wird zudem den internationalen Ruf des Unternehmens nicht noch weiter verschlechtern. Denn in dieser niederschlagsreichen Region dürfte es nicht mal Nestlé schaffen, das Grundwasser gefährlich abzusenken. Ganz anders als in den Dürregebieten Südkaliforniens, Äthiopiens oder Nigerias, in denen Nestlé Abermillionen Liter regional dringend benötigten Wassers kaltlächelnd abpumpt, in Flaschen abfüllt und verkauft.

«NIEMAND WÜRDE DAS ERTRAGEN»

In Brasilien selbst ist das absehbare Geschäft allerdings hochumstritten. Denn der Verkauf des Wassers ist nur ein Teil der Privatisierung nationaler Ressourcen, die von der rechten Temer-Regierung vorangetrieben wird. Temer wolle «das Land zum Preis von Bananen verkaufen», sagt Aktivistin Maria Gomes. Und: «Stellen Sie sich vor, Sie sind gezwungen, das ganze Wasser in Flaschen zu kaufen, um den Durst während des Tages zu stillen. Niemand würde das ertragen.»

Nestlé kauft literweise dringend benötigtes Trinkwasser.

Nicht nur Nestlé war an jenem 20. März Ziel der Proteste. Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung belagerten am Stadtrand der Hauptstadt Brasília auch einen Industriepark von Coca-Cola, einem weiteren grossen Akteur auf dem Wassermarkt. Beide Demonstrationen waren eine Reaktion auf das 8. Weltwasserforum, das zur gleichen Zeit in Brasília tagte. Delegatio­nen aus 150 Staaten bereiteten dort den Weltwassergipfel vor, der Anfang kommender Woche in Paris eröffnet wird. Unter dem entlarvenden Motto: «Wasser trifft auf Geld».

MACHTRADIKALE HEUCHLER

Ziel des Gipfels ist eine Neudeutung der Wassernutzung, für die sich Multis wie Nestlé und Coca-Cola starkmachen. Die Uno hatte 2010 auf Antrag Boliviens den Zugang zu sauberem Wasser und sanitärer Versorgung zum «grundlegenden Menschenrecht» erklärt. Bei der entsprechenden Abstimmung hatten sich allerdings die meisten westlichen Industriestaaten enthalten. Umso geschmeidiger könnten sie jetzt den grossen Wasserfirmen folgen. Deren Forderung: Weil Wasser immer knapper werde, sei es nicht mehr als frei verfügbares Allgemeingut anzusehen. Schon um Verschwendung einzudämmen, müsse es einen Preis haben. Mit anderen Worten: Zum Schutz der nationalen Ressourcen müsse Wasser als Handelsware definiert und «marktgerecht» genutzt werden. Das setze die Privatisierung, zumindest Teilprivatisierung von Quellen und/oder der Verteilung voraus.

Unser Wirtschaftssystem verschwendet irrsinnig viel Wasser.

Die marktradikalen Ideologen hätten sich für den Weltwassergipfel keinen besseren Zeitpunkt wünschen können. Denn mit der südafrika­nischen Hauptstadt Kapstadt droht die erste Metropole auszutrocknen. Wenn der Regen weiter ausbleibt, will die Regierung ab dem 11. Mai nur noch Spitäler und Schulen mit Wasser versorgen. Abgesehen von den Reichen, die tiefe Brunnen in ihren Gärten graben liessen, sollen die knapp 4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner nur noch an Abgabestellen je 25 Liter pro Tag erhalten. Um die 300’000 Menschen, heisst es, werden ihre Arbeit verlieren. Freude haben nur die Wasserdealer, weil sie mit ihren Flaschen exorbitante Gewinne machen, vor allem aber, weil sie behaupten können, die Kompetenz zu haben und mit der Privatisierung der Versorgung das Problem zu lösen.

VERSCHWENDUNG

Südafrika sind sicher Planungsfehler und schlechtes Management vorzuwerfen. Der eigentliche Grund der Krise ist jedoch die Klimaerwärmung, die in der Region von Kapstadt zu einer schon drei Jahre andauernden Dürre geführt hat. Jetzt werden die Bürgerinnen und Bürger dazu gezwungen, Wasser zu sparen und auf Regen zu hoffen. Eine andere Möglichkeit, als die Hähne vorerst zuzudrehen, gibt es absehbar nicht, das ist den Behörden zuzugestehen. Auch wenn sie damit das Spiel der Wassermultis spielen müssen.

Aber sie allein können nicht das herrschende Wirtschaftssystem umstossen, das irrsinnig viel Wasser verschwendet und zugleich mit dem von ihm produzierten Dreck die Erderwärmung beschleunigt. Die Wasserindustrie selbst gibt ein anschauliches Beispiel für die Verrücktheit: Es braucht drei Liter Wasser um eine Ein-Liter-Petflasche herzustellen.

An Krisen wie in Kapstadt wird man sich deshalb gewöhnen müssen: Laut Experten werden auch Melbourne, Jakarta, Mexiko Stadt und São Paulo bald auf dem Trockenen sitzen.

Literweise: Verstecktes Wasser schenkt ein

Im Haushalt, am Arbeitsplatz und in der Freizeit verbrauchen die Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 163 Liter Wasser – täglich. In der Sahelzone müssen die Menschen mit höchstens 5 Liter ­Wasser überleben.

LUXUS. Noch dramatischer als dieses ­Missverhältnis ist das «versteckte ­Wasser». Also Wasser, das zur Herstellung von Gütern verbraucht wird, ohne dass wir es dem fertigen Produkt ­ansehen. So ­konsumieren Schweizerinnen und Schweizer allein über Nahrungsmittel täglich um die 4000 Liter verstecktes Wasser. ­Allerdings variieren die Angaben gewaltig, abhängig von der Herkunftsregion und der Berechnungsmethode. Beispiel: Für 1 Kilogramm Tomaten verbrauchen Produzenten in den Niederlanden 10 Liter, in Spanien 84 Liter und in Ägypten 230 Liter Wasser. In etwa gesichert sind laut Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ­folgende Angaben:

  • 1 Stück Brot (50 Gramm): 20 Liter
  • 1 Tasse Kaffee: 140 Liter
  • 1 A4-Blatt Papier: 10 Liter
  • 1 Auto: 400’000 Liter
  • 1 Computer: 20’000 Liter
  • 1 Paar Lederschuhe: 8000 Liter
  • 1 T-Shirt (Baumwolle): 2000 bis 4000 Liter
  • 1 Paar Jeans: 11’000 Liter

Regional sehr unterschiedlich:

  • 1 Kilo Rindfleisch: bis zu 16’000 Liter
  • 1 Kilo Schweinefleisch: bis zu 4800 Liter
  • 1 Kilo Getreide: bis zu 15’000 Liter
  • 1 Kilo Reis: bis zu 5000 Liter

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