GAV-Verhandlungen in der Industrie: Es geht los!

Gute Zeiten für bessere Löhne

Ralph Hug

Höhere Mindestlöhne, besseren Kündigungsschutz für Ältere, klare Regelung der Arbeitszeit: Das fordert die Unia für den neuen MEM-Gesamtarbeitsvertrag.

ES ZIEHT AN: Die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie boomt – davon sollen auch die Arbeitnehmenden profitieren. (Foto: Gaëtan Bally / Keystone)

Alles zeigt nach oben: Umsätze, Aufträge, Exporte, Gewinn. Die Geschäfte in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) laufen gut. In den letzten Monaten gingen so viele Bestellungen ein wie noch nie seit zehn Jahren. Und auch der Chef des Arbeitgeberverbandes Swissmem, Hans Hess, sieht die Branche auf einem «soliden Erholungspfad». Gute Zeiten auch für Unia-Mann Manuel Wyss. Der MEM-Branchenleiter steigt nächste Woche mit 18 Kolleginnen und Kollegen in die Verhandlungen über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Der alte läuft bereits im kommenden Juni aus. Die Zeit drängt also.

Industrie-GAV: Das fordert die Unia

Hier die sieben wichtigsten Forderungen
der Unia für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie:

  • Höhere Mindestlöhne, neu auch Mindest­löhne für Besserqualifizierte und Auszubildende, verstärkter Vollzug
  • Gesicherte 40-Stunden-Woche (neu inkl. Pausen), obligatorische Zeiterfassung
  • Berufsbegleitende Ausbildung zur Bewältigung der Digitalisierung
  • Mehr Ferien und Elternurlaub (18 Wochen für Mütter, 20 Tage für Väter)
  • Kündigungsschutz für Ältere (6 Monate ab 45, 12 Monate ab 55 Jahren) sowie für Vertrauensleute und Stiftungsräte
  • Mitsprache beim digitalen Wandel, GAV-Schutz auch für Homeoffice und Crowdwork, Recht auf Abschalten in der Freizeit
  • Aktive Industriepolitik (digitaler Wandel, Fonds für Innovationen, Kampf dem überbewerteten Franken)

GUT GEWAPPNET FÜR VERHANDLUNGEN

Die Unia ist gerüstet. Gut gerüstet. Das zeigt ihr umfangreicher Forderungskatalog. Vor vier Jahren gelang ihr in der Industrie ein Durchbruch: Erstmals seit 1937 setzte sie Mindestlöhne im Gesamtarbeitsvertrag durch. In beinharten Verhandlungen, es brauchte sogar eine Mediation. Die Minimallöhne verhindern ein Absacken der Einkommen.

Aber leider nicht bei allen. Verhandlungsleiter Wyss sagt: «Heute geht es darum, diese Mindestlöhne auszubauen und den Vollzug zu stärken.» Die Mindestlöhne sind zu tief, und auch Höherqualifizierte sowie Stiftinnen und Stifte sollten davon profitieren können.

Das ist heute nicht der Fall. So stellen Firmen immer wieder gutqualifizierte Berufsleute zu tieferen Löhnen an, um dadurch ihre Gewinne zu sichern. Dieser Missbrauch müsse aufhören. Auch bei der Arbeitszeit will die Unia im neuen GAV klare Vorgaben haben. Gewerbeverband und Arbeitgeber möchten die Arbeitnehmenden in der Schweiz länger arbeiten lassen, bis zu 60 Stunden pro Woche. Die Unia besteht nun auf der 40-Stunden-Woche, aber neu inklusive Pausen, die jetzt nicht angerechnet werden. Auch brauche es eine obligatorische Zeiterfassung, damit die Überstunden nicht explodierten. Weiter verlangt die Gewerkschaft zusätzliche Ferientage.

Und einen besseren Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Unia-Verhandlungsleiter Wyss: «Das ist ganz wichtig!» Die üblichen drei Monate Kündigungsfrist sollen nur noch bis 45 gelten. Bis 55 verlangt die Unia neu sechs Monate und danach zwölf. Eine Regelung, die im GAV der Basler Pharma- und Chemieindustrie bereits existiert und pro­blemlos praktiziert wird.

RECHT AUF NICHTERREICHBARKEIT

Ein grosses Thema ist auch die Digitalisierung. Die Arbeitnehmenden müssten beim Wandel der Arbeitswelt mitreden können, findet die Unia. Und der Schutz des GAV soll auch für ­Arbeiten zu Hause (Homeoffice) und in externen Projekten (Crowdwork) gelten. Die Gewerkschaft fordert zudem ein «Recht auf Nichterreichbarkeit». Unia-Mann Manuel Wyss: «Damit die Chefs nicht meinen, sie könnten abends und sogar nachts ­E-Mail-Aufträge verschicken.» Niemand dürfe gezwungen werden, zu Unzeiten auf E-Mails zu ­reagieren. In digitalen Zeiten ist Weiterbildung zentral.

«Die Chefs sollen nachts keine Mail-Aufträge verschicken.»

Die Unia hat deshalb das spannende Projekt «Berufspasserelle 4.0» erarbeitet. Ein Verein von Gewerkschaften und Arbeitgebern soll Arbeitnehmenden in den MEM-Branchen eine berufsbegleitende Ausbildung ermöglichen, damit sie den digitalen Wandel meistern können. Und damit kein Mangel an Fachkräften entsteht. Wyss: «Die MEM-Industrie hat ein Interesse daran, ihre Leute für die Zukunft fit zu machen.» Schliesslich verlangt die Gewerkschaft Unia eine wirksame Industriepolitik. Nötig ist ein Fahrplan für den digitalen Wandel, ein Fonds für Innovationen und ein entschlossener Kampf gegen den überbewerteten Franken.

Das politische Umfeld für einen positiven Vertragsabschluss ist nicht schlecht. Die SVP trägt mit ihrem Angriff auf die Personenfreizügigkeit unfreiwillig dazu bei. Mit einer Volksin­itiative will sie dieses Abkommen aufkündigen. Und vor allem: Sie will die erfolgreichen flankierenden Massnahmen kippen. Dies hat Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher kürzlich an ­einer Medienkonferenz verkündet. Dieser Frontalangriff auf den Arbeitsmarkt muss die Arbeitgeber dazu bewegen, mehr auf die Gewerkschaften zuzugehen (siehe Artikel unten). Denn ohne griffigen Lohnschutz sind offene Grenzen nicht zu verantworten.

Gewerkschaftsbundschef Paul Rechsteiner sagt es klar: «Der Lohnschutz ist unverhandelbar.» Und Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, findet: «Es braucht eine Allianz von allen, die von den Vorteilen der bilateralen Verträge überzeugt sind.»

Einigung in Deutschland: Lesen Sie zu den GAV-Verhandlungen der deutschen Metaller auch «Zeit ist das neue Geld»


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