Die offiziellen Zahlen belegen:
Die Krankenkassen killen unsere Kaufkraft

Jahr für Jahr steigen die Krankenkassenprämien. Doch viele Kantone frieren die Prämienverbilligungen ein oder kürzen sie sogar nominal. Das merken Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen empfindlich. Und das belegen die neusten offiziellen Zahlen.

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DAS GELD REICHT NICHT MEHR: So stark belasten die Krankenkassen die Budgets der Schweizerinnen und Schweizer. (Foto: Canva)

Die eben erschienenen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS) zeigen, wie stark die Prämienanstiege die Kaufkraft schmälern. Der Krankenversicherungsprämien-Index (KVPI) steigt für 2025 um 4,2 Prozent auf den historischen Stand von 222,9 Punkten (1999 = 100). Noch deutlicher zeigt sich die Belastung bei den Grundversicherungsprämien: Sie legen 2025 um 5,7 Prozent zu und erreichen einen Indexstand von 270,4 Punkten.

Die Teuerung der Konsumgüter erfasst der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK). Die Krankenkassenprämien hingegen fehlen dort bewusst: Sie gelten als «Transferzahlungen», nicht als «Konsum». Wir bezahlen die Prämien für den Fall, dass wir krank werden. Die Leistungen für Behandlungen und Medikamente werden dann im LIK abgebildet. Der KVPI wurde deshalb als ergänzender Index geschaffen, um die reale Belastung der Haushalte sichtbar zu machen. Er misst, was der LIK aus methodischen Gründen ausblendet: wie stark die Prämienentwicklung das verfügbare Einkommen schmälert. Im Alltag der Haushalte ist diese methodische Unterscheidung zwischen Transferzahlung und Konsum wenig tröstlich: Die Prämie ist fix, der Lohn ist fix – was bleibt, ist variabel. Und dieses «Bleibende» schrumpft. Das Bundesamt für Statistik hat einen Onlinerechner aufgeschaltet, bei der jeder Haushalt ausrechnen kann, wie stark die Prämie seine Kaufkraft frisst: lik-app.bfs.admin.ch/de/kvpi

Schlag in die Magengrube

Das BfS schätzt, dass allein dieser Anstieg das Wachstum der verfügbaren Durchschnittseinkommen um 0,3 Prozentpunkte «dämpft». In der Realität vieler Haushalte ist diese «Dämpfung» ein Schlag in die Magengrube. Reto Wyss, Zentralsekretär beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund und work-Kolumnist, sagt:

Der Einkommensverlust pro Person beläuft sich auf 220 Franken im Jahr. Und das wohlgemerkt bei Durchschnittswerten. Wie der SGB regelmässig zeigt, gibt es Hunderttausende Haushalte, die deutlich weniger verdienen und trotzdem keine oder viel zu tiefe Prämienverbilligungen erhalten.

Das betrifft längst nicht «nur» Sozialhilfebezüger oder Teilzeitverdienerinnen: Für grosse Teile der Mittelklasse werden die steigenden Kopfprämien zum massiven Problem im Budget.

Löhne treten an Ort

Denn der Medianlohn hat in den letzten acht Jahren real um nur 0,1 Prozent zugelegt. Arbeitnehmende ohne Kaderfunktion stehen heute real mit 0,5 Prozent weniger Lohn da als 2016. Gleichzeitig stiegen die Kaderlöhne je nach Hierarchiestufe um 0,5 bis 6 Prozent.

Die Prämien hingegen wachsen über Jahre hinweg deutlich schneller als die Löhne: Real haben sich die Grundversicherungsprämien in den vergangenen Jahren um rund 40 Prozent erhöht. Hinzu kommt eine Erhöhung der Kostenbeteiligung mit Franchise, Selbstbehalt und Zahnpflegekosten um 20 Prozent in nur sieben Jahren. Und 2026 wird ein weiterer Aufschlag erwartet, geschätzt 4,4 Prozent.

Es wächst die Lücke zwischen dem, was Haushalte verdienen, und dem, was sie für Kopfprämien, Franchisen und Selbstbehalte ausgeben müssen. Zu den Prämien kommen noch rezeptfreie Medikamente und Zahnbehandlungen. Nirgendwo in der OECD bezahlen Versicherte und Kranke mehr ihrer Gesundheitskosten direkt aus dem eigenen Sack.

Löchriger Schutzschirm

Eigentlich sollten Prämienverbilligungen jene Haushalte stützen, denen Kopfprämien überproportional viel vom Einkommen wegfressen. Die Prämienverbilligungen wurden mit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) 1996 eingeführt. Damals versprachen der Bundesrat und die bürgerliche Parlamentsmehrheit, dass niemand mehr als 8 Prozent des steuerbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien zahlen müsse. Dieses Versprechen wird heute systematisch gebrochen. Denn viele Kantone spannen diesen Schutzschirm nur noch pro forma auf. Zwischen 2014 und 2024 haben rund die Hälfte der Kantone ihre Verbilligungen sogar real gekürzt, trotz teilweise hohen Überschüssen in den Kassen. Zehn Kantone haben die Beiträge sogar nominal gekürzt, bezahlen also heute selbst in Franken weniger als vor zehn Jahren.
In der Praxis bedeutet das:

  • Die Einkommensschwellen, ab denen Verbilligungen gewährt werden, steigen weniger stark als die Prämien selbst.
  • Die ausgerichteten Verbilligungen decken einen immer kleineren Teil der realen Prämien.
  • Familien, Alleinerziehende und tiefe Einkommen rutschen aus dem Anspruchsbereich oder erhalten deutlich zu tiefe Beiträge.

Damit wird die wichtigste sozialpolitische Gegenmassnahme zur Prämienentwicklung ausgerechnet in einer Phase ausgehöhlt, in der die Belastung zunimmt.

Kopfprämien sind ungerecht

Das Schweizer Gesundheitswesen ist grundsätzlich nicht zu teuer. Die Schweiz gibt zwischen 11 und 12 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Gesundheit aus. Das ist ähnlich viel wie in unseren Nachbarstaaten. Wir bewegen uns absolut im Rahmen vergleichbarer OECD-Länder. Die medizinische Versorgung in der Schweiz ist im internationalen Vergleich sehr gut.

Das Problem sind weniger die Kosten als die Finanzierung. Statt, wie in anderen Ländern üblich, die Gesundheitskosten entweder aus Steuereinnahmen oder wenigstens über Lohnprozente zu finanzieren, werden sie über Kopfprämien finanziert. Kopfprämien sind Kopfsteuern – und Kopfsteuern sind die ungerechtesten Steuern überhaupt. Die Milliardärin bezahlt gleich viel wie der Verkäufer.

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