Meilenstein für Alessandra Cesari und 250‘000 weitere Gastro-Büezerinnen
Jetzt wird der grösste GAV des Landes wieder verhandelt

Gute Nachrichten für alle Köchinnen, Serviceangestellte oder Barkeeper: Nach Jahren kommt endlich Bewegung in die Verhandlungen rund um den Landes-Gesamtarbeitsvertrag für das Gastgewerbe (L-GAV). Servicefachangestellte Alessandra Cesari ist ganz vorne mit dabei.

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ENGAGIERT SICH FÜR BESSERE ARBEITSBEDINGUNGEN: Alessandra Cesari. (Foto: Tom Ulrich / Montage: work)

work trifft Alessandra Cesari (52) an einem vernebelten Montagnachmittag in Zürich zum Kaffee. Durchgefroren trifft sie im Lokal «Si o No» ein, streift ihre Mütze ab. Die dicken Winterstrumpfhosen geben doch nicht warm genug. Deshalb bestellt sie sich, ohne lange zu überlegen, einen Tee-Rum. Der wärme sie gleich doppelt, meint Cesari neckisch. Montags ist in diesem lauschigen Kaffee wenig los, die entspannte Stimmung geniesst sie. Ihr freier Tag ist nämlich immer fix der Montag, dann erholt sie sich und widmet sich ihrer Leidenschaft: kreativ sein für Kunst und Kultur. 
 
An den restlichen Wochentagen steht sie im Zürcher Gemeinschaftszentrum (GZ) Buchegg hinter der Theke und arbeitet festangestellt als Servicefachangestellte. Die Arbeit bei der GZ ist für sie ein Volltreffer. Cesari sagt:

Ich geniesse viele Privilegien in diesem Betrieb. Geregelte Arbeitszeiten, zuverlässige Schichtpläne, einen angemessenen Lohn. Leider ist das nicht selbstverständlich, deshalb setzte ich mich jetzt für einen guten L-GAV ein.

Damit spricht Cesari das Thema an, welches die Gewerkschaften seit Mai 2019 beschäftigen: Seither blockiert der Arbeitgeberverband GastroSuisse jegliche Verhandlungen. Das wird sich aber diesen Herbst ändern!

Warum engagiert sich Cesari für den L-GAV? «Wir verdienen alle gute Arbeiterbedingungen. Unser Job in der Gastro ist hart. Und Chefs und Gäste haben immer weniger Respekt.» Sie schöpft Motivation aus ihrem gewerkschaftlichen Engagement. Kürzlich war sie als Teil der Interessengruppe Unia-Frauen am Kongress der Gewerkschaft in Brig. Dieses Zusammenkommen hat ihr vor Augen geführt: «Hinter der Gewerkschaft stehen viele Menschen und wir gemeinsam können viel verändern.»

Palette an Kompetenzen

Cesari kennt auch die Schattenseiten der Gastronomie. Sie ist vor sieben Jahren aus Bologna, wo sie Soziologie mit Schwerpunkt Menschenrechte studierte, nach Zürich gezogen. Sie jobbte Anfangs in grossen und angesehenen Gastro-Ketten in der Stadt. Sie erzählt Horror-Geschichten aus der Gastro, dabei flammt ihr Temperament auf. Im Redefluss füllt sie Satzlücken mit einzelnen Wörtern auf Italienisch. Ihre Hände wärmt sie am dampfenden Tee-Rum, schliesslich traut sie sich, einen kleinen Schluck zu nehmen. 
 
Sie erzählt weiter, wie gerade das Thema Sprachkurs zu ihrer Anfangszeit in der Schweiz ein ständiges Konfliktthema am Arbeitsplatz war: Einerseits erwartete ihr Betrieb, dass sie sprachlich besser wird, andererseits gab der Betrieb ihr weder finanzielle Unterstützung noch genügend Zeit, um regelmässig einen Deutschkurs zu besuchen. Cesari:

Das war der Ort, wo ich als Migrantin Klassismus erleben musste.

Das Thema Aus- und Weiterbildung liegen ihr am Herzen. Sie kennt die Ausgangslage aus erster Hand: Ausländische Diplome sind hierzulande oft wertlos und viele müssen von Null starten. Zudem musste sie häufig erleben, dass das Personal im Gastgewerbe als dumm abgestempelt wurde. Dabei ist klar: «In der Gastro braucht man viele Kompetenzen. Wir arbeiten den ganzen Tag körperlich und müssen dabei sozial, kommunikativ, freundlich und empathisch sein.» In der Zwischenzeit hat sie ihren Tee-Rum ausgetrunken und im vernebelten Zürich drückt die Sonne durch. Beste Voraussetzungen, den freien Nachmittag zu geniessen. Und so bricht Cesari auf.

Neuer Anlauf für den L-GAV

Wenige Tage später ist Cesari in Bern. Als Botschafterin für das Gastgewerbe spricht sie vor der Presse über ihre Arbeit. Denn endlich kommt Bewegung in die L-GAV-Blockade. Nach über sechs Jahren sind die Sozialpartner wieder bereit, die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie mittels L-GAV zu verhandeln. Ex-Präsident Casimir Platzer sah keine Dringlichkeit, das Gespräch mit den Gewerkschaften zu suchen und die Arbeitsbedingungen zeitgemäss zu gestalten. Mit dem neuen Präsidenten Beat Imhof schöpfen die Verhandlungspartner sowie die Angestellten im Gastgewerbe Hoffnung.

GEMEINSAM FÜR EINEN BESSEREN L-GAV: Die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften Unia und Syna und der Hotel & Gastro Union an der heutigen Medienkonferenz in Bern. (Foto: Tom Ulrich)

Auch Cesari hatte bereits die Möglichkeit, Imhof persönlich kennenzulernen. Ihr erster Eindruck:

Es war auf jeden Fall ein starkes Zeichen, dass er sich auf ein Gespräch mit den Unia-Mitgliedern eingelassen hat. Ob er zu den Guten gehört oder nicht, kann er jetzt in den Verhandlungen beweisen.

Verhandlungsstart für den L-GAV ist der 18. November. Ein wichtiger Tag für die involvierten Gewerkschaften Unia, Syna und die Hotel & Gastro Union. Denn dieser Gesamtarbeitsvertrag ist der grösste der Schweiz und regelt die Arbeitsbedingungen von 250'000 Angestellten im Land. Unia Vize-Präsidentin Véronique Polito betont deshalb: «Verbesserungen beim Lohn, bei den Arbeitszeiten und -bedingungen sind dringend notwendig. Einerseits um die Branche wieder attraktiv zu machen, andererseits um den grossen Einsatz des Personals angemessen zu honorieren.»

Das wollen die Gewerkschaften

  • Löhne: Jährliche Anpassungen, Anerkennung Berufserfahrung und ausländische Diplome
  • Arbeitszeit: Einheitliche 40-Stunden-Woche und Zuschläge für Sonntagsarbeit
  • Ruhetage und Wochenenden
  • Schriftliche Arbeitsverträge und geregelte Arbeitspensen 
  • Stopp sexuelle Belästigung
  • Mutter- und Vaterschaftsurlaub
  • Lernende unter den L-GAV

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