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Koch Franco Caprino (45): «Wir mussten weg, in Kalabrien gab es keine Perspektive»

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Er hat die Gastronomie im Blut. Doch eine kleine Beiz, wo ihm der Chef dauernd über die Schulter schaut? Nein danke.

DIE ERSTE LEHRERIN von Koch Franco Caprino (45) war seine Mutter. (Foto: Manu Friedrich)

2023 sagte die Stadt Winterthur Ja zu einem Mindestlohn für alle von 23 Franken pro Stunde. Für das Unia-Mitglied Franco Caprino war das, wie er sagt, «der grösste gewerkschaftliche Erfolg meines Lebens». Vor der Abstimmung war er von Tür zu Tür gegangen, hatte Flyer verteilt und mit den Leuten über Teuerung und Working Poor geredet.

Auch wenn seine Arbeitsbedingungen heute besser seien als vor 15 Jahren, wie er sagt:

Ich mache das vor allem für die Kolleginnen und Kollegen, die es schwerer haben. Aus Solidarität, und weil auch ich früher am Arbeitsplatz nicht immer ein leichtes Leben hatte.

Dalla Mamma

Caprino interessierte sich früh fürs Kochen. Seine erste Lehrerin war seine Mutter Lucia. Von ihr lernte er die kalabrische Küche und sein Lieblingsgericht: Fileja, eine Art frische Pasta mit eingesalzenen Rippchen. Als Jugendlicher ging er auf die Hotelfachschule und jobbte gleichzeitig in Restaurants, «um etwas Geld zu verdienen und nicht von der Familie abhängig zu sein». In Kalabrien, einer der ärmsten Regionen Europas, ist das normal. Viele Jugendliche arbeiten dort schon sehr früh. Für Caprino eine wertvolle Erfahrung. Aber um eine Familie zu gründen, reichte es nicht, sagt er: «Mit meiner Frau, damals noch Freundin, haben wir entschieden: Wir müssen weg, in Kalabrien gab es keine Perspektive.» 2008, mitten in der Finanzkrise, zog das Paar in den Kanton Zürich.

Basta!

In der Schweiz fand Caprino sofort Jobs als Koch, meist in kleinen italienischen Lokalen. Dort seien die Löhne tief gewesen, die Arbeitszeiten endlos «und die einfachsten Rechte oft nur Theorie». Die langen Tage einschliesslich Zimmerstunde am Nachmittag waren für ihn ein echtes Problem: «Man ist mehr im Restaurant als zu Hause – und immer ganz nah dran am Chef. Diese Nähe ist ein zweischneidiges Schwert, weil man sich schwerer wehren kann.» Zwar lernte er in dieser Zeit viel, fühlte sich kreativ und von den Gästen geschätzt. Aber viele Arbeitgeber hielten sich nicht an die Regeln. Es gab nicht bezahlte Überstunden, zu wenig Ferien, chaotische Einsatzpläne. Den endgültigen Bruch brachte ein Vorfall, als er – weil ein Kollege krank war und der Chef jammerte – seine kleine Tochter mit in den Betrieb nehmen musste: «Da wusste ich: Es reicht.»

Die Wende kam mit einem Job beim Catering am Flughafen Zürich. Caprino sagt:

Mein Lohn stieg, die Arbeitszeiten wurden regelmässiger, und ich konnte meine Rechte leichter durchsetzen.

Auch fachlich sei der Job spannend gewesen, er habe Menus für internationale Flüge zubereitet und so viele neue Produkte kennengelernt. Heute arbeitet er bei der vegetarisch-veganen Kette Tibits.

Vegi

Er lacht und sagt, seit seiner Ankunft in der Schweiz vor 17 Jahren habe er als Koch einen ziemlichen Weg zurückgelegt: «In der kalabrischen Küche spielen Fleisch und Wurst eine zentrale Rolle. Hier habe ich meinen Horizont nochmals erweitert.» Auch die Bedingungen sind besser als in kleinen Lokalen. Als Leiter eines Teams in der Küche verdient er 5200 Franken brutto im Monat, plus dreizehnter Monatslohn. Nicht luxuriös, aber genug, um in Winterthur über die Runden zu kommen. «Dazu habe ich geregelte Schichten ohne lange Pausen – und meine Grundrechte werden respektiert. Non male dai!»

Heute arbeite er hart, aber ohne den Stress kleiner Restaurants. Und noch etwas gefällt ihm:

Bei Tibits ist der Service fast nur an der Kasse. Wir Köche füllen das Buffet nach, kommen dabei oft mit den Gästen ins Gespräch und erhalten direktes Feedback. Das macht Freude.

Familie

Für dieses Portrait besucht work Caprino zu Hause. Dabei sind auch die beiden Kinder im Alter von 9 und 7 Jahren. Während des Gesprächs wollen sie ab und zu etwas vom Papa – und er reagiert jedesmal liebevoll. Seit er nicht mehr in den kleinen Beizen arbeitet, kann er auch als Vater präsenter sein. Damals verschlang der Job alle Energie, Ferien waren Glückssache. Heute hat er bei Tibits geregelte Schichten – mal von sechs Uhr früh bis drei am Nachmittag, mal ab halb zwei bis abends um halb elf. Das erlaubt ihm, die Kinder selber in die Schule zu bringen oder am Abend mit ihnen zu essen. «Das ist für mich unbezahlbar», sagt er.

Wenn er zu Hause ist, übernimmt er Haushalt und Kinder, damit seine Frau – sie ist Bereichsleiterin bei der Migros-Grossbäckerei Jowa – den Kopf frei hat. Die beiden teilen sich Erwerbsarbeit und Care-Arbeit, «so gut es halt geht», wie er sagt. Natürlich sei es anstrengend, manchmal chaotisch. Aber es lohne sich: «Jetzt lebe ich mehrheitlich mit meiner Familie und nicht mehr im Restaurant. Das ist ein Riesenschritt nach vorne.»


Franco CaprinoDAS HERZ AM LINKEN FLECK

Franco Caprino wurde 1980 in Fagnano Castello in Kalabrien geboren. 2008 zog er mit seiner Frau in die Schweiz. Das Paar hat zwei Kinder. Nach Stationen in mehreren italienischen Restaurants führte Caprino kurz ein eigenes Lokal. Seit 2024 arbeitet er bei Tibits in Winterthur.

Engagiert

Caprino ist leidenschaftlicher Fan des italienischen Fussballclubs Cosenza. Früher war er Stammgast in der linken, politischen Curva. Heute drückt er auch dem FC Winterthur die Daumen. Er engagiert sich gewerkschaftlich bei der Unia und in der italienischen Comunità von Winterthur – etwa im Komitee des Lokals «Copi» oder bei der städtischen Fachstelle Migration. Sein Ziel: «Beitragen zu einer solidarischeren Gesellschaft, in der rechtsradikale Ideen keinen Platz haben.»

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