Mindestlohn wirkt – auch in Deutschland. Aber:
Bauern-Bschiss an Büezerinnen und Büezern

Gesetzliche Mindestlöhne nützen den Menschen, sie schaden ihnen nicht. Das lässt sich auch für Deutschland belegen. Aber ausgerechnet eine der übelsten Branchen für Lohnabhängige läuft verbal Amok: Die Landwirtschaft.

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BAUERNSCHLAU? Wegen tiefer Einkünfte protestierten deutsche Bauern 2024 gegen die damalige Ampel-Regierung, heute wettern sie gegen den Mindestlohn. Foto: Matthias Berg.

Selbstverständlich schrien auch in Deutschland die Arbeitgeber-Verbände bei der Einführung des Mindestlohns Zeter und Mordio. Die Behauptungen der Gegnerinnen und Gegner von Löhnen, die zum Leben reichen, sind überall die gleichen. Und werden überall von der Wirklichkeit widerlegt. So auch in Deutschland. Die Drohungen der deutschen Arbeitgeber, die vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns den massiven Verlust von Arbeitsplätzen ankündigten und von einer Konkurswelle fabulierten, liefen ins Leere. Nichts davon ist eingetreten. Das zeigt auch eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Mindestlohnkommission von Anfang August 2022. Ganz im Gegenteil geht aus der Untersuchung hervor, dass manche Branchen sogar produktiver geworden sind.

Realitätscheck schlägt Ideologie

Tatsächlich haben die Einführung des Mindestlohns Anfang 2015 und seine erste Erhöhung 2017 in Deutschland kaum zu Marktaustritten von Unternehmen geführt, auch zu diesem Ergebnis kommt die Studie des ZEW. Demnach gaben zwar Kleinstunternehmen mit bis zu vier Beschäftigten in den Arbeitsmarktregionen auf, wo viele Mitarbeiter zuvor weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten, also den Stundenlohn, mit dem der Mindestlohn 2015 eingeführt wurde. Gezeigt habe sich das laut Studie vor allem in Ostdeutschland, wo der Bruttodurchschnittslohn 2015 wesentlich niedriger gewesen sei als im Westen. Auf die Zahl der Arbeitslosen hat das dennoch keine Auswirkungen gehabt. Auch hier ist eine gegenteilige Entwicklung zu verzeichnen: Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist gestiegen.

So haben zwar die Arbeitgeberverbände auch vor der jetzt erfolgten Anpassung des Mindestlohnes zwar auftragsgemäss wieder gemurrt, aber wesentlich leiser als auch schon: Realitätscheck schlägt Ideologie. Grosse Ausnahme war der deutsche Bauernverband, der verbal Amok lief. Dabei ist ausgerechnet die Landwirtschaft eine ganz miese Branche für Lohnabhängige.

Ganz unten auf dem Acker

Die «Initiative Faire Landarbeit» (IFL), die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam und das PECO-Institut dokumentieren Jahr für Jahr systematische Überausbeutung von in der Landwirtschaft Beschäftigten – pseudo-legalisiert durch Konstruktionen wie «kurzfristige Beschäftigung» und «Sachbezug für Unterkünfte». So werden osteuropäische Erntehelferinnen und -helfer mit vermeintlichen Nettolöhnen gelockt, die am Ende massiv unterhalb des Mindestlohns landen – weil überzogene Kosten für Miete, Transport, Gebühren und Essen abgezogen werden.

Ein Bett im Sechserschlag für 420 Euro im Monat

Die Oxfam-Studie dokumentiert Mieten von 40 Euro pro Quadratmeter – mehr als an luxuriöser Münchner Innenstadt-Lage dort kostet der Quadratmeter 23 Euro. Kein Bad, keine Küche, ein einziges Klo für fünfzig Personen. Ein befragter Erntehelfer sagt: «Das hier ist nicht Europa.» Er meint den Hof, auf dem er arbeitet. Und das ist keine Übertreibung. Das ist Alltag. Nicht irgendwo in einem abgeschiedenen Hinterhof, sondern in brandenburgischen und hessischen Grossbetrieben. Auch wenn die Bauern bestreiten, was Arbeiterinnen berichten – die Aussagen ähneln sich zu sehr, um Zufall zu sein. Steffen Vogel von Oxfam, sagt: «Diese Geschichten hören wir jedes Jahr.»

Wucher-Mieten & Hungerlöhne

Das Prekariat der Saisonarbeit funktioniert über organisierte strukturelle Unsicherheit: Akkordlohn statt Stundenlohn, unerreichbare Zielvorgaben, Kündigungsfristen von einem Tag. Wer krank wird, hat Pech. Wer sich beschwert, fliegt. Und die vorgeschriebenen Arbeitszeitkontrollen? Oft unzugänglich oder manipuliert. Die Folge: Zehn Stunden schwere Arbeit – bezahlt werden sechs. Benjamin Luig von der Initiative Faire Landarbeit sagt: «Das sind keine Einzelfälle. Beschäftigte klagen regelmässig über falsche Angaben bei der Arbeitszeiterfassung, wodurch sie mehr arbeiten müssen, als sie bezahlt bekommen.»

Gewerkschaften auf dem Feld

Doch die Gewerkschaften haben dieses Feld nicht aufgegeben. Seit 2016 gibt es die «Initiative Faire Landarbeit», ein Bündnis aus der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), arbeitsrechtlichen Beratungsstellen, Migranten-Organisationen und kirchlicher Arbeitnehmerseelsorge. Sie leisten aufsuchende Beratung direkt auf den Feldern – mit Übersetzenden, Infomaterialien und juristischer Rückendeckung.

Allein im Jahr 2024 führten sie 40 Feldaktionen durch und erreichten 3100 Saisonarbeitende. Zum ersten Mal fanden letztes Jahr dabei auch «Gesundheitstage» statt, in denen über UV-Schutz, Hitzestress und Rechte bei Arbeitsunfällen informiert wurde. Die IG Bau bietet inzwischen auch Jahresmitgliedschaften für osteuropäische Arbeitskräfte an – mit Newsletter in der Muttersprache und Zugang zur gewerkschaftlichen Vertretung. Mehr dazu hier.

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