Dumping-Skandal auf Staats-Baustelle beweist:
Die Schweiz muss Arbeitnehmende besser vor Ausbeutung schützen

Polnische Büezer wurden beim Bau des Genfer Uni-Spitals gewaltsam ausgebeutet. Jetzt, elf (!) Jahre später, und nur dank der Unia, bekommen sie Gerechtigkeit – und fette Lohnnachzahlungen. Der Fall zeigt exemplarisch, warum das Entsendegesetz nicht genügt.

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BÜEZER WURDEN AUSGEBEUTET: Beim Bau des Laborgebäudes des Genfer Universitätsspitals arbeiteten polnische Arbeiter für einen Stundenlohn von 8 Euro. (Fotos: pd/Canva / Montage: work)

Elf lange Jahre hat es gedauert. Nun endlich die Erleichterung! Zumindest für vier von rund einem Dutzend Exarbeitern von Blato, einem polnischen Subunternehmen im Baugewerbe. Die vier hatten den Mumm, mit Hilfe der Unia ihren Arbeitgeber zu verklagen – und haben jetzt recht und sehr viel Geld bekommen. Konkret: je 25'000 Franken ausstehenden Lohn!

Aber der Reihe nach: Im Jahr 2014 schlugen Bauarbeiter bei der Genfer Unia Alarm. Auf der Baustelle des Genfer Universitätsspitals BAT-Lab sei Verdächtiges im Gang. Die Unia führte sofort eine Kontrolle durch – und entdeckte prompt zahlreiche Verstösse gegen das Arbeitsrecht bei den Arbeitern von Blato, einem Subunternehmen der deutschen Firma Lindner Fassaden GmbH. Die polnischen Büezer erhielten einen Stundenlohn von 8 Euro, um Spesen und Ferien wurden sie ganz geprellt, und auch die Maximalarbeitszeiten wurden überschritten. Und ihre Unterkünfte: heruntergekommene und winzige Behausungen in einem französischen Dorf, 50 Kilometer von der Baustelle entfernt.

ELF JAHRE HER: Im Jahr 2014 stellte die Unia auf dieser Baustelle der Universitätskliniken Genf zahlreiche Verstösse gegen das Arbeitsgesetz fest. (Foto: Neil Labrador / L’Evénement syndical)

Doch damit nicht genug. Nach der Unia-Kontrolle wurden die Blato-Arbeiter von ihren Chefs gewaltsam nach Deutschland gebracht und gezwungen, gefälschte Lohnabrechnungen zu unterschreiben. Die Unia liess aber nicht locker und fand vier Büezer, die bereit waren, sich zu wehren – und einen langwierigen Rechtsweg zu beschreiten.

Polnische Phantom-Firma

Nun, elf Jahre später, der Erfolg: «Die Arbeiter sind überglücklich, denn sie hatten die Hoffnung längst aufgegeben», berichtet Gewerkschaftssekretär Artur Bienko. Selbst polnischer Herkunft, hatte Bienko den Kontakt zu den Arbeitern über die Jahre aufrechterhalten.

Von einem Sieg kann man tatsächlich sprechen. Doch der Weg dorthin war mit Hindernissen regelrecht zugepflastert. Das zeigte die Unia und das mit dem Fall betraute Anwaltsduo an einer Pressekonferenz am 18. November in Genf. Offensichtlich wurden auch die Grenzen der aktuellen Solidarhaftung. Aber auch, wie diese verbessert werden muss.

Rechtsanwältin Caroline Renold erklärte: «Im Jahr 2017 hat das Arbeitsgericht in einem rechtskräftigen Urteil die gesamten Forderungen der Arbeitnehmer anerkannt, ebenso die Tatsache, dass Lindner seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist.» Der Haken: Das Gericht war der Ansicht, dass Lindner nicht haftbar gemacht werden könne, da die Voraussetzung der Subsidiarität nicht erfüllt gewesen sei. Heisst: Die Arbeiter mussten zuerst Blato angehen. Dies, obwohl bei dieser Bude keinerlei Verantwortliche mehr auffindbar waren und auch auf gerichtliche Vorladungen nicht reagieren. Kurz: eine reine Phantom-Firma! Anwältin Renold sagt:

Die Arbeiter mussten daher zuerst in Polen klagen und erreichten erst 2023 die Löschung des Unternehmens.

HAT FÜR DIE BÜEZER GEKÄMPFT: Anwältin Caroline Renold. (Foto: pd)

2024 reichte sie mit den Arbeitern eine neue Klage ein. Diesmal gegen den deutschen Fassadenbauer Lindner. Das Ziel: den Hauptauftragnehmer des Genfer Spitals haftbar machen! Wieder hatten die polnischen Büezer Erfolg: Im September 2025 wurde eine aussergerichtliche Einigung erzielt. Zahltag für die Büezer! Doch auch hier bleibt ein Haken. Denn das Schweizer Entsendegesetz besagt, dass in einem solchen Fall nur der Nettolohn nachgezahlt werden muss, nicht aber die Sozialabgaben.

Entscheidende Unterstützung

Der zweite Anwalt in diesem Fall ist der SP-Nationalrat und VPOD-Präsident Christian Dandrès. An der Pressekonferenz wies er darauf hin, dass sich viele Arbeiterinnen und Arbeiter einen derart aufwendigen juristischen Weg nicht leisten könnten: «Das Gesetz verlangt, dass man zunächst seinen Arbeitgeber im Herkunftsland verklagt, und nur wenn dies erfolglos bleibt, kann man sich gegen das Hauptunternehmen wenden.» Das sei auch für ihn als Anwalt beziehungsweise für eine Gewerkschaft enorm aufwendig. Dandrès sagt:

Man muss die Akte zusammenstellen, die Kläger zu den Anhörungen einladen, sie in der Schweiz unterbringen, Dolmetscher organisieren: All das ist mit hohen Kosten verbunden. Ohne die Unterstützung der Unia hätten sie dieses Verfahren niemals angestrengt, da ihnen die Mittel dazu fehlten.

FORDERT ANPASSUNGEN: Anwalt Christian Dandrès. (Foto: pd)

Das Prinzip der Solidarhaftung gehe in die richtige Richtung, so Dandrès, aber es müssten zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, damit ausgebeutete Arbeitnehmende leichter geschützt werden könnten. «Dieser Fall hat eine schmutzige Realität ans Licht gebracht, nämlich die Überausbeutung von Arbeitnehmenden aus armen Regionen Europas in prekären Beschäftigungsverhältnissen.» Und für Anwalt Dandrès ist klar: «Das ist kein Einzelfall, sondern ein regelrechtes System!»

Für eine Ausweitung der Solidarhaftung

Auch Nico Lutz war extra nach Genf gereist. Als Mitglied der Unia-Geschäftsleitung und Zuständiger für den Bausektor blickte er auf die Einführung der Solidarhaftung im Bauhaupt- und Baunebengewerbe im Jahr 2012 zurück. Den Weg dafür geebnet hätten die Gewerkschaften in einer mehrjährigen Kampagne. Dazu kamen mehrere grosse Dumpingskandale, die die Schweiz aufrüttelten. Nach und nach schlossen sich auch die Arbeitgeberverbände der Sache an, und das Parlament konnte ein Gesetz verabschieden. Die Bilanz sei jedoch gemischt. Lutz sagt: «Politisch gesehen war die Wirkung ziemlich gross, da die Unternehmer neu mit Haftungsrisiken konfrontiert waren. Deshalb begannen sie, genauer darauf zu achten, wem sie Arbeit gaben.» Und noch ein Vorteil kam hinzu: «Wenn wir Baustellen wegen eines krassen Dumpingfalls stilllegten, waren die Auftraggeber jetzt plötzlich bereit, die Forderungen zu begleichen, um keine Zeit zu verlieren und einen Rechtsstreit zu vermeiden.»

In rechtlicher Hinsicht sei die Solidarhaftung jedoch toter Buchstabe geblieben. «Der BATLab-Prozess hat die rechtlichen Schwierigkeiten deutlich aufgezeigt. Es ist der einzige bekannte Fall, der bis zum Ende durchgezogen wurde und dank der Solidarhaftung zu einer Entschädigungszahlung für die Arbeiter geführt hat.»

Aus diesem Grund haben die Gewerkschaften im Rahmen der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU (Bilaterale III) innenpolitische Ausgleichsmassnahmen zum Lohnschutz gefordert. Vierzehn solche Massnahmen hat auch der Bundesrat vorgelegt. Für die Gewerkschaften sind sie das absolute Minimum, ohne das sie die Bilateralen III ablehnen würden. Unter anderem sieht das Massnahmenpaket des Bundes eine Ausweitung der Solidarhaftung vor. Lutz erklärt:

Neu sollen Erstunternehmer nicht mehr nur für Löhne und Spesen ihrer Subunternehmen haften, sondern auch für die von den paritätischen Kommissionen auferlegten Konventionalstrafen und Kontrollkosten.

UNIA-MANN NICO LUTZ: «Diese Verbesserung ist absolut wesentlich und notwendig!» (Foto: Yoshiko Kusano)

Das Ziel sei simpel: «Mehr Druck auf die Hauptunternehmen, damit sie mit solchen Firmen zusammenarbeiten, die keine Verstösse begangen haben!» Die Arbeitgeberverbände des Bau- und Ausbaugewerbes stehen hinter dieser Forderung, ebenso der Bundesrat. Was jedoch noch fehlt, ist der Segen des Parlaments. Nico Lutz erinnert daran: «Diese Verbesserung ist absolut wesentlich und notwendig!»

*Dieser von Redaktorin Manon Tedesco recherchierte Beitrag ist zuerst in der französischsprachigen Unia-Zeitung «L’Evénement syndical» erschienen und wird hier in einer überarbeiteten Version publiziert.

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