Nach Baustellen-Blockade der Unia in Bern:

Lohn-Weihnachtswunder für ungarische Büezer

Darija Knežević

Fünfzehn Franken pro Stunde und Übernachten auf der Baustelle zwischen Feinstaub und Farbkübeln. So lebten fünf Ungarn mehrere Wochen. Dann griff die Unia durch.

Am 6. Dezember, dem Samichlaustag, wollten die Bausekretärinnen und -sekretäre der Unia Bern den Arbeitern auf den Baustellen eine Freude machen. Sie verteilten Säckli mit Nüssen und Schokolade. Doch was Gewerkschafterin Sonia Oliveira an der Konsumstrasse vorfand, war alles andere als erfreulich: «Ich betrat die Baustelle und sah in einem Raum Klappbetten aufgestellt. In einem weiteren Raum zwischen Bauschutt eine provisorische Küche. Im Keller ein WC und eine Dusche in einem grauenhaften Zustand. Mir wurde sofort klar: Hier wohnen Menschen!»

Auch work besuchte die Horror-Baustelle. Die Zustände erinnern an Saisonnierbaracken wie jene auf dem Bührer-Areal in Biel. In Bern arbeiteten fünf ungarische Büezer seit Wochen an der Totalsanierung des Altbaus. Und zwar komplett ohne Schutzkleidung und Sicherheitsmassnahmen auf der Baustelle. Und tatsächlich: Sie «wohnten» auch da!

SOFORT HANDELN NÖTIG

Noch am gleichen Tag griff die Unia ein und klärte die Bauarbeiter über ihre Rechte auf, etwa über den Mindestlohn gemäss Landesmantelvertrag. ­Einer der Arbeiter sagte zu work: «Wir wussten nicht, dass uns für die Arbeit fast der doppelte Stundenlohn zusteht.» Versprochen wurde ihnen ein Dumpinglohn von 15 Franken die Stunde. Stefanie von Cranach, Teamleiterin Bau der Unia Bern, war vor Ort im Gespräch mit den Büezern. Sie sagt: «Wir haben die Arbeiter über ihre Rechte aufgeklärt und ihnen zugesichert, dass wir sie unterstützen.» Herausfordernd war, dass nur einer der vier Männer Englisch konnte. Deshalb kümmerten sich die Unia-Leute um eine Dolmetscherin.

Sören Niemann, Co-Leiter der Unia Bern, sagt: «Uns war klar: Die Arbeiter müssen sofort diese menschenunwürdige Situation verlassen und mit unserer Hilfe schnellstmöglich ihre Löhne einfordern.» Nun war es an den Bauarbeitern, die Hilfe anzunehmen. Kurz herrschte grosse Aufregung, einige von ihnen hatten Angst vor Konsequen­zen. Die Arbeiter wurden von der Firma Maszbo Team KFT mit Sitz in Budapest in die Schweiz entsandt. Generalunternehmer der Baustelle ist die Roga GmbH mit Sitz im Kanton Schwyz. Von Cranach: «Die Arbeiter haben kurz unter sich diskutiert und sich dann entschieden zu kämpfen!»

BAUSTELLE STILLGELEGT

Noch am gleichen Abend offerierte ihnen die Unia eine warme Mahlzeit und eine Übernachtung in ­einem Hotel in Bern. So konnten sie gestärkt in den Verhandlungstag starten. Frühmorgens am 7. Dezember schritten die Büezer mit der Unia zur Tat: Sie blockierten die Baustelle komplett. Mit Absperr­­band, Transparenten und Unia-Fahnen.

Bald kreuzte auch der Chef der Schwyzer Roga auf. Er zeigte sich ahnungslos und schockiert über die Umstände vor Ort. Dabei ist klar: Die Verantwortung für diese grauenhaften Zustände liegt letztlich bei ihm als Generalunternehmer. Aber im Haus waren auch weitere Arbeiter beschäftigt, etwa Elektriker und Zimmermänner. Auch sie wuss­­ten von der unwürdigen Wohnsituation der Ungarn – gemeldet hat das aber niemand.

ÜBER 36 000 FRANKEN BAR AUF DIE HAND

Der Generalunternehmer zeigte sich aber sofort kooperativ. Als die Unia den Büezern vorrechnete, wie hoch ihr korrekter Lohn samt Spesen und Ferienzuschlägen war, konnten einige ihre Freude nicht zurückhalten. Gesamthaft standen ihnen 36 305 Franken zu! Noch am selben Tag hob der Generalunternehmer den Betrag bei seiner Bank ab und überreichte das Geld den fünf Arbeitern bar auf die Hand.

«Das war ein sehr emotionaler Moment», sagt Bausekretär Johannes Supe, «einige der Ungarn hatten Tränen in den Augen. Für sie ist das sehr viel Geld.» Weiter wollte der Generalunternehmer zwei der Büezer anstellen, um die Arbeiten fertigzustellen. Sie lehnten aber dankend ab. Am selben Abend setzten sich die fünf in ihr Auto und fuhren heim nach Ungarn. Ein wahres Weihnachtswunder!

Die Baustelle: Zürcher Immo-Hai in Bern

Eine ehemalige Mieterin an der Konsumstrasse wandte sich an die work-Redaktion. Sie liefert brisante Details: «In unserer Waschküche standen nie ein WC oder eine Dusche. Dies wurde nach­­träglich reingebaut.» Mit dem Besitzerwechsel an die Zürcher Immobiliengesellschaft BJH GmbH erhielten sie und alle anderen Mietenden die Kündigung per November 2023. «Was für die ungarischen Arbeiter zur Hölle wurde, war vor der Totalsanierung unser Zuhause!»

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