Nationalrätin und Pflegefachfrau Farah Rumy:
«Das System ist krank, nicht die Pflege»

Sie ist die Stimme der Pflege im Nationalrat: Als Pflegefachfrau kennt Farah Rumy alle Facetten dieses Berufs.  Sie kritisiert den zahnlosen Bundesratsvorschlag zur Pflegeinitiative und bürgerliche Vorstösse, welche die Schwächsten bestrafen.

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PFLEGEFACHFRAU FARAH RUMY: «Es fehlt an politischem Willen, die Systemrelevanz der Pflege endlich anzuerkennen.» (Foto: Keystone)

work: Gesundheit ist wortwörtlich kostbar. Frau Rumy, wie geht es Ihnen?
Farah Rumy: Mir geht es gut, danke. Ich bin dankbar, gesund zu sein und in Berufen zu arbeiten, die für mich sinnstiftend sind. Im Gesundheitswesen wird mir jeden Tag bewusst, wie verletzlich wir als Gesellschaft sind und andererseits, wie stark wir sein können, wenn wir solidarisch handeln. Wir müssen unsere Gesundheit schützen, aber auch jene Menschen, die tagtäglich dafür sorgen, dass wir gesund bleiben.

Die Pflegeinitiative will den Pflege-Exodus stoppen. Der Bundesrat hat jetzt einen Gesetzesvorschlag gemacht. Was halten Sie davon?
Der Vorschlag geht zwar in die richtige Richtung, bleibt inhaltlich jedoch zahnlos. Ohne verbindliche Regelungen zu Löhnen, Arbeitszeiten und Personalressourcen wird sich nichts verändern. Das Volk hat uns einen klaren Auftrag erteilt: qualitativ hochwertige Pflege durch bessere Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Dieser Volkswille muss endlich umgesetzt werden! Dass die bürgerliche Mehrheit an der letzten Kommissionssitzung die Beratungen verzögert hat, ist verantwortungslos. Es fehlt an politischem Willen, die Systemrelevanz der Pflege endlich anzuerkennen und ihr die politische Priorität zu geben, die sie verdient.

Ein grosser Knackpunkt ist die Finanzierung. Wie müsste diese geregelt sein?
Über 60 Prozent der Stimmberechtigten in diesem Land haben der Pflegeinitiative zugestimmt. In vollem Bewusstsein, dass gute Pflege auch etwas kostet. Qualität hat ihren Preis, schlechte Pflege kostet uns am Ende jedoch viel mehr. Menschlich wie finanziell. Die Finanzierung muss solidarisch und fair geregelt sein, zwischen Bund, Kantonen, Versicherern und Arbeitgebern. Klar ist, dass die Kosten nicht einfach auf die Prämienzahlenden abgeschoben werden dürfen. Heute bewegen sich Pflegende und Patientinnen in einem System, das von Fehlanreizen und Kostendruck getrieben ist. Das System ist krank, nicht die Pflege.

Farah Rumy

Farah Rumy (33) ist Nationalrätin aus dem Kanton Solothurn, sie sitzt in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. Neben ihren politischen Ämtern arbeitet sie als Berufsschullehrerin für angehende Pflegekräfte. Rumy ist Bürgerrätin in Grenchen SO.

Die Unia fordert für die Pflege eine Reduktion der Arbeitszeit, bei gleich bleibendem Lohn. Was halten Sie von dieser Forderung?
Ich unterstütze diese Forderung voll und ganz. Eine Reduktion der Arbeitszeit ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Gesundheit. Wer in einem so anspruchsvollen und belastenden Beruf arbeitet, braucht genügend Zeit zur Erholung. Weniger Arbeitszeit bedeutet mehr Zufriedenheit, bessere Gesundheit und längere Verweildauer im Beruf. Das ist die beste Antwort auf den Fachkräftemangel.

Auch in diesem Jahr steigen die Krankenkassen-Prämien. Haben Sie Ihre Krankenkasse gewechselt?
Nein, aber ich verstehe alle, die das tun. Die steigenden Prämien sind für viele Menschen eine enorme Belastung. Es darf nicht sein, dass Krankheit in einem der reichsten Länder der Welt zum Armutsrisiko wird. Das zeigt, wie dringend unser Gesundheitssystem eine grundlegende Reform braucht. Und wenn ich ehrlich bin, fehlt mir schlicht die Geduld, jedes Jahr Angebote zu vergleichen. Die Verantwortung für bezahlbare Prämien liegt bei der Politik und nicht bei den Versicherten.

FARAH RUMY: «Probleme löst man nicht, indem man die Schwächsten bestraft.» (Foto: Keystone)

Welches wären für Sie die wichtigsten Hebel zur Senkung der Prämienlast?
Im Gesundheitssystem braucht es endlich weniger Bürokratie, mehr Prävention, mehr Digitalisierung und eine bessere Koordination der Grundversorgung. Dazu braucht es eine Kostenbremse bei Medikamenten und volle Transparenz bei den Verwaltungskosten. Der Bund muss endlich Führung übernehmen. 

In der Herbstsession hat der Nationalrat eine Motion angenommen, die mehr regionale Zusammenarbeit der Spitäler fordert. Welche Vorteile würde das bringen?
Mehr Kooperation statt Konkurrenz. In vielen Kantonen herrscht noch immer ein «Gärtli-Denken», das Ressourcen verschwendet und den Versorgungsauftrag schwächt. Wenn Spitäler stärker zusammenarbeiten, können sie Doppelstrukturen abbauen, Fachwissen bündeln und die regionale Versorgung sichern. Gerade in ländlichen Regionen ist das sehr wichtig. Eine starke, gut abgestimmte Gesundheitsversorgung liegt im Interesse von uns allen und muss sich am Bedarf der Menschen orientieren und nicht an politischen Eitelkeiten oder Profitlogik. Im Moment erlebe ich leider oft das Gegenteil.

In der Wintersession wird der Nationalrat die «Bagatellgebühr» für die Notfallaufnahme diskutieren. Sie kennen die Situation auf der Notaufnahme aus eigener Erfahrung. Was halten Sie von einer solchen Gebühr?
Ich lehne sie klar ab. Eine Bagatellgebühr ist sozial ungerecht und gesundheitspolitisch gefährlich. Wer auf die Notfallstation kommt, tut das nicht aus Langeweile. Eine solche Gebühr würde dazu führen, dass Menschen zu spät Hilfe suchen. Das führt zu schlimmeren und teureren Folgen. Besonders betroffen wären chronisch Kranke und Menschen, die schon heute Mühe haben, ihre Arztrechnungen zu bezahlen, darunter viele ältere Menschen. Das ist absurd. Statt neue Hürden zu schaffen, müssen wir Prävention, Grundversorgung und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken. Probleme löst man nicht, indem man die Schwächsten bestraft.

Pflegedemo: Es ist 5 nach 12

Vier Jahre nach dem deutlichen Ja zur Pflegeinitiative zeigt sich: Der Vorschlag des Bundesrates zur Umsetzung ist lückenhaft. So lässt sich die langsame Zerstörung der Gesundheitsversorgung nicht aufhalten, das Parlament muss nachbessern. Mit der Botschaft «Es ist 5 nach 12» ruft eine breite Allianz der Gesundheitsberufe zu einer gemeinsamen Kundgebung am 22. November in Bern auf. Damit auch die Politik merkt: So kann es nicht weitergehen! Die Unia rechnet mit vielen Teilnehmenden und organisiert deshalb Extrazüge nach Bern.

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