Pleiten, Pech und teure Pannen in der Armee. Doch:
Stahlhelme attackieren Zivildienst

Der Zivildienst ist die wohl skandalfreiste Abteilung des VBS. Den Militaristen bleibt er aber auch 29 Jahre nach seiner späten Einführung ein Dorn im Auge. Ihr neuster Sturmangriff dürfte im Parlament erfolgreich sein. Das Referendum ist programmiert.

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SINNVOLLE EINSÄTZE: Zivis betreuen alte Menschen, gehen Bauern zur Hand und helfen in Kitas, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei der Stahlhelm-Fraktion kommt das trotzdem nicht gut an. (Bilder: Keystone)

Es ist ja nicht wirklich so, dass sich das VBS in den vergangenen Jahren damit ausgezeichnet hätte, sehr effizient zu funktionieren und Projekte unfallfrei ans Ziel zu bringen. Im Gegenteil, trotz immer mehr Geld klappt wenig bis nichts. Bereits 2023 und im vergangenen Jahr noch einmal «empfahl» die eidgenössische Finanzdelegation dem Bundesrat, einen «Aufsichtsausschuss über das VBS beziehungsweise dort angesiedelte Schlüsselthemen» einzusetzen. Der wollte von diesen Empfehlungen nichts wissen. Dabei gäbe es viele Gründe. 

Diese heissen etwa «Hermes 900», «C2Air», «ERP-Systeme V/ar», «SDVN+», «Polycom 2030» und «NEPRO» und haben ausser mehr oder weniger originellen Namen vor allem eines gemeinsam:

Gravierende Verzögerungen, Kostenüberschreitungen, unzureichendes Risikomanagement und/oder generelle Planungsfehler.

Das Gesamtpaket der laut Finanzkontrolle «problematischen Armeeschlüsselprojekte» umfasst insgesamt rund 19 Milliarden Franken. Nicht eingerechnet ist da der angeblich zum Fixpreis gekaufte US-Kampfjet F-35, der laut US-Quellen weiterhin nicht geradeaus schiessen kann, dafür um Milliarden teurer kommt. 

Nicht alles läuft krumm

Bei dieser Aufzählung könnte der Eindruck entstehen, beim VBS laufe alles schlecht. Doch das wäre falsch und ungerecht gegenüber den 12'500 Personen, die beim Departement angestellt sind. Denn es gibt auch Dinge im VBS, die nahezu problemlos funktionieren. Zum Beispiel der Zivildienst. Den gibt es erst seit 1996. Vorher wurden Männer, die den Militärdienst verweigerten, ins Gefängnis geworfen. Jährlich Hunderte. Allein zwischen 1968 und 1996 rund 12'000. Erst nachdem 1989 über ein Drittel der Stimmenden die Armee gleich ganz abschaffen wollten, bewegte sich etwas. 

Nach der Einführung prüfte dann noch bis 2009 eine jeweils drei- bis fünfköpfige Kommission das Gewissen der jungen Männer, die Zivildienst leisten wollten. Weil das mit der Prüfung von fremden Gewissen so eine Sache ist, wie die katholische Kirche seit 2000 Jahren bestens weiss, war das im besten Fall eine bürokratische Übung und im schlechteren eine überaus peinliche. Nicht für die Geprüften, sondern für die «Prüfenden». Der überwältigenden Mehrheit der Geprüften wurde zwar der Zugang zum Zivildienst gestattet. 

Sinnvoll und skandalfrei

Obwohl es ewig lange ging, bis er eingeführt wurde, und es den potentiellen Zivildienstleistenden so beschwerlich wie möglich gemacht wurde, ist er eine Erfolgsgeschichte. Alleine im vergangenen Jahr meldeten sich 6799 Personen neu zum Zivildienst, rund ein Drittel davon haben zuvor die Rekrutenschule bestanden. Zivis leisteten im vergangenen Jahr 1,9 Millionen Diensttage – ein neuer Rekord. Sie betreuten zum Beispiel Alte und Kranke in Heimen und Spitälern, Kinder in Kitas und Geflüchtete in Unterkünften, sie gingen Bauern zur Hand und Gemeinden und Kantonen beim Umweltschutz. Alles sinnvoll und skandalfrei.

Sommer-Offensive

Der Zivildienst funktioniert also. Doch offensichtlich vergrössert das den Zorn seiner Gegnerinnen und Gegner nur noch. Denn im Juni starteten beide Parlamentskammern zu einer wahren Sommer-Offensive gegen den Zivildienst:

  • Eine Sicherheitsdienstpflicht: Mit der neuen Pflicht, die Armee, Zivilschutz und Zivildienst zusammenlegt, wird der eigenständige Zivildienst massiv geschwächt. Begründet wird dies mit angeblichen Versorgungsproblemen – obwohl selbst der Bundesrat bestätigt, dass die Armee nachweislich gar kein Bestandesproblem hat, sondern im Gegenteil bis in die 2030er Jahre weiterwachsen wird. Jetzt muss der Bundesrat eine konkrete Vorlage ausarbeiten, weil am 18. Juni auch der Ständerat zugestimmt hat.
  • Die Wiedereinführung der Gewissensprüfung: Ebenfalls am 18. Juni überwies die bürgerliche Nationalratsmehrheit ein Postulat von SVP und FDP, das die bürokratische und peinliche Gewissensprüfung wieder einführen will. Selbst der Bundesrat war dagegen.
  • Die Revision des Zivildienstgesetzes: Der Nationalrat hat – ebenfalls am 18. Juni – eine Gesetzesrevision beschlossen, die Zivildienstleistende massiv benachteiligt, ohne der Armee etwas zu bringen. Ziel: 40 Prozent weniger Zivildienstleistende «dank» zusätzlichen Schikanen für Zivildienstwillige. So soll die bereits jetzt 1,5mal so lange Dienstzeit massiv verlängert werden. Im Extremfall bis auf das 150fache (!) der Militärdienstzeit. Kein Tippfehler, sondern schlicht verfassungs- und völkerrechtswidrig. Trotzdem ist die vorbereitende Ständeratskommission am 19. August dem Nationalrat gefolgt. 

Sollte – was zu erwarten ist – auch das Plenum dieser Revision zustimmen, ist das Referendum sicher. Der Schweizerische Zivildienstverband (Civiva) und die Jungen Grünen haben es schon angekündigt.

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