Spanien: Agro-Unternehmer wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht
«Nicht die Hitze hat ihn umgebracht, sondern der Chef»

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Erntehelfer Eleazar ­Blandón starb an einem Hitzschlag. Sein Chef hatte ihm medizinische Hilfe verweigert. Jetzt muss sich der Unternehmer endlich vor Gericht verantworten.

TRAGISCHE GESCHICHTE: work berichtete 2020 über den Hitzetod von Eleazar Blandón.

Europa ächzt unter der Gluthitze. Aus Südeuropa häufen sich die Meldungen über tote Büezerinnen und Büezer. Die Hitze wütete auch an jenem Tag, an dem der nicaraguanische Erntehelfer Eleazar Blandón in der Region Murcia in Südspanien starb. Er fühlte sich nicht gut. Trotzdem musste er weiter am Boden kniend Wassermelonen ernten. Ohne Schatten. Ohne Wasser. Am Nachmittag stiegen die Temperaturen auf über 40 Grad. Dann konnte Blandón nicht mehr, er sank zu Boden. Doch statt ins Spital gefahren zu werden, musste er bis Schichtende warten. Erst dann deponierte ihn der Chef vor einem Spital, als wäre er eine Wassermelone. Kurze Zeit später war Blandón tot.

Das war am 1. August 2020 (work berichtete). Bereits kurze Zeit später machten sich die lokalen Gewerkschaften dafür stark, dass Blandóns Chef zur Verantwortung gezogen werde. Sie demonstrierten vor der Polizeistation und skandierten: «¡No lo mató el calor, lo mató el patrón!» (nicht die Hitze hat ihn umgebracht, sondern der Chef).

Ausgelieferte Erntehelfer

Blandón hielt sich ohne gültige Papiere in Spanien auf. Und war damit bei weitem nicht der einzige. Die Landarbeitergewerkschaft SOC-SAT schätzt, dass mindestens ­jeder fünfte Arbeiter illegal in Spanien arbeitet. Und damit den Agrarunternehmen ausgeliefert ist. Südspanien ist Europas Frucht- und Gemüsegarten. 2023 exportierte die Region Murcia für 5400 Millionen Euro Gemüse und Früchte, auch in die Schweiz.

Blandón hatte sein Heimatland Nicaragua verlassen wie viele Tausende Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner auch. Weil sie dazu gezwungen werden oder weil sie unter dem repressiven Regime der autokratischen Präsidentenfamilie im zentralamerikanischen Land keine sichere Zukunft ­sehen. Blandón hatte in Spanien Asyl beantragt, doch sein Antrag war noch hängig. Er starb nur wenige Monate nach seiner Flucht. Seine Ehefrau sagte damals zu work:

Wir hatten noch so viele Träume, und jetzt kommt er im Sarg nach Hause.

Jetzt endlich, fünf Jahre später, sind die Ermittlungen abgeschlossen, und dem Agrarunternehmer Pedro Manuel P. T. soll der Prozess gemacht werden. Die Anklage: fahrlässige Tötung und Verstösse gegen die Arbeitnehmendenrechte.

Atemnot und Schwindel

Die Anklageschrift der zuständigen Richterin ist schonungslos: Obwohl Blandón über Atemnot und Schwindel klagte, rief niemand eine Ambulanz. Nicht einmal eine Pause habe der Chef seinem Arbeiter gegönnt. Bei extrem hohen Temperaturen habe der Erntehelfer mehr als sieben Stunden in der prallen Sonne arbeiten müssen, um danach auf eine andere Plantage zu fahren, um dort weitere Wassermelonen zu entladen.

Auf dem Weg zu dieser Plantage liess ihn der Chef vor einem Spital liegen, «bewusstlos und mit Herz-Kreislauf-Stillstand». Der Autopsiebericht kommt zum Schluss: Blandón hatte eine Körpertemperatur von über 41 Grad. Die Todesursache war ein Hitze­schlag. Die Warnungen des spanischen Wetterdienstes habe der Unternehmer ignoriert, so die zuständige Richterin. Zum fehlenden Wasser hält der Bericht fest:

Pedro Manuel P. T. gibt zu, dass er an diesem Tag keine Kühlbox mit Wasser mitgebracht hatte.

Bessere Gesetze …

Der Fall Blandón rief damals auch Spaniens Arbeitsministerin Yolanda Díaz auf den Plan: «Die Bedingungen, unter denen diese Tätigkeit ausgeübt wurde, waren erbärmlich. Es ist ein trauriges, dramatisches Ereignis, das ein schlechtes Licht auf unser Land wirft.» Sie versprach eine sorgfältige Untersuchung und verbesserten Schutz der Landarbeiterinnen und -arbeiter.

Tatsächlich hat sich zumindest auf dem Papier etwas getan. Seit 2023 müssen Arbeiten im Freien während extremer Hitze eingeschränkt oder ganz unterbrochen werden. Bei Verstössen drohen Strafen von bis zu fast einer Million Euro. Die Regelung greift, wenn der staatliche Wetterdienst eine Hitzewarnung herausgibt. Die Praxis sieht jedoch anders aus.

… auf dem Papier

Gewerkschaften kritisieren, dass gerade kleinere Betriebe in Sektoren wie Landwirtschaft, Bau und Tourismus leicht unter dem Radar staatlicher Kontrollen bleiben. Das zeigt auch ein Fall, den der Westschweizer Konsumentenschutz kürzlich publik machte: Coop und Migros würden spanische Biotomaten beziehen, die unter illegalen Arbeitsbedingungen produziert werden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter seien regelmässig Pflanzenschutzmitteln und übermässiger Hitze in den Gewächshäusern ausgesetzt. In diesen steige die Temperatur auf fast 45 Grad, es gebe keine Wasserausgabestelle und keinen Schatten. Beide Detailhändler haben auf die Recherche des Westschweizer Konsumentenschutzes reagiert: Migros verlangt eine genaue Untersuchung, Coop verweist auf ­bestehende Kontrollen und Gesetze.

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