Bundesrat macht 180-Grad-Wende
Neue Home-Office-Regelungen bedrohen fast alle

ANGRIFF AUF DIE GESUNDEHIT: Bürgerliche wollen 17-Stunden-Tage, Nachtarbeit auf Abruf und mehr Sonntagsarbeit. (Foto: SGB)

Arbeitgeberverbände und ihre rechten Parteien wollen 17-Stunden-Tage, Nachtarbeit auf Abruf und bewilligungslose Sonntagsarbeit. Der SVP/FDP-dominierte Bundesrat macht eine Kehrtwende. Angeblich geht’s um Kader im Homeoffice. Doch in Wahrheit sind Millionen Beschäftigte betroffen.

ANGRIFF AUF DIE GESUNDHEIT: Bürgerliche wollen 17-Stunden-Tage, Nachtarbeit auf Abruf und mehr Sonntagsarbeit. (Foto: SGB)

Die Schweiz hat die längsten Arbeitswochen und flexibelsten Arbeitgeberbedingungen in Europa. Trotzdem lancieren Arbeitgeber-Verbände Angriff um Angriff auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden. Sie wollen Nacht- und Sonntagsarbeit ausweiten und die Ladenöffnungszeiten sowieso. Alles natürlich bewilligungsfrei und möglichst ohne Lohnzuschläge. Digitalisierung, Firmengründungen, Fachkräftemangel, Einkaufen im Internet, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und selbst die Befürchtung einer Energiemangellage – alles hat schon als Vorwand für «Modernisierungsvorstösse» gedient.

Aktuell läuft der Angriff unter dem Stichwort «Home Office». Und er läuft schon lange. Lanciert hat ihn der heutige FDP-Präsident und Ständerat Thierry Burkart, als er noch im Nationalrat sass. So richtig neu ist der Vorstoss also nicht, und er hat auch nichts mit den Entwicklungen der letzten Jahre zu tun, als die Corona-Pandemie das Thema erst so richtig in der Arbeitsrealität einer Vielzahl von Arbeitnehmenden verbreitet hat. Die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrates nutzte die Gelegenheit und hat den damals acht Jahre alten Burkhart-Vorstoss letztes Jahr aus der Schublade geholt, daraus eine Gesetzesrevision gebastelt und in die Vernehmlassung geschickt. Jetzt wird er vom Bundesrat wohlwollend ergänzt und unterstützt.

Bundesrat macht Rechtsumkehrt

In seinem ersten Bericht zum Homeoffice hatte sich der Bundesrat noch klar gegen eine spezielle gesetzliche Regelung ausgesprochen. Das geltende Arbeitsgesetz enthalte bereits alle notwendigen Bestimmungen, hiess es damals. Und das ist im Grundsatz auch heute nicht falsch.

Doch jetzt macht die Landesregierung eine 180-Grad-Wende. Angeblich geht es «nur» um die Arbeitnehmenden im Homeoffice. Tatsächlich wären aber Millionen von Arbeitnehmenden betroffen von der drastischen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.

Denn der Geltungsbereich ist bewusst so weit gefasst, dass fast alle reinrutschen können. Das heisst: Auch für Beschäftigte ohne echte Entscheidungsmacht und Spezialistenstatus sollen die aufgeweichten Regeln gelten.

Arbeitgeber und Bundesrat wollen

  • gesetzliche Bestimmungen zu Pausen und Ruhezeiten nicht mehr einhalten;
  • die kurzfristige Anordnung von Nachtarbeit erlauben;
  • bis zu sechsmal jährlich einen Sonntagsarbeits-Befehl im Homeoffice ohne Bewilligung und Kontrolle durch die Behörden erlauben;
  • ausserdem soll es keinerlei Einschränkung nach Lohn oder echter Autonomie geben. Das heisst: Es kann jede und jeden treffen, zum Beispiel auch den Polier oder die Person vom Bau, die etwa Protokolle zu Hause aufnimmt.

Homeoffice-Zwang

Noch dreister wird es bei den vorgeschlagenen Änderungen im Obligationenrecht: Arbeitgeber sollen künftig Homeoffice einseitig anordnen können, ohne weiterhin verpflichtet zu sein, einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen oder sich an Mietkosten zu beteiligen. Das widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts. Dieses hat entschieden, dass Arbeitgeber die Kosten für angeordnetes Home-Office bezahlen müssen – das passt diesen natürlich nicht.

Das neue Modell würde es ermöglichen, dass Arbeitnehmende im Homeoffice «gefangen» bleiben, ohne Recht auf Rückkehr an den Arbeitsplatz in der Firma. Selbst dann, wenn die Arbeit zu Hause unzumutbar wird.

Bürgerliche Zeitungen und das SRF feiern den Bundesrat dafür, dass er den «Rechtsanspruch auf Nicht-Erreichbarkeit» für Lohnabhängige gesetzlich verankern will. Das fordern die Gewerkschaften seit langem. Doch der bundesrätliche Vorschlag ist eine Mogelpackung und reine Symbolpolitik. Denn: Dieses Recht besteht faktisch bereits heute, da Arbeits- und Ruhezeiten gesetzlich geregelt sind. Eine echte Verbesserung wäre stattdessen ein verbindliches Kontaktverbot während Ruhe- und Ferienzeiten, abgesichert durch technische Massnahmen des Arbeitgebers.

«Wildwestverhältnisse»

Für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist diese jetzt auch vom Bundesrat unterstützte Revision des Arbeitsgesetzes und der Anpassungen im Obligationenrecht inakzeptabel. SGB-Zentralsekretär Luca Cirigliano: «Die Folgen dieser Revision wären Gratisarbeit, Stress und Burnout. Wir werden solche Wildwestverhältnisse bekämpfen!»

Und tatsächlich müsste es in die Gegenrichtung gehen. Denn die Anzahl Arbeitnehmender, die wegen Stress und Vermischung von Arbeit und Freizeit ein Burnout erleiden, steigt dramatisch. Für Cirigliano steht ausser Frage:

Statt Abbau braucht es besseren Schutz für alle Arbeitnehmenden, auch im Homeoffice. Dieser Schutz hat Gesundheits- und Datenschutz, Haftungsfragen sowie die Übernahme der Kosten des Materials zu umfassen.

Die jetzt vorgeschlagene Revision dehnt dagegen die bereits grosse Arbeitgeber-Flexibilität auf dem Rücken der Beschäftigten aus. Statt klare und verbindliche zusätzliche Schutzmassnahmen im digitalen Arbeitsumfeld zu schaffen.

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