Nationalrat will niedrigste Löhne weiter senken
Die Abstimmung der Schande!

109 Nationalrätinnen und Nationalräte wollen Geringverdienenden weitere Hunderte Franken Lohn wegnehmen. Und sie trotz 100-Prozent-Job aufs Sozialamt schicken. Sollte sich der Ständerat der Hungerlohn-Koalition anschliessen, werden die Gewerkschaften das Referendum ergreifen.

HAT GEGEN DIE HUNGERLOHN-KOALITION ANGEKÄMPFT: SP-Co-Präsident Cédric Wermuth an der heutigen Debatte im Nationalrat. (Foto: Keystone)

Arbeitgeber hassen Mindestlöhne. Warum? Weil Mindestlöhne tun, was sie tun sollen: dafür sorgen, dass der Lohn für einen 100-Prozent-Job mindestens beim Existenzminimum liegt (zum Beitrag). Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber noch immer müssen Menschen, die 100 Prozent chrampfen, aufs Sozialamt, weil ihr Lohn nicht ausreicht, die elementarsten Lebenskosten zu decken. Unverantwortliche Arbeitgeber und ihre marktradikalen Verbandsfunktionäre finden es völlig in Ordnung, dass die Allgemeinheit ihre Profite bezahlt.

Heuchler Ettlin

Damit kantonale Volksentscheide für Mindestlöhne ausgehebelt werden können, hat der Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin vor fast fünf Jahren eine Motion eingereicht. Weil sich aber ein parlamentarischer Vorstoss «Mindestlöhne stoppen, Volksentscheide kippen» eher schlecht gemacht hätte, nannte er die Motion heuchlerisch: «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen».

DER URHEBER DER MOTION: Ständerat Erich Ettlin. (Foto: Keystone)

Volksentscheide als «umstrittene Eingriffe», darauf muss man auch erst mal kommen! Doch die bürgerlichen Mehrheiten in National- und Ständerat überwiesen das Anliegen an den Bundesrat, und der musste eine entsprechende Gesetzesänderung ausarbeiten. Obwohl er nicht wollte. Und obwohl er das Anliegen auch heute noch ablehnt – so wie die meisten Kantone auch. Selten genug: In seiner Botschaft zur Vorlage schreibt der Bundesrat fest, dass die Gesetzesänderung gleich mehreren Grundsätzen der Schweizer Rechtsordnung widerspreche. Doch davon wollen Ettlin und Konsorten nichts wissen und beharren darauf, dass es ihnen um «die Stärkung der Sozialpartnerschaft» gehe und um nichts anderes.

Ehrlicher Müller

Doch dann kam Roland A. Müller. Der ist Direktor des Arbeitgeberverbandes und verdient sein Geld seit dem Abschluss seines Jusstudiums als Verbandsfunktionär: Auf 8 Jahre beim Arbeitgeberverband der Maschinenindustrie (früher ASM, heute Swissmem) folgten 7 Jahre Schweizerischer Versicherungsverband. 2007 wechselte Müller dann zum Arbeitgeberverband, wo er 2013 Direktor wurde und bis heute ist.

Bei einer solchen Biographie darf man guten Gewissens davon ausgehen, dass Müller vor einer parlamentarischen Kommission nicht einfach so daherschwätzt oder ihm etwas einfach so «rausrutscht». Einer wie Müller weiss, was er sagt. Und Müller zerlegte im März in der nationalrätlichen Wirtschaftskommission das ganze «Sozialpartnerschaft stärken»-Gesäusel von Ettlin brutal. Vor den Mitgliedern der nationalrätlichen Wirtschaftskommission sagte Müller über Löhne zum Leben: solche seien «nicht die Aufgabe der Arbeitgeber». Und:

Irgendwo hört es auf. Da muss dann schliesslich die Sozialhilfe einspringen.

Der «Blick» hat Müllers Ehrlichkeitsanfall hinter verschlossenen Türen verdienstvollerweise der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht (zum work-Beitrag).

Lohndrücker-Debatte

Keine Nationalrätin und kein Nationalrat konnte nach dem Müller-Leak noch glauben, es gehe bei der Ettlin-Motion um eine «Stärkung der Sozialpartnerschaft». Mehr noch: Keine und keiner hätte eigentlich überhaupt nur so tun dürfen, als würde er es glauben. Denn spätestens seit die Müller-Aussagen öffentlich waren, war klar:

Es geht darum, weiterhin ungeniert Hungerlöhne bezahlen zu können, bestehende Tieflöhne weiter zu kürzen und die überausgebeuteten Büezerinnen und Büezer aufs Sozialamt zu schicken.

Doch Müllers Ehrlich- oder Dreistigkeit hat auch auf die bürgerlichen Nationalrätinnen und Nationalräte kaum abgefärbt. Ganz so, als hätte der Arbeitgeberdirektor nicht schon längst stellvertretend für alle Lohndumper die Maske fallenlassen, säuselte der St. Galler FDPler Marcel Dobler von der «bewährten Sozialpartnerschaft», die er schützen wolle, und behauptete ebenso unbeirrt wie kontrafaktisch: «Staatliche Mindestlöhne vernichten Jobs». Bei der Nachfrage von SP-Co-Präsident Cédric Wermuth, auf welche Studien er sich denn beziehe, begann Dobler zu stottern, sagte dann, «ich hab den Faden verloren», beantwortete die Frage nicht und lachte in die Runde. So geht Arroganz der Macht! Am Schluss stand es 109 zu 76 bei 7 Enthaltungen für die weitere Senkung der tiefsten Löhne und die Ausschaltung des Stimmvolks in den Kantonen.

DAS SCHLUSSRESULTAT: Die heutige Abstimmung im Nationalrat. (Foto: Screenshot)

Die Hungerlohn-Koalition

Wer genau wissen will, wer alles zur Hungerlohn-Koalition gehört, kann das Name für Name hier nachlesen. Geschlossen gegen die Entmachtung der Stimmberechtigten in den Kantonen und für das Recht auf Löhne, die zum Leben reichen, stimmten einzig die Fraktionen der SP und der Grünen. Bei den Grünliberalen enthielt sich der ehemalige Parteichef Martin Bäumle der Stimme, der Rest der Fraktion lehnte ab. Keine einzige Stimme gegen Hungerlöhne kam von der FDP. Bei der SVP stimmte einzig der Walliser Jean-Luc Addor gegen das Lohnsenkungsgesetz.

Wie geht es weiter?

Jetzt ist der Ständerat am Zug. Hier wird es interessant sein zu beobachten, was die rechten Ständerätinnen und Ständeräte höher gewichten: die ideologische Agenda der Hungerlohn-Fans oder den sonst so hochgehaltenen Föderalismus.

Weiterhin energisch bekämpfen werden die Gewerkschaften das Lohnsenkungsgesetz. Unia-Präsidentin Vania Alleva sagt:

Das Ja zum Lohnsenkungsgesetz im Nationalrat ist ein Frontalangriff auf die Menschenwürde, auf die Demokratie und auf die soziale Gerechtigkeit in unserem Land. Armut trotz Arbeit ist ein Skandal in der reichen Schweiz. Die Unia wird sich mit aller Kraft gegen dieses Gesetz wehren. Denn wer 100 Prozent arbeitet, muss von seinem Lohn leben können!

Sollten tatsächlich beide Räte Ja sagen zum Lohnsenkungsgesetz und damit Tausende Vollarbeitende wieder aufs Sozialamt schicken wollen, ist das Referendum sicher.

1 Kommentare

  1. Anderegg Melina 17. Juni 2025 um 14:52 Uhr

    Die meisten Arbeitenden, die keine Airnb oder Booking.com Wohnungen besitzen können die KK Prämien nicht mehr bezahlen, die Mieten sind auch zu hoch, Energiekosten nicht mehr bezahlbar. Steuern auch zu hoch. Die Löhne reichen so oder so nicht mehr! Egal was in Bern gebastelt wird.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.