Tesla setzt Kranke systematisch unter Druck
Wenn die Musk-Lakaien zweimal klingeln

Wer nicht arbeiten kann, schafft keinen Mehrwert für den reichsten Mann der Welt. Darum setzen seine Statthalter rund um die Welt die Arbeiterinnen und Arbeiter unter Druck. In Deutschland stossen sie auf Widerstand. 

DER KÖNIG UND SEIN STATTHALTER: Elon Musk mit André Thierig, Werksleiter der Fabrik in Grünheide (D). (Foto: Keystone)

Wer krank ist, freut sich oft über einen kurzen Besuch. Doch wenn es bei kranken Arbeitenden der Tesla-Gigafactory in Grünheide bei Berlin klingelt, verheisst das nicht unbedingt etwas Gutes. Gut möglich, dass der Personalchef vor der Tür steht, um mal zu schauen, ob man wirklich krank sei. Erik Demmler heisst der Mann und pfeift auf Arztzeugnisse. Er will selber bestimmen, wer arbeiten kann. Er will die Diagnose wissen. Und er schaut auch gerne in die Apotheken-Plasticsäcke der Überraschungsbesuchten. Wer das Arztgeheimnis nicht «freiwillig» aufhebt, muss damit rechnen, dass Tesla einfach mal den Lohn nicht auszahlt. 

Einschüchterung

Die IG Metall schildert das Vorgehen so:

Oft zweifelt Tesla in einem ersten Schritt rückwirkend Krankschreibungen von Beschäftigten an und fordert dazu auf, Diagnosen offenzulegen und die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.

Wer sich weigert, muss mit weiteren Schikanen rechnen. In mehreren Fällen wurde der Lohn der Krankgemeldeten von Tesla einbehalten. Laut IG Metall ging die Musk-Firma dann auch noch auf die Beschäftigten los mit der Aussage, eine «Überbezahlung» festgestellt zu haben, da der oder die Beschäftigte irrtümlich während der Krankschreibung bezahlt worden sei. Die «Schulden» würden sie dadurch los, dass sie einen Aufhebungsvertrag unterzeichneten. Dazu sagt Dirk Schulze, IG-Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen: «Die vermeintlichen Überbezahlungen sind in fast allen Fällen nichts als haltlose Behauptungen.» 

Doch bei Tesla sind kranke Mitarbeitende generell unerwünscht: Erkrankte müssen die Firma nicht nur per Mail informieren, sondern zusätzlich einen Eintrag im IT-System machen und ihre Vorgesetzten telefonisch benachrichtigen. Für Tesla ist dieses komplizierte und fehleranfällige System eine Abmahnmaschine. Für IG-Metall-Gewerkschaftssekretär Jannes Bojert zeigt die hohe Anzahl der daraus entstehenden Streitfälle, dass «dieses Verfahren missbraucht wird», um auf unliebsame Mitarbeitende loszugehen. Die IG Metall ist trotz heftigem Widerstand von Elon Musk und seinen Statthalterinnen und Statthaltern die grösste Gewerkschaft in der Tesla-Gigafactory.

Elon Musk macht kein Geheimnis daraus: Er hasst Gewerkschaften. In Deutschland dagegen geniessen Betriebsräte und Gewerkschaften gesetzlichen Schutz. Diesen Widerspruch ­versuchte Tesla zu lösen, indem der obligatorische Betriebsrat bereits vor der offiziellen Eröffnung des Werkes gewählt wurde. Damals waren noch kaum Produktionsmitarbeitende eingestellt, die rund 2000 Beschäftigten gehörten meist zum Kader. Wenig überraschend gewannen unternehmensnahe Vertreterinnen und Vertreter. Die sich gleich auch noch offen gewerkschaftsfeindlich positionierten. Doch der Trick mit der Schnellwahl gelang nur halb. Denn das deutsche Gesetz sieht vor, dass bei starkem Personalausbau oder Personalwechsel der Betriebsrat neu gewählt werden muss. Das geschah nach längerem Hin und Her und ­einem von Seiten der Firmenleitung offensichtlich zu ihren Gunsten beeinflussten Wahlkampf im März 2024. 

Widerstand

Die IG Metall ­wurde trotz allen Schikanen die stärkste Kraft. Verpasste aber die absolute Mehrheit. Darum ist immer noch Michaela Schmitz Betriebsratschefin. Sie sagt: «Das letzte, was wir brauchen, ist eine Gewerkschaft.» Die IG Metall kämpft an allen Fronten und auf allen Parketten. Mit zunehmendem Erfolg. Trotz massiven Einschüchterungen, zum Teil auch durch den Werkschutz, engagieren sich immer mehr Gigafactory-Arbeitende in der Gewerkschaft. Und trotz ­allen Behinderungen von Management und Betriebsratsmehrheit unterschrieben 3086 Tesla-Beschäftigte im März 2025 eine Petition der IG Metall. Sie verlangen unter anderem län­gere Pausen, ein Ende der Unterbesetzung und den Stop von Schikanen. Die Petition wurde bei der Betriebsversammlung der Werksleitung übergeben.

Die systematischen Angriffe auf kranke Mitarbeitende haben zu einer Flut an Rechtsstreitigkeiten geführt. Bei Tesla in Grünheide benötigen Mitglieder über zwanzigmal so häufig den Rechtsschutz der Gewerkschaft wie im Durchschnitt der IG Metall.

Warum so krank?

Tesla-Standort-Leiter André Thierig und sein Personalchef Erik Demmler geben zur Begründung ihrer Überfälle auf Kranke die im Vergleich mit der Konkurrenz vielen kranken Mitarbeitenden an. Und tatsächlich: Bei Tesla in Grünheide erreichte der Krankenstand in den Sommermonaten 2024 zeitweise 15 Prozent oder mehr. In einzelnen Monaten wurde sogar von einem Krankenstand von bis zu 17 Prozent berichtet. Zum Vergleich: Der Krankenstand in der deutschen Metall- und Elektroindustrie, zu der die Autobauer gehören, lag im Jahr 2023 bei 5,8 Prozent. 

Kurz: Bei Tesla arbeiten macht krank. Doch davon wollen die deutschen Tesla-Manager so wenig wissen wie ihr Boss in den USA. Stossrichtung: «Echte» Kranke gibt’s für sie kaum, dafür jede Menge Simulantinnen und Weicheier. Als «Beweis» ziehen Thierig und Demmler die Leiharbeitenden heran. Bei den Prekär-Beschäftigten sei der Krankenstand schliesslich viel tiefer. 

Anders sehen das die Arbeitenden und ihre Gewerkschaft. Die IG Metall führte im November 2024 eine Umfrage unter den Tesla-Beschäftigten durch. Die Ergebnisse zeichnen ein düsteres Bild der Arbeitsbedingungen:

Über 80 Prozent der Befragten gaben an, überlastet zu sein. Erschreckende 90 Prozent berichteten von «arbeitsbedingten Schmerzen». Nur 10 Prozent konnten sich vorstellen, die derzeitige Belastung bis zur Pensionierung durchzuhalten.

«Knochenarbeit in der Gigafactory» – so fasste die Gewerkschaft die Situation zusammen. 

Die Zustände haben sich seither nicht verbessert. Im Gegenteil: Während im Vorjahr die rund 12’500 Beschäftigten rund 5000 Fahrzeuge pro Woche produzierten, sollen es dieses Jahr mit 10 Prozent weniger Personal 7500 Autos pro Woche sein.

Gutjahr auf Musks Spuren

Antisoziale Amis halt, könnte man denken. Doch halt, es muss nicht Trump-Land sein, der Thurgau reicht auch. Dort führt SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr das vom Papi geerbte Geschäft. So wenig wie Elon Musk kann sie es verputzen, wenn Arbeitende ausfallen, weil sie krank sind. Auch Gutjahr hält Krankgeschriebene für Weicheier, die sich um die Arbeit drücken. Darum will auch sie das Arztgeheimnis aufheben und möchte am liebsten gleich «gewerbenahe Ärzte». work hat Gutjahrs Fieberträume ausführlich gewürdigt: Hier geht es zum Artikel.

Verkaufszahlen im Sinkflug

Seit Anfang Jahr sind in der Schweiz nur noch 1465 neue Tesla verkauft worden. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 3714 Fahrzeuge. Damit sind die Verkaufszahlen im Vergleich zum Vorjahr um 60,6 Prozent eingebrochen. Der Marktanteil von Tesla beim Verkauf von Neuwagen ist von 4,8 Prozent auf 2,1 Prozent zusammengeschrumpft. 

Auch in anderen Ländern sind die Verkaufszahlen von Tesla massiv zurückgegangen: minus 62 Prozent in Grossbritannien, minus 46 Prozent in Deutschland, minus 81 Prozent in Schweden … Verglichen mit April 2024 haben sich die Tesla-Verkäufe in ganz Europa ungefähr halbiert. Auch im weltweit grössten Automarkt China gab es einen Rückgang (minus 9 Prozent). Entsprechend schlecht sind die Quartalszahlen des Unternehmens: Der Gewinn ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 71 Prozent eingebrochen. (isc/pam)

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