Riesen-Rausschmiss in Langnau ZH
Susan Ponti und Fredi König gegen die Zurich Invest AG

Die Zurich-Versicherung plant die Totalsanierung einer Siedlung mit 284 kostengünstigen Wohnungen im Zürcher Sihltal. Doch die Mieter und Mieterinnen wehren sich gegen die Massenkündigung. 

MASSENKÜNDIGUNG WEGEN TOTALSANIERUNG: Fredi König und Susan Ponti in der Vita-Siedlung, auf der Schaukel sitzt Pontis Tochter Lena. (Foto: Nicolas Zonvi)

Im März erhielten die 284 Mietparteien der Vita-Siedlung in Langnau ZH von der Hausverwaltung einen eingeschriebenen Brief. Der Inhalt: die Kündigung ihrer Wohnungen per Ende September 2025. Fredi König war geschockt! Seit 1992 lebt der gelernte Maschinenschlosser und Informatiker in einem Hochhaus der Siedlung, und seine drei Kinder sind hier aufgewachsen. Er sagt: «Ich komme aus der Stadt Zürich, aber das hier ist meine zweite Heimat, hier leben meine Kinder und auch meine Enkel!» 

Massenkündigung ohne Rücksicht 

Nach dem Skandal um die Sugus-Häuser in der Stadt Zürich war es also auch im Zürcher Sihltal so weit: eine Massenkündigung ohne Rücksicht auf Verluste! In diesem Fall ist die Besitzerin nicht eine reiche Erbin, sondern die Bank der Zurich-Versicherung, die Zurich Invest AG. Und er, Fredi König, 62jährig und seit zwei Jahren arbeitslos, ein Direktbetroffener. König sagt: «Gerüchte über die Totalsanierung der Gebäude, die in den 60er Jahren gebaut wurden, gab es schon seit vielen Jahren. Und es muss auch etwas gemacht werden, aber mit dieser Massenkündigung ohne jegliche Vorinformation zum Bauprojekt haben wir nicht gerechnet.» 

Gegen Abzocker

Der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz (MVS) hat am 16.  Mai die eidgenössische Volks-initiative «Ja zum Schutz vor missbräuchlichen Mieten (Mietpreisinitiative)» lanciert. Den Artikel dazu finden Sie hier.

Ängstliche Stimmung im Quartier

Auch die gelernte Wirtschaftsinformatikerin Susan Ponti (40) lebt mit ihrer Grossfamilie seit acht Jahren in der Vita-Siedlung. Ihre fünf Kinder lieben den Fussballplatz zwischen den Wohnblöcken. Pontis einstöckiges Einfamilienhaus mit Gartensitzplatz ist Treffpunkt für die Kinder und Eltern in der Siedlung. Ponti sagt:

Nach der Massenkündigung herrschte eine sehr depressive und ängstliche Stimmung im Quartier, die Menschen haben geweint auf der Strasse. In dieser Situation wollten wir uns gegenseitig Kraft geben.

Zusammen mit Fredi König hat Ponti deshalb die IG Vita-Siedlung ins Leben gerufen. 

Eine systemrelevante Siedlung

Ponti sagt: «Wir beide haben das Flair, etwas anzureissen, und wir sind beide politisch aktiv.» Ponti ist Präsidentin der GLP des Bezirks Horgen und als Schulpflegerin gut vernetzt in der Gemeinde. König ist Mitglied der SP und war früher Gewerkschafter beim Smuv. Seit vielen Jahren kennt er auch Walter Angst, den Präsidenten des Zürcher Mieterverbandes. Das war die richtige Ansprechperson, um den Widerstand gegen die Massenkündigung zu organisieren. In einem offenen Brief forderte die IG Vita-Siedlung vom Langnauer Gemeinderat eine Erklärung zur Massenkündigung und zum Bauprojekt.

BEDROHTES IDYLL: Die grosse Wiese im Quartier dient den Kindern als Spielplatz. (Foto: Nicolas Zonvi)

Ponti sagt: «Fast jeder zehnte Einwohner der Gemeinde wohnt bei uns in der Siedlung. Es gibt Dutzende schulpflichtige Kinder, alte Menschen und Sozial-hilfebezüger, für welche die Gemeinde zahlbaren Wohnraum finden muss.» Insgesamt bietet die Siedlung derzeit 800 Menschen kostengünstigen Wohnraum. Auch König sieht die Gemeinde in der Pflicht, sich für eine sozialverträgliche Sanierung einzusetzen. 

Zurich Invest schweigt

Die Gemeinde Langnau reagierte auf den offenen Brief der IG mit Gesprächen und einem kurzen Statement auf der Website. Der Gemeinderat bedauert darin die gleichzeitige Kündigung aller Mietverhältnisse und verweist auf einen städtebaulichen Vertrag, der eine bauliche Etappierung und sozialverträgliche Sanierung der Siedlung durch die Zurich Invest AG vorgesehen hätte. Die Gemeinde schreibt auf Anfrage von work, dass sie keine weiteren Informationen zu den laufenden Verhandlungen mit der Besitzerin machen könne. Die Zurich Invest AG äussert sich bisher nicht öffentlich zur Forderung nach einer Etappierung des Bauprojekts.

TREFFPUNKT: Der Gartensitzplatz von Susan Ponti. (Foto: Nicolas Zonvi)

Was brauchen die Mieterinnen?

Nach einem Infoanlass für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung, den die IG im April organisiert hatte, haben sich 80 Mieterinnen und Mieter in einem Whatsapp-Chat zusammengetan. Dutzende Mieterinnen und Mieter gehen vor die Schlichtungsbehörde und versuchen den Kündigungstermin aufzuschieben, so dass sie noch länger in der Siedlung wohnen können. Die Wohnungssuche in Langnau ist im Moment sowieso fast aussichtslos. Auch Fredi König bleibt vorerst in seiner Dreizimmerwohnung, für die er einschliesslich Parkplatz 1156 Franken pro Monat zahlt. Auch mehr als ein Dutzend Mitglieder der Unia wohnen in der Siedlung: von der Pflegerin über den Koch bis zum Sanitärinstallateur. 

Die IG hat gemeinsam mit dem Mieterverband eine Umfrage unter den Mietern und Mieterinnen gestartet, mit Fragen zur gegenwärtigen Wohnsituation und zu den Bedürfnissen. Ponti sagt: «Ich schätze, dass 90 Prozent der Mieterinnen und Mieter in der Siedlung bleiben möchten. Ende Mai, wenn die Umfrage ausgewertet ist, werden wir es genauer wissen.»

Immer höhere Preise trotz Leerständen

Nicht nur in den Städten und Tourismusregionen ist die Wohnungssuche schwierig. Wegen des Bevölkerungswachstums, des zunehmenden Wohnflächenverbrauchs pro Person sowie Airbnb und Business-Apartments steigt die Nachfrage nach Wohnungen in der Schweiz ­weiterhin an. Zwischen 2020 und 2024 ist die Leerstandsquote von 1,72 Prozent auf 1,08 Prozent gesunken. Doch auch höhere Leerstandsquoten in den letzten zehn Jahren ­haben nicht zu sinkenden Preisen geführt. Im Gegenteil: Die durchschnittlichen Mietpreise legten zwischen 2000 und 2024 um 38 Prozent zu und übertrafen damit sowohl die ­Inflation als auch das Lohnwachstum deutlich. Mehr über die Geschichte des Wohnens in der Schweiz über diesen Link.

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