Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Es war ein «Blick»-Artikel, wohl eher ein ­Werbespot über eine Beauty-Klinik für Männer. Sie scheint zu laufen wie geschmiert (Haartransplantationen, Botox, das ganze Programm). Und dann das: Der erfolgreiche Business-­Besitzer sieht seinen wahren Luxus darin, Zeit mit seiner dreijährigen Tochter verbringen zu können. Tatsächlich: Zeit ist Luxus. Wer es sich leisten kann, kauft sie sich: mit Reinigungs­hilfen, Nannys, Teilzeitjobs… Auch deshalb fordern die Gewerkschaften eine Arbeitszeitreduktion bei gleichem Lohn. So auch die Baubüezer (zum Beitrag).

Leid

Denn die meisten Menschen haben zu wenig davon: Sie geht verloren in einem nie enden wollenden Strudel von Überstunden, Care-Arbeit und Freizeitstress. 40 Jahre Neo­liberalismus haben uns ­darauf getrimmt, die Zeit möglichst (selbst)optimiert zu nutzen. Unproduktive Zeit ist des Teufels. Darunter leiden Nachbar- und Freundschaften, Vereine, Parteien und letztlich auch die Demokratie. In einer Gesellschaft komme es auf Zusammenhalt an, auf Offenheit und Empathie. Fehlende Zeit mache die Gesellschaft brüchiger, schreibt die deutsche Feministin und Autorin Teresa Bücker.

Zeit

Wir brauchen dringend mehr davon. Um soziale Bindungen zu stärken, um uns zu organisieren, um dem schwer erträglichen Faschismus-Frühling etwas entgegenzusetzen. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Wählen von rechtsextremen Parteien und Frust, sagt Faschismus-Expertin Natascha Strobl im grossen work-Interview (zur aktuellen Ausgabe). Frust darüber, dass das Leben immer schneller, anstrengender und doch prekärer wird. Dass Zeit immer ungleicher verteilt ist, auch die Lebenszeit. Frust darüber, dass die Lohnentwicklung nicht mit der Produktivität Schritt hält. Heisst: immer mehr Stress für weniger Lohn.

Freiheit

Die Zeit der Verkäuferinnen wollen die St. Galler Bürgerlichen rauben. In einem weiteren Kapitel in der unendlichen Geschichte der verlängerten Ladenöffnungszeiten. Zwei Verkäuferinnen haben sich die Zeit genommen, work zu sagen, was sie über längere Öffnungszeiten denken: «Im Verkauf zu arbeiten ist ein schöner Beruf, doch er wird gerade mit den Arbeitszeiten immer unattraktiver», sagt Trisha Aerne (23). Und ihre Kollegin Judith Gamma (62) doppelt nach: «Die Rede
ist von Freiheit für Wirtschaft und die Kundschaft. Aber wo bleibt die Freiheit für das Verkaufspersonal?». (zum Beitrag)

Seit langer Zeit arbeitet Elektromechaniker Urs Berchtold (57) bei Rockwell in Aarau. Dort wollte er mehr Mitsprache im Betrieb. Und widmet seit seiner Wahl viel Zeit dem Amt als Peko-Co-Präsident. 2023 forderten die Angestellten des US-Konzerns in der Schweiz Lohnverhandlungen und holten sich Unterstützung bei der Unia. Berchtold sagt: «Es braucht eine gewisse Frechheit, vielleicht auch Blauäugigkeit, um sich zur Wehr zu setzen». (zum Beitrag)

Die Zeit von Hotelreinigerin Kezia Ortiz ist knapp bemessen: Für die Reinigung eines Zimmers in einem Luzerner Hotel hat sie gerade mal 20 Minuten Zeit. Doch diese Zeit reiche kaum. Ob sie am Tag der Arbeit arbeiten muss, weiss sie noch nicht. Falls sie freihat, ist für sie klar: Sie geht hinaus zum 1. Mai! Um mit ihren Unia-Gschpänli Zeit zu verbringen, um sich Zeit zu nehmen für Widerstand. (zum Beitrag)

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