Die Revolution beginnt in der Küche
«I chume nid drus!» Hand aufs Herz, wer hat das nicht auch schon gedacht angesichts der Zahlen, mit denen Gegner und Befürworter der BVG-Reform jonglieren? Das liegt nicht an unserer...
Auf den ersten Blick ist das mit der Umsetzung des Stromgesetzes etwas kompliziert. Wer weiss schon, was ZEV und LEG sind! Doch auch die Umsetzung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) war nicht ganz einfach. Kam aber trotzdem gut.
Erfahrungen mit politischen Prozessen lehren uns: oft ist alles ganz anders, als wir denken. Und manchmal übersehen wir das Wichtigste. Vier Beispiele:
Die Alpeninitiative wurde vom Volk und den Ständen angenommen. Weil ihr ehemaliger Präsident Andreas Weissen und ihr ebenfalls ehemaliger Geschäftsführer Alf Arnold in der ganzen Schweiz Unterstützung suchten und fanden. Und weil der Text sich vordergründig gegen ausländische Lastwagen wandte und mit dem Mythos Gotthard operierte: Eidgenossen hassen ausländische Lastwagen, ihre Liebe gilt den Alpen und vorab dem Gotthard. Die Umsetzung erfolgte dann EU-kompatibel. Schrittweise wurden die Vierzigtönner zugelassen. Und gleichzeitig die LSVA erhöht. Mit den Einnahmen von mehr als einer Milliarde Franken pro Jahr finanzierte man schwergewichtig die Neat-Tunnels.
Das Schweizer Volk sagte Ja zur Zweitwohnungsinitiative von Umweltschutzaktivist Franz Weber. Seine Tochter Vera Weber liess sich im Rahmen der Gesetzesarbeiten von der SVP mit einem Bubentrickli über den Tisch ziehen: Jetzt gelten nur zum Schein bewirtschaftete Zweitwohnungen nicht mehr als Zweitwohnungen. In attraktiven Kurorten wie in Zermatt VS ist der Himmel in den zwei Zwischensaisons voller Kräne, es wird fröhlich weitergebaut. Ein gigantischer Bschiss.
Die Verwaltungen der Pensionskassen fressen viel zu viel Geld. Nach den Berechnungen von Ökonom und SP-Mann Ruedi Strahm sind es 7,6 Milliarden pro Jahr. Deshalb soll jetzt der Umwandlungssatz gesenkt werden. Statt die Leistungen zu kürzen, müsste man aber die Verwaltungskosten auf 1 Milliarde Franken senken. Ist dank künstlicher Intelligenz kein Problem. Und parallel dazu die AHV stärken. Warum bleibt Strahm ein einsamer Rufer in der Wüste?
Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren immer wieder moniert, dass die Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen in Sachen AHV viel zu pessimistisch seien. Jetzt muss das Departement des Innern, das seit Jahr und Tag in SP-Händen ruht, zugeben: Wir haben uns verrechnet. Bis 2023 ist das Loch 14 Milliarden kleiner als bisher berechnet. Eine gute Nachricht mit bitterem Beigeschmack: Warum hat niemand entdeckt, dass die Software, die der Bund bisher verwendete, Fake-Zahlen produzierte?
Kann man aus Geschichten wie diesen etwas lernen? Es ist jedenfalls nicht verboten. Nationalrat, Ständerat und Volk haben das neue Stromgesetz hoch angenommen. Niemand wusste genau, was da drinstand. Die Weichen gestellt hat im wesentlichen der grünliberale Nationalrat Jürg Grossen mit seiner kleinen, feinen und innovativen Denkfabrik in Frutigen. Noch muss der Bundesrat Verordnungen erlassen, noch werden die Stromabzocker, die Albert Rösti nahestehen, versuchen, zu viel Bewegung zu verhindern. Wie erfolgreich sie das tun, werden wir im Oktober 2024 wissen, wenn der Bundesrat die noch geheimen Verordnungen publiziert und in Kraft setzt. Versuchen wir zu begreifen, was geschehen wird:
Der Bundesrat muss festlegen, wie viel private Solarstromproduzenten für ihren Strom entschädigt bekommen, den sie ins Netz speisen. Offenbar werden das 4,5 Rappen pro Kilowattstunde sein. Das erhöht den Druck, dass mehr dezentrale Batterien installiert werden, um den Tag-und-Nacht-Ausgleich sicherzustellen und so das Netz zu entlasten. Der Preis der Batterien wird erfreulicherweise in den Keller rutschen.
Das Gesetz sieht neu auch virtuelle Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) vor: Wer auf der gleichen Netzebene unterwegs ist, kann den Strom ohne Netzkosten an Konsumentinnen und Konsumenten weiterverkaufen. Innerhalb der gleichen Gemeinde ist es zudem möglich, lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) zu schaffen.
Auf den ersten Blick ist das alles kompliziert. Aber es hat seinerzeit auch lange gedauert, bis Energieminister Moritz Leuenberger begriffen hatte, wie die LSVA funktioniert. Der rote Faden: wer gewinnen will, muss konzeptionell arbeiten und Karten in der Hinterhand behalten. Die Spielindustrie müsste also ein Anti-Monopoly auf den Markt bringen. Damit wir alle schneller begreifen, was da an Erfreulichem auf uns zukommt. Wenn Rösti uns nicht ausbremst.