Wer verdient an Menschen, die ihre Angehörigen pflegen?

Ein Geldsegen für findige Firmen

Christian Egg

Wer kranke Angehörige pflegt, hat Anrecht auf eine Entschädigung. Allerdings verdienen ­zahlreiche private Firmen kräftig mit. Denn ­staatlich subventionierte Spitex-Tarife garantieren hohe Margen.

PFLEGE: Wer sich um seine Angehörigen kümmert, kann dafür entlöhnt werden. Dabei kassieren private Firmen ab. (Symbolbild: Adobe Stock)

Bereits mit 57 Jahren erkrankte Werner Bähler* an Parkinson. Heute, mit 73, sitzt er im Rollstuhl und ist auf Pflege angewiesen. Seine Frau Sandra* hilft ihm beim Anziehen, beim Gang auf die Toilette, sie wäscht ihn, wechselt seine Einlagen und die Bettwäsche und so weiter. Sicher drei Stunden täglich, sagt die 61jährige im Gespräch mit work, wende sie für die Pflege und Betreuung ihres Mannes auf. «Und es wird nicht weniger.»

Vor fast zwei Jahren gab sie ihren gutbezahlten Job als Buchhalterin auf, damit ihr Mann weiterhin zu Hause leben kann: «Solange ich zu ihm schauen kann, muss er nicht ins Pflegeheim.»

ANERKENNUNG FÜR CARE-ARBEIT, ABER …

Immerhin: Für einen Teil ihrer Care-Arbeit wird Sandra Bähler finanziell entschädigt. Möglich macht dies ein Urteil des Bundesgerichts von 2019: Pflegende Angehörige können demnach einfache Pflegeleistungen über die Krankenkasse abrechnen. Aber nur über eine Spitex-Organisation. Diese zahlt den Angehörigen einen Stundenlohn und stellt dies der Krankenkasse in Rechnung. Regelmässig kon­trolliert zudem eine diplomierte Spitex-Pflegekraft, ob alles in Ordnung sei.

Deshalb hat Bähler jetzt einen Arbeitsvertrag mit der Firma Asfam. Diese hat sich auf pflegende Angehörige spezialisiert und beschäftigt laut eigenen Angaben gut 600 Personen. Exakt 85 Minuten Grundpflege pro Tag kann Bähler jetzt über die Asfam abrechnen, zu einem Stundenlohn von 34.30 Franken brutto. Eine Ferienentschädigung ist da bereits eingerechnet.

… DIE FIRMA VERDIENT AN JEDER STUNDE

Sie sei froh um die Entschädigung, «auch wenn das kein Vergleich ist mit dem Lohn, den ich vorher hatte». Was sie aber gewaltig ärgert: Die Asfam rechnet pro Stunde einen weit höheren Betrag ab, nämlich gut 82 Franken. Das ist der Spitex-Tarif in ihrer Gemeinde Frauenfeld. Denn Firmen wie die Asfam profitieren von einem Finanzierungssystem, das auf die reguläre Spitex ausgelegt ist. Die Krankenkassen zahlen den Grundpflege-Tarif von 52.60 pro Stunde. Dazu bezahlt in fast allen Gemeinden die öffentliche Hand eine sogenannte Restkostenfinanzierung, in Frauenfeld derzeit gut 30 Franken.

Das deckt auch Kosten der Spitex, für die die Krankenkasse nicht aufkommt. Etwa den Weg der Pflegenden von einem Einsatz zum nächsten oder die Planung der Einsätze. Kosten, die bei der Asfam nicht anfallen. Trotzdem darf sie für Angehörige wie Sandra Bähler den vollen Spitex-Tarif in Rechnung stellen. Die pensionierte Buchhalterin rechnet vor: «Für jede Stunde, die ich leiste, sahnen die 49 Franken ab. Das ist doch verrückt!»

Mit pflegenden Angehörigen, so scheint es, lässt sich gutes Geld verdienen. Mit Anzeigen in den sozialen Medien spricht derzeit auch die Firma Pflegewegweiser gezielt Angehörige an. Ähnlich wie Asfam zahlt sie 35 Franken Stundenlohn und stellt den Spitex-Tarif in Rechnung. Dahinter steht die deutsche Firma Entyre, an der die Schweizer Krankenkasse CSS beteiligt ist.

«EINE GELDMASCHINE»

Der Krankenkassenverband Santésuisse berichtet auf Anfrage gar von mindestens 40 Organisationen und Firmen, die nur mit dem Zweck gegründet wurden, pflegende Angehörige anzustellen. Sprecher Matthias Müller stellt fest: «Offenbar handelt es sich hier um ein sehr lukratives Geschäft, eine eigentliche Geldmaschine.»

Kritisch sieht den Boom solcher Firmen auch der Verband der Nonprofit-Spitex. Co-Geschäftsführerin Marianne Pfister fordert, die Kantone müssten genauer hinschauen. Denn um über die Krankenkasse abzurechnen, braucht eine Firma eine Spitex-Bewilligung. Pfister: «Die zu erhalten ist heute viel zu einfach. Das hat zu einem Wildwuchs solcher Firmen geführt.»

Firmen mit einer staatlich garantierten hohen Marge. Während sie den Angehörigen meist zwischen 33 und 35 Franken pro Stunde auszahlen, sacken sie bei Kassen und der öffentlichen Hand den weit höheren Spitex-Grundpflege-Tarif ein. Im Kanton Aargau liegt er beispielsweise einheitlich bei 88.70 Franken, im Kanton Bern gar bei 92.40.

VERSCHWIEGENE FIRMEN

work hat nachgefragt: Wofür genau verwenden die Firmen diese Margen? Doch keine legt Zahlen offen. Die Arana Care, bereits seit 2019 im Geschäft, findet diese Frage sogar «nicht angemessen». Gibt aber bekannt, dass sie mit den Überschüssen Kredite ­zurückzahle, nachdem sie in den ersten Jahren Verluste geschrieben habe. Ausserdem werde «die Leistungserbringung laufend optimiert, was Geld kostet». Auch ins Care-Management und die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden werde viel investiert. Die Firma Pflegewegweiser gibt an, dass sie ­Gewinne «vollständig in die Weiterentwicklung» investiere und «als Privatfirma» keine Geschäftszahlen veröffentliche.

Am klarsten äussert sich die Firma Solicare. Man sei eine «gemeinnützige Aktiengesellschaft», so Geschäftsführer Romano Ricciardi. Zwar strebe man einen kleinen Gewinn an. «Aber unsere Statuten verbieten es, Dividenden auszuschütten.» Gewinne blieben in der Firma, um künftige Investitio­nen zu finanzieren.

Während die Firma IAHA mit Sitz in Zürich gar nicht auf die Anfragen von work reagiert, schreibt die Asfam, Arbeitgeberin von Sandra Bähler: Man sei besonders aktiv in Kantonen wie Wallis oder Neuenburg, die für pflegende Angehörige die Restkosten kaum oder gar nicht finanzierten. «Das ­erfordert eine Quersubventionierung.» Zudem investiere man «für jeden pflegenden Angehörigen» 1800 Franken in die Ausbildung. Eine Aussage, die Asfam später zurücknehmen muss (siehe Text unten).

ASFAM SCHÜTTET DIVIDENDE AUS

Die Asfam gibt auch – zumindest teilweise – bekannt, wer profitiert. Jeweils die Hälfte des Gewinns gehe als Dividende an die Aktionäre und die Aktionärinnen, «im Kern» fünf Personen. Der Rest des Gewinns gehe an «soziale Ziele».

Doch das ist höchstens die halbe Wahrheit. Neben dieser Aktiengesellschaft existiert noch eine «Asfam Schweiz GmbH». Diese kassiert «einen Anteil am Umsatz» der regionalen Asfam-Betreiber, die wiederum eigenständige Firmen seien. Ob all diese Firmen Gewinne ausschütten und an wen, das gibt Asfam nicht bekannt.

*Namen geändert


«Wir tragen die Ausbildungs­kosten» – wirklich?Beim Flunkern erwischt

SCHULUNG: Wer eine Angehörige pflegt, muss einen Kurs absolvieren – und da will die Firma Asfam auch gleich mitverdienen. 
(Foto: Keystone)

Wer einen Menschen pflegt, muss wissen, wie. Das gilt auch für Angehörige. Wollen sie für ihre Care-Arbeit eine Entschädigung geltend machen (siehe Text oben), müssen sie einen Pflegehilfekurs oder eine ähnliche Schulung absolvieren.
Das leuchtet auch Sandra Bähler* aus Frauenfeld ein, die ihren kranken Mann pflegt. Trotzdem staunte sie nicht schlecht, als sie Post bekam von der Firma Asfam, die ihr die Entschädigung auszahlt. Denn für die obligatorische Schulung, acht Tage zu je 8 Stunden plus Abschlussprüfung, will ihr die Asfam keinen Lohn zahlen. Im Gegenteil: Die Firma verlangt, dass Bähler die Hälfte der Kurskosten von 1800 Franken selber bezahle.

FRECHHEIT

Völlig daneben sei das, sagt die 61jährige: «Ich musste in meinem ganzen Berufsleben noch nie eine Weiterbildung in der Freizeit machen!» Nicht genug, dass die Asfam an ihr kräftig verdiene – jetzt wolle ihr die Firma noch für den Kurs Geld abknöpfen. Das sei schlicht eine Frechheit.

Zumal auch dieses Geld in der Firmenkasse landen würde. Machen soll sie den Kurs nämlich bei der Asfam Schulung und Bildung GmbH, ebenfalls Teil des unübersichtlichen Asfam-Firmengeflechts.

Auch für den Dachverband «Interessengemeinschaft Angehörigenbetreuung» ist der Fall klar. In einem Posi­tionspapier hielt er letztes Jahr fest: Der Arbeitgeber hat eine solche Ausbildung zu bezahlen, der Kurs gilt als bezahlte Arbeitszeit.

ENTLARVT!

Der Sprecher der Asfam behauptet gegenüber work zuerst, die Asfam trage die vollen Kosten des Kurses. Konfrontiert mit den Fakten aus der Ostschweiz, krebst er zurück: Asfam Schweiz «empfiehlt» den regionalen Ablegern, die Kosten zu übernehmen. Aber: «Jede dieser Gesellschaften operiert eigenständig und unabhängig.»


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