Filialleiterin Kimberly Ackermann (48) wehrt sich gegen längere Öffnungszeiten in Bern

Jetzt ist das Wochenende endgültig futsch!

Christian Egg

Seit die Läden in der Stadt Bern am Samstag länger offen hätten, sei die Motivation der Verkäuferinnen und Verkäufer im Keller, sagt Filialleiterin Kimberly Ackermann. Mehr noch: Die zusätzliche Stunde bringe den Geschäften nichts.

HÄSSIG: Filialleiterin Kimberly Ackermann sagt, dass Boutiquen nicht jede Laune der Leute befriedigen müssten. (Foto: Matthias Luggen)

Es ist ein Tausch, aber kein fairer. In der Berner Innenstadt müssen jetzt Verkäuferinnen und Verkäufer am Samstag eine Stunde länger arbeiten. Per Verordnung hat die Kantonsregierung die Ladenöffnungszeit ausgeweitet, von 17 auf 18 Uhr. Und am Donnerstag den Abendverkauf, der immer weniger Kundschaft anlockte, um eine Stunde gekürzt. Das Ganze sei ein «Versuch», der bis Ende 2025 laufe.

Kimberly Ackermann ist Filialleiterin einer Modeboutique im betroffenen Gebiet. Für die Leute im Verkauf, sagt sie, sei dies ein miserabler Deal. Die meisten ihrer Mitarbeitenden seien jung, zwischen 20 und 25. «Die legen viel Wert auf den Ausgang am Wochenende.» Und diese eine Stunde länger am Samstag, die mache sehr viel aus: «So bist du erst um sieben oder halb acht zu Hause. Dann etwas essen, umziehen… bis du bereit bist, ist der Abend schon halb gelaufen.»

DEN BOGEN ÜBERSPANNT

Der Frust, der daraus entstehe, den merke sie den jungen Kolleginnen und Kollegen die ganze Woche über an, sagt Ackermann: Sie hätten weniger Freude an der Arbeit. Und dadurch sinke die Leistung des Teams. Für die 48jährige ist klar: Mit dieser Ausweitung hat die Regierung den Bogen überspannt.

Denn in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sei von den Mitarbeitenden immer mehr und noch mehr gefordert worden, um die Umsätze anzukurbeln: «Wir sollen zum Beispiel von allen den Namen erfassen, am besten das Geburtsdatum und natürlich, was sie kaufen.» Dann spucke das System diverse Listen aus, etwa mit Leuten, die Geburtstag hätten oder die schon länger nicht mehr im Laden waren. Die Mitarbeitenden müssten dann die Telefonnummern ausfindig machen, die Betreffenden anrufen und im Gespräch dazu bringen, wieder mal vorbeizukommen.

Allein dafür, so Unia-Mitglied Ackermann, bräuchte es pro Tag etwa eine Arbeitskraft mehr. «Aber wir müssen das mit gleich viel Leuten bewältigen wie früher. So steigt unser Aufwand ständig, nur unsere Löhne bleiben tief. Das macht mich hässig.»

FÜR NÜÜT!

Und jetzt noch diese Stunde mehr am Samstag. Die erst noch sinnlos sei: «Wer vorher kurz vor Ladenschluss noch etwas wollte, kommt jetzt eine Stunde später. Für die Firma macht das keinen Unterschied. Für uns schon.» Nein, die Verlängerung sei «für nüüt», sagt die Filialleiterin. Sie sei auch schon an einem Samstag zwischen 17 und 18 Uhr durch die Innenstadt geschlendert – um zu schauen, wie es der Konkurrenz laufe. Ein trauriger Anblick sei das: «Überall leere Läden und unglückliche Mitarbeitende.»

Die Begründung für den Versuch in Bern fällt damit in sich zusammen. Die Kantonsregierung teilte beim Start mit, die neuen Öffnungszeiten sollen «den Einkaufsgewohnheiten entgegenkommen». Kimberly Ackermann widerspricht dezidiert: «Auch wenn das so wäre: nein. Es nervt mich, dass wir im Verkauf jede Laune der Leute befriedigen sollen. Es können sich doch alle so organisieren, dass sie bis am Samstag um fünf ihre Einkäufe erledigt haben.»

Gegenwehr: Unia-Petition fordert Abbruch

Kimberly Ackermann ist mit ihrem Ärger nicht ­alleine. Mehr als 2000 Verkäuferinnen und ­Verkäufer haben eine Petition der Unia unterschrieben, die vom Regierungsrat den Abbruch des Versuchs fordert. Anna Meier von der Unia Bern: «Die Arbeitszeiten im Verkauf sind heute schon dereguliert. Die Grenze des Tragbaren ist längst erreicht!»Kommt dazu: Die Berner Bevölkerung will keine längeren Ladenöffnungs­zeiten. Erst vor drei Jahren sagte der Kanton an der Urne Nein zu einer Deregulierungsvorlage. (che)

 

 


Die Schweiz und ihr durchlöchertes Arbeitsgesetz 

Bundesrat entlarvt Turbo-Lädeler

In seiner Stellungnahme zum neusten Angriff auf die Ladenöffnungszeiten hat der Bundesrat fein säuberlich aufgelistet, wie durchlöchert der Schutz für die Mitarbeitenden im Verkauf bereits ist.

Der Gesundheitsschutz der Lohnabhängigen ist den Marktradikalen grundsätzlich ein Dorn im Auge. Darum machen sie das Arbeitsgesetz als «Fossil aus der Zeit der Industrialisierung» lächerlich und greifen es an, wo sie nur können. Wenn immer ein Thema in der öffentlichen Wahrnehmung auftaucht, nimmt es irgendeine Politikerin oder ein Politiker von SVP, FDP, GLP oder der Mitte auf, um den Gesundheitsschutz zu schleifen: Digitalisierung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Pandemie, vermeintlich drohender Strommangel – die Liste ist endlos fortsetzbar.

Aktuell gerade geht es angeblich um Homeoffice. In Wahrheit aber darum, möglichst vielen Arbeitnehmenden die Pausen zu streichen, sie ohne Bewilligung am Sonntag arbeiten zu lassen und die Arbeitszeit nach Gutdünken auf 17 Stunden pro Tag zu verteilen. Und unter dem Stichwort «Start-up-Förderung» wollen bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier allen Mitarbeitenden aller neu eingetragenen Firmen während 5 Jahren den Schutz des Arbeitsgesetzes gleich ganz entziehen.

LÖCHRIG

Der Lieblingsangriffsort der Gesundheitsschutz-Schleifer ist und bleibt der Detailhandel. Denn auch dort, wo die Ladenöffnungszeiten abgeschafft sind, gilt im Prinzip das Arbeitsgesetz mit seinem rudimentären Schutz. Im Prinzip deshalb, weil es bereits enorm durchlöchert ist. Wie selbst der Bundesrat feststellt (siehe Box unten). Aber das genügt den Marktradikalen nicht. Sie wollen rund um die Uhr arbeiten lassen, in Läden, Büros, Fabriken und auf Baustellen. Und zwar ohne Bewilligungen und ohne Zuschläge.

Originaltext aus einer Mitteilung des Bundesrates zum Arbeitsgesetz:

Es gilt anzumerken, dass bereits zahlreiche Unternehmen von der in der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2; SR 822.112) vorgesehenen Möglichkeit zur Beschäftigung von Mitarbeitenden an Sonntagen profitieren. So gelten beispielsweise für Gastbetriebe (Art. 23 ArGV 2), Bäckereien, Konditoreien und Confiserien (Art. 27 ArGV 2) sowie Kioske (Art. 26 ArGV 2) Sonderregelungen. Auch Familienbetriebe, um die es sich bei solchen kleinen Geschäften mit dem Sortiment eines Lebensmittelladens häufig handelt, können ihre Arbeitnehmenden am Sonntag beschäftigen, sofern diese zur Familie des Arbeitgebers gehören (Art. 4 Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11). Diese Ausnahmen sind geografisch nicht begrenzt und gelten somit auch für suburbane Gebiete.

Es trifft zwar zu, dass sich andere Ausnahmen stärker an städtische Gebiete richten, insbesondere diejenigen für sogenannte „Betriebe für Reisende“, also Verkaufsstellen an Bahnhöfen, Flughäfen, anderen Terminals des öffentlichen Verkehrs und in Grenzorten. Dennoch bieten die geltenden Bestimmungen bereits die nötige Flexibilität, um den Grundbedürfnissen Rechnung zu tragen. Hinzu kommen noch die für die Tourismusgebiete vorgesehenen Ausnahmen, die hauptsächlich in nicht städtischen Gebieten zur Anwendung gelangen.

Eine zusätzliche Lockerung würde dem allgemeinen Grundsatz des Sonntagsarbeitsverbots zuwiderlaufen, der vor allem auf gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Überlegungen fusst, die für einen Grossteil der Bevölkerung nach wie vor von Bedeutung sind. Die Erweiterung der Arbeitszeit des Verkaufspersonals ist ferner ein sehr sensibles Thema, wie die negativen Abstimmungsresultate der letzten Jahre in mehreren Kantonen gezeigt haben.

Vor diesem Hintergrund ist es nach Ansicht des Bundesrates weder notwendig noch angezeigt, eine Änderung des Arbeitsgesetzes vorzuschlagen, um zusätzlich zu den bereits geltenden Ausnahmen die Sonntagsarbeit in kleinen Läden zu erlauben.


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