Editorial

Immer wieder sonntags

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Wegen eines Scoville-Tests fiel einst ein Sonntag aus. Je höher der Scoville-Wert, desto schärfer der Chili. Ganz scharf attackieren die Bürgerlichen den Sonntag und den Gesundheitsschutz. Doch der Reihe nach.

«Immer wieder sonntags» – so der Schlager-Ohrwurm aus den 1970ern von Cindy & Bert. Es ist auch der Name einer Schlagersendung, die seit 1995 in den Sommermonaten jeweils sonntags ausgestrahlt wird. Moderiert wird sie seit 20 Jahren von Stefan Mross, der wie­derum eines Sonntags im August 2014 die Sendung fluchtartig verlassen musste, weil ihm Chili-Sauce den Atem verschlug. Welchen Scoville-Wert die Sauce aufwies, ist nicht bekannt.

HEMMUNGSLOS. Chili ist nicht jederfrau und -manns Sache, und Schlager schon gar nicht. Aber die Sendung zeigt: sonntägliche Rituale sind beliebt. Sei es ungebremst ausschlafen, hemmungslos dem Serien-Marathon frönen, endlich Zeit mit der Familie verbringen oder frühmorgens ein Ründeli joggen: am Sonntag ist alles etwas ruhiger, gemächlicher. Ineffizienz ist, o neoliberaler Graus, erlaubt. Übrigens sogar in pulsierenden Grossstädten. Wohl auch deshalb, weil jene, die Büezerinnen und Büezer zu Unzeiten chrampfen lassen, sonntags nicht in ihren wohltemperierten Büros sitzen.

HEMMUNGSLOS? Klar, für Chili- und andere Notfälle sind wir alle froh um Sonntagseinsätze der Fachleute. Doch wie der Bundesrat aufzeigt, gehen die Ausnahmen für Sonntagsarbeit weit über Notfälle hinaus. Ausnahmen gelten für Gast­betriebe, Bäckereien, Konditoreien, Confiserien, Kioske, Familienbetriebe, Verkaufsstellen an Bahnhöfen, Flughäfen und anderen Terminals des öffentlichen Verkehrs und in Grenzorten, und nicht zu vergessen, in Tourismuszonen. Also eigentlich schon fast überall. Doch selbst das ist den Turbo­lädelerinnen und -lädelern nicht genug. Sie wollen, dass die Arbeitnehmenden antraben, wann immer es den Arbeitgebern passt. Und verkaufen dies mit dem «Bedürfnis der Bevölkerung». Wobei ebendiese Bevölkerung in den letzten 20 Jahren in über 70 Prozent der Abstimmungen Nein gesagt hat zu längeren Ladenöffnungszeiten.

HEMMUNGSLOS! Und die Bürgerlichen setzen damit bewusst die Gesundheit des Verkaufspersonals aufs Spiel. Denn zahlreiche Studien zeigen deutlich: regelmässige Sonntagsarbeit macht krank. Sie führt zu Schlaf­störungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Beschwerden und Problemen in der Schwangerschaft.

Ganz genau scheinen sich die Öffnungsturbos auch mit den «Bedürfnissen der Touristinnen und Touristen» auszukennen. Diese wollten am Sonntag unbedingt einkaufen, und zwar vor allem Gucci-Täschli und Manolo-Blahnik-Sandalen. Dezidiert anderer Meinung ist Manuela Angst, Chefin der Tourismusorganisation Bern Welcome. Sie sagt in den ­TX-Zeitungen: «Aus Sicht des Berner Tourismus ist die Ladenöffnung am Sonntag nicht zentral.»

Ohnehin ist das Verkaufspersonal in der Hauptstadt schon arg strapaziert. Der Berner Regierungsrat hat im Oktober einem Pilotprojekt zugestimmt, das am Samstag die Öffnungszeiten um eine Stunde verlängert und dafür am Donnerstag um eine Stunde kürzt. Die Berner Verkäuferinnen und Verkäufer wurden nicht konsultiert. Sonst hätte die Regierung möglicherwiese mitbekommen, dass mit der längeren Arbeitszeit am Samstag das ganze «Wochenende futsch ist», so Filialleiterin Kimberly Ackermann. Und sie zieht eine scharfe Bilanz: Ein trauriger Anblick sei das am Samstagabend in der Berner Innenstadt: «Überall leere Läden und unglückliche Mitarbeitende.»


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1 Kommentar

  1. Oscar

    …..übrigens, eine Ausdehnung der Öffnungszeiten der Konsumtempel geht nicht mit einer Erhöhung der Kaufkraft einher, höchstens mit zusätzlichen Einsatzstunden von Kreditkarten….. Alles was in diese Richtung zielt ist deshalb abzulehnen!

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