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Nachtfahrten: Überholen Elektro-Schlafbusse bald schon unsere energiefressenden Nachtzüge?

Mal ehrlich, würden Sie im Nachtbus übernachten, wenn Sie so klimaneutral für 120 Franken nach Wien fahren könnten? Und dazu noch 300 Kilo CO2 einsparen würden?

VISUALISIERTE GEMÜTLICHKEIT: So soll der Twiliner-Sitz aussehen. Ob man auch in der Realität so entspannt reisen kann, wenn der Nachbar schnarcht? (Foto: Twiliner)

Der ehemalige SBB-Chef Benedikt Weibel hält nichts von Nachtzügen. Ein Nachtzug transportiere nicht mehr Passagiere als drei Busse, sagt er. Und verbrauche viel zu viel Energie pro Personenkilometer. Da seien 400 Meter lange Hoch­geschwindigkeitszüge, die bis zu 1000 Passagiere transportieren würden, viel sinnvoller. Deshalb dürfe man keinen roten Rappen Subventionen in Nachtzüge investieren. «Peppo» Weibel, wie ihn fast alle nennen, versteht etwas von Bahnen. Er war schliesslich während 13 Jahren der oberste SBB-Chef. Doch was tun?

Einen neuen Ansatz für Nachtfahrten hat das Unternehmen ­Twiliner entwickelt. Das Schweizer Start-up will in der Nacht mit zweistöckigen Bussen je 21 Personen in hochkomfortablen Sitzen nach London, Wien, Rom, Barcelona und Berlin gleiten lassen. Dank Biodiesel halbwegs umweltfreundlich. Und für etwa 200 Franken pro Fahrt und Richtung.

Deutlich teurer als das Flugzeug. Und deutlich billiger als der Nachtzug. Hat dieses Konzept eine Chance? Skepsis ist angezeigt.

Problem 1: Liegesitze sind für Busfahrten bisher nicht zugelassen. Weil Frau und Mann sich nicht angurten können. Tests laufen jedoch.

Problem 2: Der Twiliner-Bus ist ein rollender Schlafsaal. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Drittel aller Menschen schnarcht, stellt sich die bange Frage: Wie sollen wir da ohne Schlafpillen ruhig durchschlafen können?

Problem 3: Biodiesel ist keine Lösung, auch wenn die Fahrt von Bern nach London nur halb so viel CO2 produziert wie der Flug von Zürich nach London. Erst recht nicht, weil Biodiesel global gesehen den Kühen und den Menschen Nahrung wegfrisst.

Problem 4: Twiliner sucht Busunternehmen, die investieren, da es selber nicht Eigentümer der Busse werden will. Doch viele Busunternehmen haben sich mit Flixbus die Finger verbrannt. Sie wollen den möglichen Ertrag von gut 2400 Franken pro Fahrt sicher nicht mit einem Start-up teilen.

Damit das Angebot angenommen würde, müsste es technisch und organisatorisch also massiv verbessert werden. Und mehr als 120 Franken dürfte eine Fahrt durch die Nacht nach Wien nicht kosten.

DOPPELSTÖCKIGE-SCHLAFZÜGE. Das Konzept funktioniert, wenn überhaupt, sicher nur mit Elektrobussen. Die brauchen pro 100 Kilo­meter nur 130 Kilowattstunden Strom. Für die Fahrt von Bern nach Wien, für diese knapp 800 Kilo­meter, somit gut 1000 Kilowattstunden. Ein Zwischenstop von 30 Minuten, zum Nachtanken kurz hinter der Grenze, die Österreich von Deutschland trennt, würde genügen.

Durchschnittlich sollte unser Twiliner den grünen Strom aus Wasser, Sonne und Wind für 10 Rappen pro Kilowattstunde tanken können. Die Energiekosten würden nicht mehr als 6 bis 7 Prozent der Einnahmen ausmachen.

Bei anständigen Schweizer Löhnen rechnet sich das Ganze nur, wenn früher oder später mehrere Busse im Konvoi fahren können. Ist nicht ausgeschlossen, aber leider bestensfalls mittelfristig machbar.

Liebe Leserinnen und Leser: Mal ehrlich, würden Sie im Nachtbus übernachten, wenn Sie so ­klimaneutral für 120 Franken nach Wien fahren könnten? Und dazu noch 300 Kilo CO2 ein­sparen würden?

Liebe SBB: Nur Sie können ein Angebot ohne grossen Aufwand testen. Warum? Weil sie über die ganze Buchungslogistik verfügen und keinen Gewinn machen müssen. Und schliesslich verfügen Sie erst noch über eigene Kraftwerke und ein eigenes Stromnetz.

Lieber Bahnunternehmer Peter Spuhler: Müssten Sie nicht einen 30 Millionen teuren und 400 Meter langen Doppelstöcker-Schlafzug auf den Markt bringen, der 500 Personen gleich schnell wie ein Twiliner-Bus nach Wien und zurück bringt? Einmal tagsüber und einmal in der Nacht? Vielleicht müssten Sie die Twiliner-Sitze querstellen und voneinander abtrennbar machen. Damit die Schnarchenden die Nichtschnarcher weniger stören.

Links zum Thema:

  • rebrand.ly/reise-rechner Der «Tages-Anzeiger» gehört zu jenen Medien, die Nachtzüge pushen. Trotz der Kritik von Ex-SBB-CEO Peppo Weibel. (Artikel hinter der Paywall)
  • rebrand.ly/routenplaner Die Fahrt von Zürich nach Wien bewältigt ein Bus in 10 Stunden. Er hat gleich lang wie der Nachtzug, Pinkelpause zum Stromtanken inklusive.

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