Nachruf auf Fritz Leuthy, der viel zur Entwicklung der sozialen Schweiz beigetragen hat

Ein prägender Gewerkschafter ist gegangen

Paul Rechsteiner

Nach kurzer, aber schwerer Krankheit – und nur drei Tage nach seiner geliebten Ehefrau – ist auch Fritz Leuthy 92jährig verstorben. Mit ihm verliert die Schweizer Gewerkschafts­bewegung eine prägende Figur.

IN AKTION: Fritz Leuthy (l.) mit den gesammelten Unterschriften der Initiative zum Ausbau von AHV und IV. Mit ihm auf dem Bild sind Christiane Brunner, Hans-Jakob Heimann und Ruth Dreifuss (v. l.). (Foto: Keystone)

Es haben immer wieder hervorragende Köpfe für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund gearbeitet. Fritz Leuthy war einer von ihnen. Während Jahrzehnten bis zu seiner Pensionierung 1991 hat er die Politik der schweizerischen Gewerkschaften geprägt. Auf dem zentralen Feld der Sozialversicherungen, aber auch als Leiter des SGB-Sekretariats, wo er mit ruhiger Hand für eine kohärente Linie sorgte. Und für die anspruchsvolle Integration der nicht selten divergierenden Positionen der Verbände. Das war keine geringe Leistung bei einer Spannweite, die vom damals führenden, tendenziell konservativen Smuv bis zu Verbänden wie dem VPOD oder der Typographia bzw. der GDP reichte, die oft rascher vorangehen wollten.

Fritz war gelernter Stationsbeamter der SBB. Er machte seinen Weg über die Arbeiterschule in der Zeit von Max Weber, der nach ­seiner Zeit im Bundesrat über die gewerkschaft­liche Bildung zur Gewerkschaftsbewegung zurückkehrte. Ab 1960 arbeitete Fritz Leuthy selbst für die Schweizerische Arbeiterbildungszentrale. Er hatte immer eine gute Hand für die verständliche Darstellung auch komplexer Sachverhalte. 1970 wurde er zum SGB-Sekretär gewählt.

Es gab in den darauffolgenden Jahrzehnten in der Schweiz wohl niemanden, der über die Sozialversicherungen und insbesondere über die AHV über ein ähnlich profundes Wissen verfügt hätte wie Fritz Leuthy, Professoren eingeschlossen.

Es war kein akademisches Wissen. Sondern ein Wissen als Basis für die Entwicklung und Durchsetzung wirksamer gewerkschaftlicher Strategien. Und als Werkzeug beim Aufbau und der Weiterentwicklung des Sozialstaats, der wichtigsten innenpolitischen Errungenschaft der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Die Gewerkschaften spielten dafür eine entscheidende Rolle.

Herausragend sind die Verdienste von Fritz Leuthy in der dynamischen Phase der 70er Jahre. Insbesondere für die 8. AHV-Revision. Die AHV-Leistungen wurden damals in zwei Schritten mehr als verdoppelt, verbunden mit einer entsprechenden Erhöhung der Lohnprozente. Erst dadurch wurde die AHV in der Realität zur Basis der Altersvorsorge. Federführend war bei diesen Reformen politisch Bundesrat Tschudi mit seinem berühmten Tschudi-Tempo. Tschudi handelte aber in enger Abstimmung mit dem SGB, dem er sehr verbunden war. Konkret mit Fritz Leuthy mit seiner unschlagbaren Kompetenz und Integrität.

Er war kein Blender. Es ging ihm nicht um Aussenwirkung, sondern um die Ergebnisse.

VERDIENST. Auf seine eigene Weise prägte Fritz Leuthy die 10. AHV-Revision. Er war gewissermassen der Vater der starken Aufwertung tieferer Einkommen bei der Berechnung der AHV-Renten. Während der lange dauernden Vorarbeiten zur Revision bis hin zur Botschaft des Bundesrates konnte er sich noch nicht durchsetzen. Im Zug der parlamentarischen Beratung aber wurde die soziale Anpassung der Rentenformel realisiert. Die Aufwertung der tieferen Einkommen heisst technisch bis heute «Leuthy-Knick», ein zentrales Element der sozialen Ausgestaltung der AHV.

Persönlich habe ich Fritz Leuthy erst in den 90er Jahren näher kennengelernt, in einer Zeit, als der Sozialstaat von rechts her immer stärker unter Druck geriet und sozialer Fortschritt nur noch gegen grosse Widerstände erkämpft werden konnte. Der regelmässige Austausch mit Fritz zu den wichtigen Entwicklungen und strategischen Fragen war sehr wertvoll, auch in meiner Zeit als Präsident des SGB. Er verfolgte die Fortschritte und Rückschläge genau. Wie wenige besass er einen Überblick über die grossen Zusammenhänge.

Dem Habitus nach verkörperte der Stumpen rauchende Fritz Leuthy den traditionellen Gewerkschafter seiner Generation. Medial war er kein Blender. In seiner bescheidenen Art ging es ihm nicht um Aussenwirkung, sondern um reale Ergebnisse. Dabei verfügte er aber durchaus über Ironie, wie er auch neuen Entwicklungen und neuen Generationen gegenüber aufgeschlossen war.

Fritz Leuthy hat wie nur wenige in seiner Zeit zur Entwicklung einer sozialen Schweiz beigetragen. Sein Platz in der Geschichte der Schweizer Gewerkschaften ist ihm gewiss.

* Paul Rechsteiner war langjähriger SP-Ständerat und SGB-Präsident von 1998 bis 2018.

1 Kommentar

  1. Zimmerli Fritz

    Als Schwager von Fritz Leuthy bedanke ich mich bei Paul Rechsteiner für den sehr schönen und zutreffenden Nachruf. Er war für viele, auch für mich, ein Vorbild.
    Herzlichen Dank.
    Fritz Zimmerli

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