«Es braucht uns alle!»

Das Management der St. Galler Spitäler will 440 Stellen amputieren.Vor allem in der Pflege. Gegen diese kranke Massnahme gingen 3000 Menschen auf die Strasse.

PFLEGENOTSTAND: In St. Gallen haben 3000 Pflegerinnen und Sympathisanten demonstriert. Foto: Keystone

Nach dem Motto «zu Tode gespart» trägt der Demozug in St. Gallen ­einen Sarg durch die Stadt. Der Grund: In den Kantonsspitälern St. Gallen wurde eine Massenentlassung angekündigt. Betroffen sind 440 Stellen.  Wut und Enttäuschung der Betroffenen sind gross. Pflegefachfrau und Unia-Mitglied Samira Bischof (29) ist immer noch schockiert: «Ich bin jetzt schon 10 Jahre im Spital angestellt, und die Massenentlassung macht mir Angst. Ich wüsste nicht, was schlimmer wäre: die Kündigung oder bleiben zu können, aber unter noch höherem Druck weiterarbeiten zu müssen.»

Ihre Ex-Kollegin Flora Shabani (33) unterstützt sie bei der Demo. Lange hat sie ebenfalls für das Spital gearbeitet, bis sie vergangenen Januar gekündigt hat: «Die Umstände für uns Pflegerinnen und Pfleger wurden immer schlechter. Es hat an Wertschätzung gefehlt, und die gipfelt jetzt in der Massenentlassung.» 

OHNMACHT

Der Protestzug startet mittags auf dem St. Galler Kornhausplatz. 3000 Menschen kommen zusammen. «Es braucht uns alle!» skandieren sie. Auf die Passantinnen und Passanten, die an diesem Samstag bereits erste Weihnachtseinkäufe tätigen, stösst der Demozug auf Sympathie. Weil es alle braucht und alle betrifft, schliessen sich einige solidarische St. Gallerinnen und St. Galler an. 

Auch Lernende vom Kantonsspital demonstrieren, darunter Julia González* (17) und ihr Mitstift Manuel Dubach* (17). Weil beide noch in Ausbildung sind und Angst vor Konsequenzen haben, sprechen sie nur anonym mit work. González: «Obwohl wir Lernende geschützt sind, trifft uns diese Massenentlassung sehr. Wenn jetzt noch weniger Personal da ist, haben die Pflegerinnen und Pfleger noch weniger Zeit für unsere Ausbildung.» Für Dubach geht es um viel: «Ich bin hier, weil ich mir Sorgen um meine Zukunft mache. Ob ich nach der Lehre bleiben kann, steht nach dieser Entlassungswelle in den Sternen.»

Edith Wohlfender, Geschäftsleiterin des Schweizer Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner Ostschweiz, versteht die Sorgen: «Unter der Belegschaft waltet ein Ohnmachtsgefühl. Für grosse finanzielle Versäumnisse vom Spital müssen jetzt die Pflegekräfte mit ihren Jobs zahlen.» Dem schliesst sich Viviane Hösli, Zentralsekretärin Gesundheit bei der Gewerkschaft VPOD, an: «Diese Massenentlassung ist ein Entscheid aus der Teppich­etage, ohne die Realität des Personals zu kennen.» 

FINANZSPRITZEN – JETZT 

Die Demo endet am St. Galler Marktplatz. Mit kreativen Plakaten, lauten Pfiffen und Parolen wie «Wir sind hier, wir sind laut, weil es gute Pflege braucht» setzen sie ein starkes Zeichen. Samuel Burri, Co-Verantwortlicher Pflege und Betreuung der Unia, fordert jetzt endlich konkrete politische Verbesserungen: «Die Entlassungen in St. Gallen zeigen, wie tief die Pflege in der ganzen Schweiz in der Krise steckt. Um den Schaden nicht noch weiter zu vergrössern, braucht es jetzt politische Finanzspritzen.»

*Namen geändert