GräfenhausenGräfenhausen (D): Streikende gehen bis zum Äussersten

Trucker im Hungerstreik

Daniel Behruzi

Eine Woche lang haben 40 Trucker am Rastplatz Gräfenhausen das Essen verweigert. Weil ihr Chef ihnen den Lohn nicht ­bezahlte. Nun ­deutet sich im Konflikt um aus­stehende Lohnzahlungen eine Lösung an.

VERZWEIFELT: Ihre Familien hungern, weil ihre Löhne nicht bezahlt werden – da assen auch die Trucker nicht mehr. (Foto: Keystone)

Es ist die pure Verzweiflung. Mitte Juli traten etwa 40 LKW-Fahrer aus Zentralasien in den Hungerstreik. Seit über zehn Wochen stehen sie an der Raststätte Gräfenhausen bei Darmstadt und fordern, dass sie für ihre geleistete Arbeit bezahlt werden. Der polnische Spediteur Mazur schuldet ihnen insgesamt eine halbe Million Euro. Doch der Lohnbetrüger zahlt nicht, erstattete stattdessen Anzeige gegen die Fahrer: wegen «Erpressung».

KEINE FRAGE DER FREIWILLIGKEIT

Jetzt bekommen die Fahrer Unterstützung von höchster Stelle. Deutschlands Arbeitsminister Hubertus Heil kündigte beim Bundeskongress der Gewerkschaft Verdi an, er werde «nicht einfach tatenlos ­zugucken». Er verwies auf das seit Jahresbeginn geltende Lieferkettengesetz, das Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet, Ausbeutung in der gesamten Lieferkette zu unterbinden. «Die Frage von Menschenrechten ist keine Frage der Freiwilligkeit», betonte der Minister, «sondern es muss klar sein, dass, wer global ­Gewinne macht, auch global in ­Lieferbeziehungen Verantwortung für Menschenrechte übernehmen muss.»

«Wer globale Gewinne macht, muss auch globale Verantwortung übernehmen.»

MENSCHENRECHTE VERLETZT

Das richtet sich an die Adresse der Konzerne, die vom Billigtransport auf europäischen Strassen profitieren. Im Falle von Mazur werden Dachser, DHL, DB Schenker, Audi, Bauhaus, Rewe, Knauf und andere genannt. Diese betonen auf work-Nachfrage ­allesamt, sie hätten «keine direkten Vertragsbeziehungen» mit Mazur. Damit werden sie sich wohl nicht aus der Verantwortung ziehen können. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle hat eine Sonderprüfung gestartet. Sein Präsident, Torsten Safarik, erklärte bei einem Besuch auf dem Rastplatz, Mazur habe klar Menschenrechte verletzt. Nun würden auch die deutschen Auftraggeber überprüft. Im Hintergrund liefen Verhandlungen, damit die Fahrer zumindest einen Teil des ihnen zustehenden Geldes erhalten.

Bei Redaktionsschluss dieser work-Ausgabe (27. 9.) deutet sich eine solche Lösung an. Der Regionalgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Jens Liedtke, sagt: «Es ist entscheidend, dass die Fahrer endlich Geld bekommen und nach Hause können. Das beseitigt aber noch nicht die Missstände, die täglich vor unserer Nase auf europäischen Strassen geschehen. Kriminellen Unternehmen wie Mazur gehört die europäische Transportlizenz entzogen.»

In der Hoffnung auf eine Lösung haben die Trucker ihren Hungerstreik zu Redaktionsschluss ausgesetzt. Ein Ärzteteam hatte zuvor vor den lebensbedrohlichen Folgen der Aktion gewarnt.


Coop, Post und General Electric Lohngauner Mazur und die Schweiz

Der aktuelle Hungerstreik ist nur die jüngste Eskala­tion im Kampf gegen den polnischen Chef der Logistik-Gruppe Mazur. Bereits im Frühjahr haben über 60 Mazur-Fernfahrer die ­Arbeit verweigert. Zunächst streikten sie dezentral auf verschiedenen Raststätten Europas – auch in der Nähe Luzerns und bei Basel. Schliesslich standen in den Mazur-Frachtpapieren auch Adressen der Schweizerischen Post oder von Coop. Nach wenigen Tagen konzentrierten sich alle ­Streikenden im deutschen Gräfenhausen. Und dort fuhr prompt der Boss auf – im Luxusschlitten und in ­Begleitung eines Schlägertrupps!

ZAHLTAG. Doch die vereinigten Trucker und die Polizei vereitelten sein Ziel: die ­Kaperung der Lastwagen mit wichtiger Fracht. Dazu gehörte wohl auch eine ­Ladung für General Electric (GE) im aargauischen Birr. GE erhöhte nämlich mit zunehmender Streikdauer den Druck und drohte ­Mazur dem Vernehmen nach mit hohen Schaden­ersatzforderungen für jeden Tag ­Lieferverzögerung. ­Mazur rechnete. Und erkannte, dass ihn die ­Lohnzahlungen billiger kommen. Nach fünf Wochen Streik der volle ­Erfolg: Zahltag für alle ­Fahrer – total eine Summe von über 300 000 Euro. (jok)

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