Editorial

Jetzt geht’s ans Läbige

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Es begann schon vor einiger Zeit, doch nun häufen sich die Anzeichen. Da war diese Frau im Supermarkt, die kopfschüttelnd das Olivenöl wieder ins Regal zurückstellte und dazu murmelte: «Das isch z tüür.» Da war dieses Video («20 Minuten») über eine Familie: zwei Kinder, beide Eltern zu 100 Prozent berufs­tätig, Einkommen 8500 Franken. Am Ende des Monats bleibt ihnen: nichts. Da sind diese Kommentare zu Artikeln über die Teuerung & Co.: «am Ende des Monats lasse ich eine Mahlzeit pro Tag aus» oder «ich überlege mir, einen zweiten Job zu suchen» …

Was es braucht, sind ganz reale Lohnerhöhungen im Hier und Herbst!

LÄPPISCH. Im Jargon heisst das Kaufkraftverlust, Teuerung, Inflation … zu schweizerdeutsch: es geht ans Läbige. Und zwar deshalb, weil die Löhne nicht mit den Kosten Schritt halten. Zum Beispiel die Krankenkassenprämien: Seit 1997 sind die Prämien um 142 Prozent gestiegen, die Löhne hingegen um läppische 15 Prozent (die eindrückliche Grafik finden Sie hier). Oder die Mieten: Der Gewerkschaftsbund hat berechnet, dass die Mieten bis Ende 2024 um bis zu 8 Prozent steigen werden. Und das, obwohl viele Arbeitnehmende für 2023 nicht einmal den Teuerungsausgleich erhalten haben.

Gleichzeitig verbuchen Konzerne Rekordgewinne. Eine Schelmin, die denkt, da gebe es einen Zusammenhang. Wenn da nicht die Zahlen wären. Zum Beispiel in der Energiebranche. Der US-amerikanische Erdölriese Exxon Mobile hat 2022 über
55 Milliarden Gewinn kassiert. Das sind 140 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Verdacht liegt nahe, dass Exxon Mobile die Energiekrise schamlos ausnutzt, um die Preise nach seinem Gusto zu erhöhen. Gierflation heisst das.

GALAKTISCH. Die «Handelszeitung» hat dazu 146 börsenkotierte Schweizer Firmen untersucht und kommt zum Schluss: Nach der Pandemie haben diese Firmen zwar mehr Gewinn gemacht als vor der Pandemie, aber durchschnittlich nur um 1 bis 1,5 Prozent. Ganz anders im Rohstoffsektor. Dort gingen die Gewinne durch die Decke: So verdiente etwa der Zuger Konzern Glencore im vergangenen Jahr über 7 Milliarden Franken. Gegenüber 2019 hat sich der Gewinn von Glencore somit fast verdreifacht.

Eine Übergewinnsteuer würde diese überproportionalen Gewinne ausgleichen, umverteilen. Die Idee ist nicht neu: Während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges wurde in den USA eine Übergewinnsteuer von bis zu 95 Prozent eingeführt. Länder wie Belgien oder Spanien haben sie jetzt wieder. Doch in der Schweiz wird eine solche Steuer von den Marktgläubigen bekämpft, denn sie wäre eine ganz böse Hexe im Märchen vom freien Markt.

TRÄUMERISCH. Dass wir an Märchen glauben, möchte wohl auch Wirtschaftsprofessor und Glücksforscher Mathias Binswanger. In der «Sonntagszeitung» gab er unverblümt zum besten, dass man in der Schweiz natürlich nie durch Arbeit allein reich werden könne, sondern am richtigen Ort arbeiten müsse oder in der richtigen Branche. Wichtig sei aber, dass die Menschen an die Möglichkeit glaubten, reich zu werden. Wie in den USA, wo der amerikanische Traum vom Tellerwäscher, der es zum Millionär schaffen könne, noch viel weiter verbreitet sei.

Rekordgewinne für Konzerne, neoliberale Märchen fürs Volk. Was es stattdessen braucht, sind ganz reale Lohnerhöhungen im Hier und Herbst! Denn die Frau im Supermarkt wollte keine Märchen hören, sondern Olivenöl kaufen.

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