Editorial

Lila Triumph

Anne-Sophie Zbinden

Anne-Sophie Zbinden, Chefredaktorin

Es klingt wie ein 14.-Juni-Märchen: 30 Reinigerinnen treten frühmorgens nicht zur Schicht an, sondern zum Streik! Und skandieren: «Mujeres, unidas, jamás serán vencidas!» (Wenn Frauen zusammenstehen, werden sie niemals besiegt). Und siehe da, eine kurze Verhandlungsrunde später: Sieg auf ganzer Linie! Die Reinigungsfirma verpflichtet sich, die Reisezeiten und Mittagsspesen zu bezahlen, für Lohngleichheit zu sorgen und die Löhne fortan pünktlich zu bezahlen. Es ist kein Märchen, sondern ein handfester Frauenstreik-Erfolg.

Kein Märchen, sondern ein handfester Frauenstreik-Erfolg!

SCHIMPF UND SCHANDE. Dabei sei Streik ver­altet, der Frauenstreik sowieso. Und überhaupt, was stürmen die Frauen denn jetzt noch immer? Gleichberechtigung sei ja schon Realität, Lohndiskriminierung eine Mär. Rechtsbürger­liche Männer (mit Verlustängsten?) twitterten den 14. Juni klein, Mitte-Frauen schrieben einen Bruch der Frauenbewegung herbei. In den Wochen und Monaten vor dem 14. Juni führten der Arbeitgeberverband und Politikerinnen und Politiker von rechts bis Mitte, unterstützt von den ihnen zugewandten Redaktionen, eine regelrechte Schimpf-und-Schande-Kampagne gegen die Forderungen nach der in der Verfassung stehenden Gleichberechtigung. Zum Beispiel mit der Verteufelung von Teilzeitarbeit. Oder mit der haarsträubenden Aussage, viele Frauen wollten gar nicht arbeiten. Es war von «Gender-Wahnsinn» die Rede, von der «linken Vereinnahmung» von Gleichstellungsthemen wie bezahlbare Kitas oder Arbeitszeitreduktion.

MYTHEN UND MÄRCHEN. Damit nicht genug: Just zum Frauenstreik-Tag präsentierte der Arbeitgeberverband ein Papier im wissenschaftlichen Mäntelchen, in dem er die Lohndiskriminierung bagatellisiert. Die Lohndiskriminierung betrage «nur» 3,3 Prozent – das sind bei einem mittleren Einkommen immerhin 2500 Franken pro Jahr! Ausserdem beruht die «Studie» auf dem zahnlosen Gleichstellungsgesetz, demzufolge Firmen erst ab 100 Mitarbeitenden eine Lohnanalyse durchführen müssen. Das gilt für lediglich 1 Prozent der Schweizer Unternehmen. Und von diesem einen Prozent haben wiederum nur 10 Prozent bei der Umfrage mitgemacht. So viel zur Repräsentativität.

Dabei ist es sonnenklar: Über ein Erwerbsleben gerechnet, verdienen Frauen 43 Prozent weniger als Männer und haben einen Drittel weniger Rente. Das sind die Zahlen des Bundes­amtes für Statistik, keine linken Gewerkschaftserfindungen. Die Gründe sind bekannt: zu tiefe Löhne in Berufen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten. Mangel an familienfreundlichen Arbeitsmodellen mit dem Resultat, dass sich die Frauen auf Kosten ihres Einkommens und ihrer Rente um Kinder und Haushalt kümmern.

LAUT UND LUSTIG. Nebst mehr Lohn und mehr Zeit forderten die Frauen auch Respekt. Denn abwertende Kommentare, Belästigung und Gewalt gegen Frauen sind nicht rückläufig, sondern fast schon wieder salonfähig. Für Pflegerinnen, Gastro-Mitarbeiterinnen und viele Büezerinnen in unterschiedlichsten Branchen gehören abschätzige Bemerkungen und sexuelle Belästigung zum Alltag. Am dramatischsten zeigt sich der mangelnde Respekt
bei den Femiziden: Noch immer wird in der Schweiz alle zwei Wochen eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist.

Kein Wunder also, nahmen sich 300 000 Menschen am Frauenstreik die Strasse, hässig, laut und lustig!

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