Seco-Bericht bestätigt, wie richtig die Europapolitik der Gewerkschaften ist

Gegen Lohndumping in der Schweiz und in der EU

Clemens Studer

Der neue Bericht zu den flankierenden Massnahmen zeigt: Mit ihrer stabilen Haltung gegen die Markt­radikalen in der EU und in der Schweiz liegen die Gewerkschaften genau richtig.

LOHNSCHUTZ: Dank den flankierenden Massnahmen gibt es regel­mässige Kontrollen, etwa auf dem Bau. Über alle Branchen gesehen, flog 2022 fast jede fünfte Firma mit Dumpingmethoden auf. (Foto: Keystone)

Ob sich die Chefs an die flankierenden Massnahmen (FlaM) zur Personenfreizügigkeit mit der EU halten, wird kontrolliert. Je nach Kanton unterschiedlich ernsthaft. Jedes Jahr berichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Jetzt liegt der Bericht für das Jahr 2022 vor. Auch dieser belegt wieder: Überall, wo kontrolliert wird, werden Verstösse aufgedeckt und Löhne nachgezahlt. Und auch diesmal wird deutlich: Wo keine GAV-Mindestlöhne gelten, machen die Kantone zu wenig gegen Lohndumping.

In Zahlen: Kontrolleurinnen und Kontrolleure überprüften 2022 rund 165 000 Löhne von Schweizer Betrieben und Entsendefirmen aus dem Ausland. Dabei flogen in fast jeder fünften Firma zu tiefe Löhne oder Scheinselbständigkeiten auf. In Branchen mit GAV-Mindestlöhnen liegt die Verstossquote mit 26 Prozent etwas höher, weil hier Mindestlöhne den Dumping-Tatbestand klar definieren. In den Branchen ohne GAV oder Normalarbeitsvertrag wenden die Kantone teilweise zu tiefe Massstäbe für die Orts- und Branchenüblichkeit der Löhne an.

Die FlaM schützen alle Arbeitenden in der Schweiz.

VORBILDER GENF UND TESSIN

In Branchen mit verbindlichen Mindestlöhnen in GAV oder in Normalarbeitsverträgen (NAV) werden Arbeitgeber mit zu tiefen ­Löhnen gebüsst. Wenn keine GAV- oder NAV-Mindestlöhne vorliegen, fordern die Kantone die Firmen auf, die Löhne an die orts- und branchenüblichen Löhne anzupassen. Dieses «Verständigungsverfahren» heisst konkret: Die zuständigen Kantone fragen nett, ob nicht eventuell unter Umständen die Löhne auf das «übliche» Niveau angehoben werden könnten. Auffällig: Firmen aus dem Ausland passen ihre Löhne «lieber» an als Schweizer Firmen. Im vergangenen Jahr in Zahlen: Fast 90 Prozent der ausländischen Unternehmen korrigierten ihre zu tiefen Löhne, während 40 Prozent der Schweizer Firmen unverfroren an ihren Dumpinglöhnen festhielten. Das Gesetz sieht zwar vor, dass die Kantone in Branchen und Bereichen, in denen überdurchschnittlich viele Dumpingfälle auffliegen, kantonale Mindestlöhne definieren können. Doch die meisten drücken sich davor. Dabei zeigen Genf und das Tessin, wie es gehen müsste: Beide Kantone kontrollieren nicht nur strenger, sondern haben wiederholt Mindestlöhne erlassen.

Die FlaM schützen alle Arbeitenden in der Schweiz.

GEWERKSCHAFTEN STABIL

Der neuste Seco-Bericht zeigt, wie richtig die Gewerkschaften mit ihrer stabilen Haltung zur Europapolitik liegen. Sie haben sich immer für die Bilateralen ausgesprochen – sofern sie den Arbeitnehmenden in der Schweiz nützen. Um zu verhindern, dass mit der Personenfreizügigkeit Löhne und Arbeitsbedingungen in der Schweiz unter Druck geraten, erkämpften die Gewerkschaften die flankierenden Massnahmen (FlaM). Diese sind eine grosse Errungenschaft. Vor der Personenfreizügigkeit galt das entwürdigende Saisonnierstatut plus Kontingente. Diese brachten nicht weniger Zuwanderung, sondern bloss Lohndruck für alle in der Schweiz Arbeitenden.

Die FlaM bringen Verbesserungen für alle Arbeitnehmenden in der Schweiz. Darum sind sie den Marktradikalen in der Schweiz wie in Europa ein Dorn im Auge. FDP-Bundesrat Ignazio Cassis versuchte sie in ihrem Auftrag, über den «Umweg» Rahmenabkommen auszuhebeln. Was dank den aufmerksamen Gewerkschaften misslang. Und die SVP versuchte mit ihrer «Kündigungsinitiative», die Gewerkschaften und den Lohnschutz zu schwächen. Im Unterschied zu Cassis haben die Rechtsnationalisten das immerhin offen zugegeben.

DIE ECKPUNKTE BLEIBEN

Trotz dem Stop von Cassis’ missglücktem Rahmenabkommen versuchen bürgerliche Parteien und Wirtschaftsverbände unverdrossen, die FlaM und damit den Lohnschutz aufzuweichen. Die Delegierten des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) haben deshalb die Eckpunkte der Europapolitik erneut festgehalten. Unter anderem:

• Der eigenständige Lohnschutz muss gesichert sein: Es braucht verbindliche Garantien, dass die GAV weiterhin paritätisch kontrolliert werden können.

• Kein Lohndumping via Übernahme der EU-Spesenregelung.

• Schleichende Erosion beim Lohnschutz stoppen: Bei der

Allgemeinverbindlicherklärung von GAV muss das Arbeitgeberquorum – also wie viele Arbeitgeber an einem GAV beteiligt sein müssen, damit dieser allgemeinverbindlich erklärt werden kann – angepasst und müssen Temporäre zu gleichen Löhnen angestellt werden.

• Keine totale Öffnung des Strommarktes.

• Keine Schwächung des Schweizer ÖV.

Auf den Punkt: Die Gewerkschaften kämpfen nicht gegen Europa, sondern gegen die Marktradikalen in der EU und in der Schweiz. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) unterstützt den SGB weiterhin im Einsatz für starke flankierende Massahmen, damit die wirtschaftliche Öffnung auch den Arbeitnehmenden nützt – für eine soziale Schweiz und ein soziales Europa.

Die ganze Resolution: rebrand.ly/SGB-Resolution

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.