Ratgeber

Frauen, geht auf die Barrikaden!

Maria Künzli

717 Franken pro Monat: So viel verdient eine Berufsfrau in der Schweiz durchschnittlich weniger, nur weil sie eine Frau ist und kein Mann! Doch diese Lohndiskriminierung müssen Sie nicht einfach hinnehmen. Das Recht steht auf Ihrer ­Seite. work zeigt, wie Sie sich wehren können.

LOHNGLEICHHEIT JETZT: Nach über 40 Jahren Verfassungsbruch ist genug! (Foto: Keystone)

Eine diplomierte Pflegefachfrau aus dem Kanton St. Gallen arbeitet seit über zwanzig Jahren in ihrem Beruf. Eines Tages stellt sie fest, dass einer ihrer weit weniger qualifizierten Arbeitskollegen im Jahr 10 000 Franken mehr verdient als sie. Die Pflegefachfrau sucht mehrmals das Gespräch mit ihrer Arbeitgeberin, doch diese will von einer Lohnanpassung nichts wissen. Die Betroffene lässt sich juristisch beraten und wendet sich schliesslich an die Schlichtungsstelle ihres Kantons. Beim Schlichtungsverfahren kommt es im Juni 2020 zu einem Vergleich: Man einigt sich auf eine Lohnerhöhung, und die Arbeitgeberin zahlt der Mitarbeiterin die Lohndifferenz der letzten fünf Jahre aus.

Reden Sie über Ihren Lohn — und ermutigen Sie Ihre Kolleginnen dazu, dasselbe zu tun!

EWIGER VERFASSUNGSBRUCH

Fälle wie diesen gibt es in der Schweiz immer wieder (siehe Box). Doch längst nicht immer kommen die betroffenen Frauen zu ihrem Recht. Oft nehmen sie die Lohndiskriminierung zähneknirschend hin. Aus Angst, den Job zu verlieren oder das sonst gute Verhältnis zu den Vorgesetzten zu gefährden. Dabei verdienen Frauen noch immer durchschnittlich 1500 Franken pro ­Monat weniger als Männer. Und: Ganze 47,8 Prozent dieses Lohnunterschieds können nicht durch Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung oder Verantwortung erklärt werden. Sondern rein durch Diskriminierung. Pro Monat macht das ganze 717 Franken aus! Das zeigen die jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik.

Dabei ist der Grundsatz der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann seit 1981 in der ­Bundesverfassung verankert. Seit 1996 ist das Gleichstellungsgesetz in Kraft. Trotzdem ist die Schweiz immer noch weit von der Lohngleichheit entfernt. Dazu kommt eine strukturelle Diskriminierung in Branchen mit hohem Frauenanteil: Die sogenannten Frauenberufe sind deutlich schlechter bezahlt als typische Männerberufe. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Analyse des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Frauen arbeiten demnach doppelt so häufig wie ­Männer zu einem Tieflohn. Konkret hiesst das: Über 500 000 Frauen mit abgeschlossener Ausbildung müssen in der Schweiz bei einer Vollzeitstelle mit einem Bruttolohn von weniger als 4500 Franken auskommen. Die SGB-Studie zeigt zudem klar: Wer in einem Frauenberuf arbeitet, hat nicht nur weniger Lohn, sondern auch weit schlechtere Lohnaussichten. Berufserfahrung und Dienstalter zahlen sich hier kaum aus. Der SGB fordert deshalb unter anderem: Mindestlöhne, flächendeckende Gesamtarbeitsverträge und griffige Massnahmen gegen Lohndiskriminierung, darunter obligatorische Lohnanalysen für alle Firmen und wirksame Sanktionen bei Verstössen. Denn: diese sind im aktuellen Gesetz noch immer nicht vorgesehen (siehe Spalte unten).

work-Tipp: Hunderte Fälle dokumentiert

Sie möchten sich über vergangene und aktuelle Fälle, die das Gleichstellungsgesetz betreffen, infor-mieren? Die Online-Datenbank gleichstellungsgesetz.ch listet sämtliche Verfahren und Fälle aus der Deutschschweiz auf, die sich auf das Gleichstellungsgesetz oder auf den Verfassungsgrundsatz «Gleicher Lohn für gleiche ­Arbeit» stützen. Dabei geht es ­neben Lohndiskriminierung auch um sexuelle Belästigung, Benachteiligung aufgrund von Schwanger- oder Mutterschaft und Fälle von missbräuchlichen Kündigungen aufgrund des Geschlechts. (mk)

SO WEHREN SIE SICH

Politisch muss sich also noch einiges tun. Doch wehren können Sie sich schon jetzt! Wir zeigen ­Ihnen, wie Sie vorgehen können, wenn Sie vermuten, dass Sie trotz vergleichbarer Erfahrung und ­Arbeit weniger verdienen als die männlichen Teamkollegen.

1.Suchen Sie das Gespräch. In der Schweiz ist es immer noch ein Tabu, über den Lohn zu reden. Doch nur, wenn Sie die Löhne Ihrer Arbeitskolleginnen und -kollegen kennen, können Sie feststellen, ob Sie weniger verdienen, als Ihnen zusteht. Deshalb: Sprechen Sie über Ihren Lohn, ermutigen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen dazu, dasselbe zu tun, und sorgen Sie so für mehr Lohntransparenz! Wenn Sie Ungleichheiten feststellen, die Sie sich nicht erklären können, sprechen Sie Ihren Chef oder Ihre Chefin darauf an.

2.Sammeln Sie Informationen. Judith Wissmann Lukesch, Rechtsanwältin und Co-Gründerin des Netzwerks Arbeitundkonflikt.ch, rät, frühzeitig Daten zu sammeln und in einem Dossier festzuhalten. Fordern Sie Lohngrundlagen beim HR an, sammeln Sie Lohnabrechnungen und wenn möglich Arbeitsverträge und weitere Informationen zu Funktion, Ausbildung, Erfahrung und Verantwortung von männlichen Vergleichspersonen in Ihrem Betrieb. Denn: «Es geht darum, die Diskriminierung glaubhaft zu machen», sagt Expertin Wissmann Lukesch. «Dazu ist es wichtig, eine Basis zu schaffen für einen konkreten Lohnvergleich mit männlichen Kollegen mit gleichwertiger Tätigkeit.» Die Eckpfeiler für einen solchen Lohnvergleich hat Wissmann Lukeschs Netzwerk in einer Checkliste zusammengefasst. Falls es in Ihrem Unternehmen eine Gleichstellungsbeauftragte oder einen Gleichstellungsbeauftragten gibt, ist es sinnvoll, diese Person einzubeziehen.

3.Holen Sie sich Unterstützung. Falls die Chefin oder der Chef Ihnen den Lohnunterschied nicht plausibel erklären kann oder das Gespräch verweigert, ist es Zeit, externe Unterstützung zu holen: Wenden Sie sich an Ihre Gewerkschaft, an eine Beratungsstelle oder an das Gleichstellungsbüro Ihres Kantons.

Als Gewerkschaftsmitglied haben Sie bei Diskriminierungsfällen Anspruch auf Rechtsschutz. Rechtsanwältin Wissmann Lukesch rät: «Wenn möglich sollte sich die betroffene Frau auch mit Kolleginnen zusammentun.» Denn: «Bei Vorwürfen von Lohndiskriminierung wird von Arbeitgeberseite mit harten Bandagen gekämpft, was für eine einzelne Frau schwer auszuhalten ist.»

4.Gehen Sie zur Schlichtungsstelle – und notfalls vor Gericht. Wissmann Lukesch sagt: «Bei Lohndiskriminierung von mindestens fünf Prozent des Jahreslohnes lohnt sich die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens.» In jedem Kanton gibt es eine Schlichtungsbehörde. Ein Schlichtungsverfahren ist kostenlos.

Kommt keine Einigung zustande, bleibt der Gang vors Gericht. Dort können Sie gestützt auf das Gleichstellungsgesetz (GlG) ihr Recht einfordern. Diesen Schritt sollten Sie vorgängig in einer Rechtsberatung fundiert abklären lassen. Denn: Eine Klage ist oft langwierig und nervenaufreibend. Aber nicht aussichtslos! Das zeigt etwa der Fall von zwei tap­feren Schneiderinnen, die beim ­Modehaus Grieder 20 Prozent weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen – und vor Gericht schliesslich recht bekamen.


Gleichstellungsgesetz:Es tut sich was

Seit der letzten Revision des Gleichstellungs­gesetzes (GlG) 2019 müssen alle Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitenden alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchführen. Die Ergeb­nisse müssen von einer unabhängigen Stelle überprüft und der Belegschaft präsentiert werden. Doch: Firmen, die bei der Analyse schlecht abschneiden, haben erst mal nichts zu befürchten. Im Gegensatz zu allen anderen Gesetzen sieht das Gleichstellungsgesetz bei Ver­stössen keine Strafen vor. Anfang Mai 2023 hat nun der Nationalrat einer Motion zugestimmt, die Sanktionen im Gleichstellungsgesetz verankern will.

ENDLICH STRAFEN? Aude Spang, Gleichstellungs­sekretärin der Unia, freut sich über diesen Entscheid: «Das ist eine erfreuliche Entwicklung, vor allem, da Lohngleichheit die mise­rable Rentensituation der Frauen verbessern würde.» Nun hofft sie, dass auch der Ständerat dem Antrag zustimmen wird. «Die ­Motion wäre ein erster Schritt, doch es braucht mehr!» Dazu gehören laut Spang endlich auch flächendeckende Kontrollen: So sollten alle Unternehmen verpflichtet sein, die Lohngleichheitsanalysen ­durchzuführen, nicht nur jene mit mehr als 100 Mitarbeitenden. (mk)

 

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