Rechts blinken, links abbiegen
Die Schweiz wählt mehrheitlich rechts. Das zeigt sich an der mal mehr, mal weniger deutlichen rechtsbürgerlichen Mehrheit im Bundesparlament. Und wenn immer mal wieder das «linke Parlament da oben in...
Fast 450 Kommentare in drei Tagen: so viel Aufruhr verursachte ein Artikel über einen Berliner Oben-ohne-Entscheid in der NZZ. Die Kommentare schwanken zwischen Belustigung und «selber schuld an der Belästigung». Der Entscheid der «Ombudsstelle der Landesstelle für Gleichbehandlung» – publiziert am Weltfrauentag – erlaubt das «Schwimmen mit freiem Oberkörper» in ganz Berlin neu auch für weibliche Personen. Und: Ab sofort sei vom Bikinihöschen bis zum Burkini alles erlaubt.
Zum Entscheid kam es nach einem Polizeieinsatz im Schwimmbad Kaulsdorf. Dort zog die Rettungsschwimmerin Lotte Mies oben ohne ihre Bahnen, bis die Polizei sie aus dem Becken holte und ihr die Schwimmbadordnungs-Leviten las. Worauf sich Mies abtrocknete und eine Diskriminierungsbeschwerde einreichte.
Bedeckt oder unbedeckt, das Problem ist nicht der Körper der Frau.
ERSTAUNLICH. Für einmal war Bern Berlin voraus. Schon seit 1987 dürfen Frauen in Berner Freibädern ihre Brust sünnelen, sogar in Sichtweite des Bundeshauses. So richtig durchgesetzt hat sich das oberteilfreie Baden jedoch nie. Doch noch immer schlägt das Thema «Oben ohne» hohe Wogen. Und dies vor allem deshalb, weil es weder um Brüste noch um Bikini geht, sondern um Geschlechterrollen. Es geht darum, wer über den weiblichen Körper entscheidet. Es geht um Übersexualisierung, um den Frauenkörper als Objekt. Und darum, dass textilfreie Oberkörper nicht verantwortlich sind für Stielaugen, Betatschfinger und Grüselfilmer.
WÜTEND. Das Problem ist nicht der Körper der Frau, bedeckt oder unbedeckt. Sondern das, was unsere Gesellschaft daraus macht. Und zwar ganz konkret im Alltag vieler Frauen. Zum Beispiel im Gastgewerbe. work hat mit 11 Gastro-Mitarbeiterinnen gesprochen, und die sind sich einig: Übergriffe und Belästigungen gehören in ihrem Job dazu. Sie werden bespuckt, betatscht und verbal belästigt. Kellnerin Carmen Ryser (25) berichtet über einen Gast, der «ein Kafi, ein Gipfeli – und dich gerne auch noch dazu» bestellte. Sie war sprachlos vor Wut. Oder Barkeeperin Jil Cavelti (27): Während sie in einer Bar im Zürcher Bankenviertel die Stehtische abräumte, fassten sie die Anzugträger an die Hüfte oder klopften ihr auf den Hintern. Die Betrachtungsweise der Kellnerin als Sexobjekt hat System. Das zeigt die Aussage der Vorgesetzten in einer Bar. Bereits im Bewerbungsgespräch sagte sie zu Alba Diaz (24): «Für mehr Trinkgeld lohnt es sich, wenn du roten Lippenstift aufträgst und ein bisschen deine Brüste zeigst.»
SKANDALÖS. Der Branchenverband Gastrosuisse will von sexueller Belästigung im Gastgewerbe jedoch nichts wissen. Ihm seien keine Fälle bekannt, und er sehe auch keinen Handlungsbedarf. Wie denn auch, wenn Übergriffe und Belästigungen in vielen Betrieben schon fast zum Geschäftsmodell gehören. Und wie denn auch, wenn im neunköpfigen Vorstand nebst SVP-Frau Esther Friedli nur noch eine weitere Frau sitzt. Doch die Gastrobranche steht mit diesen skandalösen Zuständen leider nicht alleine da. Die Frau ist in viel zu vielen (Männer-)Augen auch 2023 noch immer ein Objekt, ob oben mit oder ohne.