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Aufstand der italienischen Saisonniers in Biel

Ralph Hug

An der Café-Bar Alba in Biel hing plötzlich ein Schild: «Per tutti gli italiani è vietata l’entrata in questo locale» – Eintritt für alle Italiener in diesem Lokal verboten. Das sorgte für Tumult und Scherben.

ANGEHEIZTE STIMMUNG: Nachdem der fremdenfeindliche «Alba»-Wirt den Saisonniers verboten hatte,
das Lokal zu betreten, besetzte es die autonome Jugend und veranstaltete ein Picknick. (Foto: Neues Museum Biel)

Wir schreiben das Jahr 1977. In Biel ist die Stimmung mies. Es herrscht Wirtschaftskrise: Entlassungen in der Uhrenindustrie, eine wachsende Zahl von Arbeitslosen. Zudem steht die Abstimmung über eine weitere fremdenfeindliche Schwarzenbach-Initiative an. Die Nerven liegen blank. Und plötzlich hängt an der Café-Bar Alba auch noch ein Schild: «Per tutti gli italiani è vietata l’entrata in questo locale» (Eintritt für alle Italiener in diesem Lokal verboten). Die Kunde vom diskriminierenden Schild verbreitet sich in Windeseile. Bereits am selben Abend kommt es zu einer Protestaktion: Gegen hundert Italienerinnen und Italiener sowie Jugendliche aus dem Autonomen Jugendzentrum (AJZ) erscheinen spontan und verlangen vom Wirt die Entfernung der Tafel. Dieser versperrt die Tür, doch im Lokal sind bereits Leute, die sich mit den Protestierenden solidarisieren. Die Situation eskaliert, Scheiben und Türen gehen zu Bruch. Einer der damals beteiligten Jugendlichen erinnert sich so: «Es herrschte eine prächtige Stimmung!»

Die Saisonniers waren nicht nur passive Opfer, sondern setzten sich gegen diskriminierende Praktiken ein.

PROTEST-PICKNICK

Am nächsten Abend zogen die AJZ-Leute erneut vors «Alba». Obwohl der Wirt das Schild unterdessen abmontiert hatte, protestierten die aufmüpfigen Jungen in Form eines Konsumstreiks: Sie drangen ins Lokal ein, brachten Essen und Trinken mit und veranstalteten ein Picknick. Die Ereignisse schlugen in Biel hohe Wellen. In Leserbriefen, Artikeln und Gesprächen gab es erregte Diskussionen. Florian Eitel vom Neuen Museum Biel ist dieser Geschichte nachgegangen und hat sie rekonstruiert.*

In seiner Analyse wird deutlich, wie aufgeheizt die Stimmung rund um die fremdenfeindlichen Schwarzenbach-Initiativen in den 1970er Jahren war. Klar wird aber auch, dass die Saisonniers nicht nur passive Opfer waren, sondern sich gegen diskriminierende Praktiken zur Wehr setzten, was wenig bekannt ist. Zudem tauchte mit der AJZ-Jugend ein neuer politischer Player auf. Im Bieler Gaskessel war das erste autonome Jugendzentrum der Schweiz entstanden, es existiert heute noch. Dort trafen sich neben der neuen Linken auch Anhängerinnen und Anhänger der anarchistischen Bewegung, die im Jura lebendig ist. Das einst «rote Biel» erlebte in jenen Jahren einen politischen Umbruch mit einer neuen Oppositions­szene. Wer weiss, vielleicht hätte unter anderen Verhältnissen ein Verbot wie beim «Alba» weniger Aufsehen und womöglich keine Tumulte aus­gelöst.

OFFENKUNDIGER RASSIST

In den Leserbriefen, Artikeln und Stellungnahmen tauchen viele damals gängige Vorurteile, Klischees und Ressentiments bezüglich der Migration auf. Etwa jenes von den angeblich lüsternen und gewaltbereiten Südländern. Der «Alba»-Wirt verteidigte sein Schild mit dem Argument, dass Italiener immer wieder weibliche Gäste belästigt, sich ungebührlich aufgeführt und Schäden am Mobiliar «von über 300 Franken pro Jahr» verursacht hätten. Journalisten fanden aber heraus, dass der Wirt – ein ehemaliger Rocker – selber Gäste, die ihm nicht passten, unzimperlich aus dem Lokal hinausgeschmissen hatte. Ausserdem war er offenkundig ein Rassist, bediente Italiener willkürlich nicht und soll geäussert haben, er müsse sein Lokal von den «Sautschinggen säubern». Ausserdem war er ein Fan des Rechtsaussen-Politikers James Schwarzenbach. In seinem Schaufenster hingen Ja-Parolen für die Überfremdungsinitiativen.

Der «Alba»-Krawall enthüllt so ein Stück Zeitgeschichte, die nicht nur Biel, sondern die ganze Schweiz prägte und für viele unschöne Auseinandersetzungen sorgte. Diese Zeit wird jetzt in der Sonderausstellung «Wir, die Saisonniers … 1931 bis 2022» im Neuen Museum Biel lebendig (work beichtete: rebrand.ly/wir-saisonniers). Sie thematisiert die Arbeitsmigration aus dem Süden und will einen Beitrag zur Aufarbeitung einer unrühmlichen Vergangenheit leisten.

* Der Beitrag von Florian Eitel, Zerrissene Gesellschaft, zerbrochenes Glas. Die Affäre um die Discothek Alba in Biel 1977, ist im neuen Heft der Zeitschrift für Geschichte «Traverse» (3/2022) enthalten. Mehr Infos unter: revue-traverse.ch.

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