Bundesrat und AHV:

Angriff auf die Witwenrenten

Clemens Studer

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden: Die Regelung der Witwen- und Witwer-­Rente in der AHV verletzt die Menschenrechte. Jetzt will der Bundesrat deswegen die Witwen bestrafen. Ein Beispiel rechtsbürgerlicher Sozial­politik.

WITWENSCHRECK: FDP-Bundesrätin und Finanzministerin Karin Keller-Sutter sieht «Sparpotential». (Foto: Keystone)

Im vergangenen Oktober rüffelte der EGMR die Schweiz, weil sie Witwern die Rente streicht, wenn ihre Kinder volljährig werden. Um diese Ungleichbehandlung zu beheben, gibt es grundsätzlich drei Varianten:

  •  Angleichung der Leistungen für Witwer an jene, die heute für Witwen gelten.
  • Angleichung der Leistungen für Witwen an jene, die bis zum Strassburger Urteil für Witwer galten. Was faktisch der Abschaffung der Witwenrente in ihrer heutigen Form entspricht.
  • Ein «Kompromiss»: Witwer erhalten bis zum Abschluss der Erstausbildung ihrer Kinder (höchstens bis zum 25. Geburtstag der Kinder) eine Rente. Für Frauen gilt das Gleiche. Auch das entspricht faktisch der Abschaffung der Witwenrente in ihrer heutigen Form.

Wenig überraschend will die rechtsbürgerliche Mehrheit des Bundesrates die letzte Variante durchdrücken. Und folgt dabei den Wünschen der Sozialabbauerinnen und -abbauer. «Die Volkswirtschaft», eine vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) herausgegebene Publikation, gab den Ton vor. In der Ausgabe vom 16. Februar schreibt Jérôme Cosandey zum Thema. Er ist Directeur romand der marktradikalen Denkfa­brik Avenir Suisse, und für ihn ist klar: Nur die Angleichung der Witwenrente an die Witwerrenten ist ein gangbarer Weg. Sozialabbau als Gleichberechtigung. So wie es die rechten Frauen schon bei der AHV-21-Reform vertreten haben.

Bereits im März 2021 – also noch vor dem Strassburger Urteil – reichte die Zürcher GLP-National­rätin Cornelia Gredig einen Vorstoss ein, der eine Verschlechterung der Witwenrente mit dem Argument der Gleichstellung fordert.

AHV-Teuerungs­ausgleich: Geiziger Bundesrat

Eine Mitte-links-Koalition hat letztes Jahr den unwilligen Bundesrat dazu verdonnert, die AHV-Renten 2023 um die volle Teuerung auszugleichen. Jetzt hat der Bundesrat geliefert. Und zwar eine Minimalvariante. Mit der wird nur die Restteuerung 2022 ausgeglichen, die Teuerung von 2023 aber nicht. Und an den Kosten will sich der Bund auch nicht beteiligen. Das Geschäft kommt jetzt ins Parlament. Die fortschritt­lichen Parteien haben Widerstand angekündigt. (cs)

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