Mietexplosion ab Mitte Jahr – Nebenkosten steigen

Mieten jetzt schon Milliarden zu hoch

Clemens Studer

Steigende Mieten und Nebenkosten schwächen die Kaufkraft der Lohn­­abhängigen massiv. Und die Immobilien-Konzerne zocken die Mietenden zusätzlich ab – illegal.

BESSER KATZE SEIN: Was kommt da bloss auf meinen Menschen zu? (Foto: Keystone)

Die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung wohnt zur Miete. Die Wohnkosten sind einer der grössten Ausgabenposten in vielen Haushalts­­budgets, wenn nicht sogar der grösste. Und die Lage verschärft sich, weil jetzt sowohl die Zinsen als auch die Nebenkosten steigen. Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen geben jeden Monat zwischen 25 und 35 Prozent davon fürs Wohnen aus. Sie sind es auch, die am stärksten von Mietzinserhöhungen betroffen sind (work berichtete: rebrand.ly/sozialpolitische-zeitbombe).

8 PROZENT MEHR MIETE

Ab 40 Prozent spricht die Wissenschaft von Überbelastung. In den kommenden Monaten werden noch mehr Haushalte diese Budget-Überbelastung erreichen. Das hat mehrere Gründe. Die wichtigsten sind:

  • SNB-Zinserhöhungen. Nach Jahren von Tief- und Minuszinsen hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins wieder erhöht und SNB-Chef Thomas Jordan hat weitere Erhöhungen ­bereits angetönt. Damit steigen auch die Hypothekarzinsen. Diese wiederum sind massgebend für den sogenannten Referenzzinssatz. Dieser wird vierteljährlich vom Bundesamt für Wohnungswesen festgelegt. Und zwar auf der Basis des Durchschnittssatzes der Hypothekarzinsen. Weil viele Hypothekarkredite mittel- oder längerfristige Laufzeiten haben, wirkt sich ein Anstieg der Hypothekarzinsen erst verzögert aus. Die Erhöhung des Referenzzinses um ein Viertelprozent berechtigt die Immobilienbesitzenden zu einer Mietzinserhöhung von 3 Prozent auf den nächsten Kündigungstermin, falls der dem Mietvertrag zugrunde liegende Referenzzinssatz tiefer ist oder in der Vergangenheit Senkungen des Referenzzinssatzes weitergegeben wurden. Die Grossbank UBS ging bereits im vergangenen Oktober von einer Erhöhung des Referenzzinssatzes im kommenden März von aktuell 1,25 Prozent auf 1,5 Prozent aus und von einer weiteren Erhöhung im September auf 1,75 Prozent. Auch die Teuerung seit der letzten Mietzinserhöhung dürfen Hauseigentümer zu 40 Prozent auf die Mietenden überwälzen. Referenzzinssatzerhöhung und Teuerung zusammengenommen, gehen die UBS-Ökonominnen und -Ökonomen von einem Anstieg der aktuellen Mieten um 4 bis 5 Prozent ab kommendem Juli aus. Bis Ende 2023 könnten die Mieten aus bestehenden Verträgen gar um bis zu 8 Prozent steigen.
  • Wohnungsknappheit. In der Schweiz fehlen Wohnungen. Und der Wohnungsmangel dürfte sich weiter zuspitzen. Das Beratungsunternehmen Wüest Partner berichtet in seinem «Winter-Update 2022» von einem weiter abnehmenden Wohnungsangebot – unterdessen ist es so tief wie seit 2013 nicht mehr. Das führt dazu, dass wer neu eine Wohnung sucht, grosse Mühe hat, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Und es erschwert oder verunmöglicht es den Mietenden, aus einer teurer werdenden Wohnung in eine günstigere zu wechseln. Denn die sogenannten Marktmieten steigen aufgrund des knappen Angebotes weiter stark.
  • Nebenkosten. Die Energiepreise sind in den ­vergangenen Monaten stark gestiegen. Wer mit Gas heizt, bekommt das bei der nächsten Ne­­benkostenabrechnung unmittelbar zu spüren. Mietende, deren Wohnungen mit Öl geheizt ­werden, werden später zur Kasse gebeten. Und wer bei einem Stromversorger ist, der sich, statt eigenen Strom zu produzieren, auf dem «freien Markt» eindeckt, merkt es bereits an ­­­den Stromabrechnungen. Die Grossbank Credit Suisse ging bereits im Sommer von einer Steigerung der Nebenkosten um bis zu 40 Prozent aus. Besonders betroffen sich Mietende in energetisch schlecht unterhaltenen Wohnungen.

2021 zahlten Mietende durchschnittlich 370 Franken zu viel — pro Monat.

DER ELEFANT IM RAUM

Die Wohneigentumsquote in der Schweiz ist im internationalen Vergleich relativ gering: Nur rund 36 Prozent aller dauernd bewohnten Wohnungen werden von ihren Eigentümerinnen und Eigentümern selbst bewohnt. Das ist der geringste Anteil unter allen europäischen Ländern. Auch darum und wegen des relativ schwachen Schutzes von Mieterinnen und Mietern ist die Schweiz ein Abzockerparadies für Immobilien-Investorinnen und -Inves­toren. Bei der Eigentumsquote gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen Stadt, Agglomeration und ländlichen Gebieten. Gerade in städtischen Gebieten ist sie oft noch niedriger. ­­Mit entsprechenden Folgen für Haushalte mit niedrigen oder mittleren Einkommen.

Mietrecht: Nach Wunschzettel der Immo-Lobby

Die Immobilienlobby gehört zu den einflussreichsten im Bundeshaus. Darum ist das Mietrecht so mieterunfreundlich. Und die Hauseigentümerinnen und -eigentümer wollen immer noch mehr. In der vergangenen Session war ein ganzer Wunschzettel der Immobilienhaie traktandiert, wurde dann aber verschoben. work hat die geplanten Angriffe auf die Rechte von Mieterinnen und Mietern hier dokumentiert: rebrand.ly/immo-haie. Der Hauseigentümerverband als politische Speerspitze der Immo-Lobby wendet bei seiner Argumentation das Modell des Gewerbeverbandes an: Sie schieben die «Kleinen» vor, um das Geschäft der Immobilienkonzerne zu betreiben. (cs)

GESETZESWIDRIG

In den vergangenen Jahren mit Tiefstzinsen hätten die Mieten eigentlich von Gesetzes wegen sinken müssen. Doch das Gegenteil war der Fall. Eine Studie des Büros für arbeits- und sozialpolitische ­Studien (BASS, nachzulesen hier: rebrand.ly/bass-mieten) hat untersucht, um wie viel die Mieten ­zwischen 2006 und 2021 gemäss Mietrecht hätten ansteigen dürfen – und wie stark die Aufschläge tatsächlich waren. Erschreckendes Ergebnis: Seit 2006 haben Vermieter insgesamt 78 Milliarden Franken zu viel kassiert. Allein 2021 bezahlten Mietende schweizweit 10 Milliarden zu viel: Das macht pro Monat und vermietete Wohnung durchschnittlich 370 Franken – pro Jahr 4400 Franken!

Dabei wäre die Sache klar geregelt, zumindest auf dem Papier. Aktuell dürfte die Maximalrendite der Hausbesitzerinnen und -besitzer 3,25 Prozent betragen. Die Studie weist aber nach, dass im untersuchten Zeitraum die durchschnittliche Rendite bei 6,2 Prozent lag. Renditen von 6 oder 7 Prozent sind also an der Tagesordnung. Grosse Immobiliengesellschaften ziehen aus ihren Liegenschaften gar Profite im zweistelligen Prozentbereich.

Würde das geltende Recht durchgesetzt, würde die Kaufkraft der Mietenden pro Jahr ­um mindestens 10 Milliarden Franken gestärkt. Jetzt landen diese Milliarden mehrheitlich in ­den Taschen der Immobilienkonzerne und deren Aktionariat.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.